Das umstrittene Bildnis eines Papstes

Von Rudolf Schmitz · 08.11.2013
Jetzt ist endlich der Vergleich möglich: Das vom Städel-Museum 2010 erworbene und von ihm als Sensation gefeierte Raffael-Bildnis von Papst Julius II hängt neben den beiden Gemäldefassungen aus den Uffizien und dem Palazzo Pitti in Florenz. Das nicht ausleihbare Papst-Bildnis aus London ist zumindest in einer fotografischen Reproduktion vertreten. Auf diese Kabinettausstellung in einem mittelgroßen Raum des Frankfurter Museums hatte man lange warten müssen. Gestern Abend wurde sie eröffnet.
Zur Unterstützung seiner Behauptung, dass es sich beim erworbenen Porträt des Papstes Julius II um Raffael handele, zeigt das Städel-Museum nicht nur verschiedene existierende Fassungen dieses Bildnisses, sondern auch die Infrarot- und Röntgenaufnahmen, die anlässlich der Restaurierung des Frankfurter Bildes gemacht wurden. Die übrigens fand erst nach dem Erwerb des Gemäldes statt. Sie gelten dem Kurator Jochen Sander als Beweismittel für eine außergewöhnliche, kreative Entstehungsgeschichte des Gemäldes. Und damit als Faustpfand: dieser Julius stamme aus der Raffael-Werkstatt und zeige sogar Beteiligung des Meisters selbst.

""Es gibt eine vorbereitende Zeichnung, eine Unterzeichnung unter der Malschicht, die der Künstler ausgeführt hat als erste Orientierung für den Malprozess, die eine ganze Reihe von wesentlichen Veränderungen in der Position von verschiedenen wichtigen Bilddetails aufweist…Das ist für eine bloße Kopie, wie wir aus dieser Zeit natürlich Tausende haben, etwas extrem ungewöhnliches und wäre, wenn man es als Kopie betrachten wollte, extrem erklärungsbedürftig". "

Denn genau das waren die Vorwürfe, mit denen das Städel Museum sich vor eineinhalb Jahren, bei der Erstpräsentation des Gemäldes, konfrontiert sah: Es handele sich hier um eine zweitrangige Kopie, die Malweise sei trocken und pedantisch, das Inkarnat des Gesichts teigig und undifferenziert. Und außerdem: Wie könne man für ein Gemälde, das noch 2007 in einer Auktion für 9000 Euro ersteigert wurde, schließlich einen Betrag von ein oder zwei Millionen ausgeben, wie gemunkelt wurde? Das sei für eine Kopie zu viel, für einen Raffael zu wenig. Frankfurt also in Erklärungsnot.

Der unmittelbare Vergleich mit der von Tizian stammenden Fassung aus dem Palazzo Pitti und dem Raffael aus den Uffizien fällt immer noch zu Ungunsten der Frankfurter Fassung aus. Tizians Papst ist ungleich raffinierter gemalt, auch das Uffizien-Bildnis wirkt differenzierter und lebendiger, vom Londoner Porträt Julius II ganz zu schweigen. Aber, die Infrarot- und Röntgenbilder zeigen es: Beim Frankfurter Bild gibt es sowohl lässige Unterzeichnungen zu sehen als auch Änderungen beim Malen selbst, zum Beispiel in der Position der Unterarme und Hände. Beleg für eine Entstehung im zeitlichen Umfeld der gesicherten Originale? Und es wurde, wie sonst bei Kopien üblich, kein Karton zum Durchpausen des Originalmotivs benutzt…

""Es gibt keinerlei Anhaltspunkte für einen Karton, ganz im Gegenteil, die Unterzeichnungen, die die Infrarotreflektografie sichtbar macht, in bestimmten Partien, im Gesicht, an den Händen, an den Thronbekrönungen, ist ganz unverkennbar mit einem Pinsel ausgeführt, und sie ist frei ausgeführt, denn sie weicht vom Oberflächenbild ab, dh der Mund ist eine rasch hingesetzte Linie, das Ohr ist ein Kringel, die Ausführung dann erfolgt in der Ausformulierung dann erst in der Farbe". "

Mit dem Bild Julius' II. hatte Raffael das erste Papstbildnis in der Kunstgeschichte schlechthin geschaffen: der Papst lebensgroß, als Dreiviertelfigur, in einem Lehnstuhl vor grünem Vorhang sitzend. Julius trägt einen hermelingesäumten purpurnen Umhang mit Kapuze, eine eng anliegende Kappe, seine Unterarme ruhen auf den Stuhllehnen, seine Finger sind mit Brillantringen geschmückt. Tizians Fassung allerdings weicht in einem entscheidenden Detail ab. Kurator Jochen Sander:

""Die Figur ist weiter an den oberen Bildrand geschoben, und dadurch werden wir als Bildbetrachter automatisch in ein anderes psychologisches Verhältnis zur dargestellten Figur gebracht, das Herrscherliche, das Imperiale des Papstes wird dort wesentlich stärker heraus gestrichen, wir werden viel mehr in die Rolle des Untertanen projiziert". "

Und damit könnte es sich auf die Frankfurter Fassung des Papstbildes beziehen, die das gleiche Merkmal zeigt. Sie wird vom Kurator Jochen Sander deshalb als alternativer Bildtypus interpretiert, der dann zugunsten der als Original geltenden Londoner Fassung aufgegeben wurde. Argumentative Beweisführungen, wie sie die Frankfurter Kabinettausstellung und der Katalog jetzt vortragen, waren seinerzeit bei der Erstpräsentation dringlich angemahnt worden. Um den Eindruck eines fragwürdigen Spektakels zu vermeiden, wie es keinem Museum gut tut.

""Es geht uns darum, die Diskussion seriös fortzusetzen, die damit auf eine neue Basis kommen kann, eine Diskussion, die letzten Endes nicht nur im Feuilleton der Zeitungen, dann vor allem auch in den Fachpublikationen der Kollegen und Kolleginnen passieren muss". "

Die Besucher sind von einer solchen Fachdiskussion sicherlich überfordert, trotz ausgebreiteter "Beweise". Der Augenschein spricht nicht unbedingt für das Frankfurter Bild. Aber jetzt ist wenigstens klar, worüber zu streiten wäre.