Das Unfassbare wird zur Satire

Ein jüdischer Junge in feindseliger Umgebung - davon erzählt eine der autobiografisch gefärbten Geschichten, die sich in Edgar Hilsenraths Band "Sie trommelten mit den Fäusten den Takt" finden. Eine puristische, zuweilen in der Groteske mündende Sprache charakterisiert auch den letzten Teil der zehnbändigen Werkausgabe des Autors.
Es sind überwiegend biografische Selbstauskünfte, die dieser letzte der insgesamt zehn Bände umfassenden Werkausgabe von Edgar Hilsenrath versammelt. Essayistische Artikel, Buchbesprechungen, aber auch Prosapassagen runden diese spät gekommene, dafür um so verdienstvollere Präsentation eines der wesentlichen Autoren der deutschen Literatur ab.

Auch in diesen Texten treten die zwei stilistischen "Hauptschlagadern" Hilsenraths deutlich hervor: Einerseits eine pure, nach höchster Klarheit strebende Sprache, die die Gedanken und Haltungen bündig formuliert und sich ihrer damit auch vergewissert. Man darf das nicht mit einer banalisierenden Einfachheit verwechseln.

Denn etwa jene aus den Romanen bekannten Frage-Antwort-Spiegelungen, die sich auch in dieser Prosa finden, verweisen in erster Linie auf den hinter dem Text liegenden schmerzhaften Prozess des Durchdringens, des Zu-Sich-Kommens. Am deutlichsten wohl in einem Text mit dem Titel "Das Gesicht des Fremden trägt meine Züge" (1981).

Das Ich erschafft sich ein Gegenüber, weil es nur mit Hilfe einer solchen "Verdoppelung" in der Lage ist, seine traumatischen Erinnerungen wachzurufen. Da geht es um die Jahre in Halle (Saale), die der jüdische Junge in äußerst feindseliger Umgebung verlebt und die erst ein Ende haben, als der Vater die Familie zu seinen Eltern in die (rumänische) Bukowina schickt. Das dort vorgefundene Paradies - jüdische Bevölkerungsmehrheit, Deutsch als hauptsächliche Umgangssprache - währt aber nur kurz.

Im Zuge des Zweiten Weltkriegs erfolgt die Deportation in ein Ghetto in der Ukraine. Das Überleben, die Flucht nach Palästina, dann in die USA, die Rückkehr nach Deutschland und der Beginn des Schreibens verdichten sich in diesem biografischen Dialog mit sich selbst zu einer intensiven Jahrhundert-Erfahrung.

Aus dieser Erfahrung ergibt sich die zweite literarische Hauptlinie Hilsenraths. Dieser Stoff des Lebens enthält die gräulichsten Untaten, zu denen sich die Menschheit befähigt gezeigt hat, also eigentlich Unfassbares. Dass das Geschehene unfassbar ist, aber doch zu einer Gestaltung drängt, führt bei Hilsenrath zur Groteske, zur Satire.

Immer hat das für Verstörungen gesorgt wie in seinem großem Roman "Der Nazi & der Friseur", aus dem in diesem Band eine später nicht verwendete Passage abgedruckt ist. Der deutsche Massenmörder, der gleichsam als Vorzeigejude in Israel Karriere macht, das hat eine Öffentlichkeit, die mühselig begonnen hatte, sich an die Erinnerungen heranzutasten, deutlich irritiert.

Eine kurze Szene aus diesem Band, "Die Palästinenser" (bisher unveröffentlicht), macht deutlich, dass es bei solchen Überhöhungen neben Erinnerung und Mahnung immer auch um das Aufwerfen und Ergründen einer letztlich universellen Frage geht: Wie kommt dieses absurde Verhängnis in die Welt, dass Menschen gegen ihresgleichen Gewalt anwenden?

Und deren Austragungsort war in erschreckendem Ausmaß der Holocaust, es war aber auch der Massenmord der Türken an den Armeniern - bei Hilsenrath Gegenstand des Romans "Das Märchen vom letzten Gedanken - oder eben der israelisch-palästinensische Konflikt.

Wie fragil ein Zustand der Gewaltlosigkeit sein kann, davon handelt die Titelerzählung. Sie beschreibt die Umstände von Lesungen, die den Autor Ende der 70er Jahre in einige Städte in Nordrhein-Westfalen führten, wo die massive Präsenz von protestierenden und offenkundig gewaltbereiten Neonazis fatal jene Atmosphäre reproduzierte, die schon die Kindheit dieses Autors geprägt hatte.

Rezensiert von Gregor Ziolkowski

Edgar Hilsenrath: Sie trommelten mit den Fäusten den Takt
Erzählungen
Dittrich Verlag, Berlin 2008
200 Seiten, 19,80 Euro