Das unkonventionelle Leben der Hannah R.
Ob es Hannah R. wirklich gibt, ist unklar. Aber das, was sie - tatsächlich oder angeblich - erlebt hat, zwischen Küche, Cabaret, Armenhaus und bewaffnetem Kampf, ist lesenswert: Sie war Schülerin des Malers Paul Klee, Köchin in der Bauhaus-Mensa und "Spartakistin".
Man kann darüber theoretisieren, ob es fiktionale Sachbücher geben kann. Wenn es so etwas gibt, dann ist diese Mischung aus Kochbuch, Zeit- und Kunstgeschichte und politischen Memoiren einer Bauhausschülerin namens Hannah R. ein Musterbeispiel. Die Autorin war nicht nur Schülerin von Paul Klee in der Weimarer Bauhauszeit von 1922 - 1925, sondern seit 1919 auch Bauhaus-Mensaköchin, Restaurantköchin, Catering-Unternehmerin für allerlei soziale und mildtätige Einrichtungen.
Und sie war "Spartakistin", was eher metaphorisch zu verstehen ist, war doch der "Spartakusbund" schon Ende 1919 in der KPD aufgegangen. Wer Hannah R. genau war, weiß man nicht. Die "Vorgeschichte" des im Ventil Verlag erschienen Bändchens gibt vor, dass der anonyme Autor das Material der Geschichte von Hannah R.s Enkelin bekommen hat, die ihm ein kleines Klee-Aquarell verkauft, das der Künstler wiederum unserer Heldin geschenkt hatte. Das kann eine Mystifikation sein – oder auch nicht.
Die Kombination von Kochrezepten, der Schilderungen des Zeitgeistes, der Protagonisten und des Klimas in einem der entscheidenden Labors der Moderne und der gewalttätigen politischen Ereignisse nach dem Ersten Weltkrieg, ist so verwunderlich letztendlich nicht: Das Bauhaus, dessen Programm es ja war, Kunst zu einem gesamt-lebensweltlichen Zusammenhang zu erklären, hatte in der Tat nicht nur revolutionäre Designs für den täglichen, auch kulinarischen Gebrauch entworfen - in einer großartigen Szene denkt Paul Klee zum Beispiel über einen perfekt gestalteten Teebecher nach, an dem man sich aber die Finger verbrennt. Es musste sich auch politisch positionieren, beziehungsweise zu verhindern suchen, politisch allzu sehr vereinnahmt zu werden.
Hannah R. schildert ihr unkonventionelles Leben zwischen Küche, Cabaret, Armenhaus und bewaffnetem Kampf extrem verdichtet. Keine Avantgarde, der sie nicht leibhaftig begegnet (Zelebritäten-Verzeichnis im Glossar), keine Schrift, die sie nicht kennt (Blochs "Geist der Utopie" und alles, was neu und aufregend ist), keine Diskussion, die sie nicht führt (über Revolution, Freud, Anarcho-Syndikalismus und über was immer man diskutierte), keine gewaltsame Gefangenenbefreiung, kein Überfall, den sie nicht mitmacht. Und keine kulinarische Sensation (marinierte Gänseleber), die sie auslässt. Ihre Rezepte sind keineswegs Arme-Leute-Küche. Die gibt es auch, allerdings in "veredelter" Fassung, aber letztlich konterkarieren die Rezepte ironisch und spöttisch die "realen Teile" – zu Rilke gibt es Grützwurst, bei Heidegger kommt Dorsch auf.
1925 reist sie aus Deutschland aus, 1956 verschwindet sie während des Ungarn-Aufstandes. Das Buch liest sich allerdings derart "modern", dass man skeptisch sein kann, was die Authentizität angeht. Auf der anderen Seite ist alles belegbar, penibel recherchiert (nach Stichproben), so dass wir wirklich eine in sich stimmige Kombination aus Zeitgeschichte und Kulinarik lesen. Spannend, unterhaltsam und mit subtilem Witz.
Besprochen von Thomas Wörtche
Anonym: "Die Rote Köchin. Geschichte und Kochrezepte einer spartakistischen Zelle am Bauhaus Weimar."
Aus dem Italienischen von Ambros Waibel
Ventil Verlag, Mainz 2012
223 Seiten, 15,90 Euro
Und sie war "Spartakistin", was eher metaphorisch zu verstehen ist, war doch der "Spartakusbund" schon Ende 1919 in der KPD aufgegangen. Wer Hannah R. genau war, weiß man nicht. Die "Vorgeschichte" des im Ventil Verlag erschienen Bändchens gibt vor, dass der anonyme Autor das Material der Geschichte von Hannah R.s Enkelin bekommen hat, die ihm ein kleines Klee-Aquarell verkauft, das der Künstler wiederum unserer Heldin geschenkt hatte. Das kann eine Mystifikation sein – oder auch nicht.
Die Kombination von Kochrezepten, der Schilderungen des Zeitgeistes, der Protagonisten und des Klimas in einem der entscheidenden Labors der Moderne und der gewalttätigen politischen Ereignisse nach dem Ersten Weltkrieg, ist so verwunderlich letztendlich nicht: Das Bauhaus, dessen Programm es ja war, Kunst zu einem gesamt-lebensweltlichen Zusammenhang zu erklären, hatte in der Tat nicht nur revolutionäre Designs für den täglichen, auch kulinarischen Gebrauch entworfen - in einer großartigen Szene denkt Paul Klee zum Beispiel über einen perfekt gestalteten Teebecher nach, an dem man sich aber die Finger verbrennt. Es musste sich auch politisch positionieren, beziehungsweise zu verhindern suchen, politisch allzu sehr vereinnahmt zu werden.
Hannah R. schildert ihr unkonventionelles Leben zwischen Küche, Cabaret, Armenhaus und bewaffnetem Kampf extrem verdichtet. Keine Avantgarde, der sie nicht leibhaftig begegnet (Zelebritäten-Verzeichnis im Glossar), keine Schrift, die sie nicht kennt (Blochs "Geist der Utopie" und alles, was neu und aufregend ist), keine Diskussion, die sie nicht führt (über Revolution, Freud, Anarcho-Syndikalismus und über was immer man diskutierte), keine gewaltsame Gefangenenbefreiung, kein Überfall, den sie nicht mitmacht. Und keine kulinarische Sensation (marinierte Gänseleber), die sie auslässt. Ihre Rezepte sind keineswegs Arme-Leute-Küche. Die gibt es auch, allerdings in "veredelter" Fassung, aber letztlich konterkarieren die Rezepte ironisch und spöttisch die "realen Teile" – zu Rilke gibt es Grützwurst, bei Heidegger kommt Dorsch auf.
1925 reist sie aus Deutschland aus, 1956 verschwindet sie während des Ungarn-Aufstandes. Das Buch liest sich allerdings derart "modern", dass man skeptisch sein kann, was die Authentizität angeht. Auf der anderen Seite ist alles belegbar, penibel recherchiert (nach Stichproben), so dass wir wirklich eine in sich stimmige Kombination aus Zeitgeschichte und Kulinarik lesen. Spannend, unterhaltsam und mit subtilem Witz.
Besprochen von Thomas Wörtche
Anonym: "Die Rote Köchin. Geschichte und Kochrezepte einer spartakistischen Zelle am Bauhaus Weimar."
Aus dem Italienischen von Ambros Waibel
Ventil Verlag, Mainz 2012
223 Seiten, 15,90 Euro