"Das unordentlichste und lustigste Buch über Deutschland"
In seinem Buch "Wir Deutschen - Warum uns die anderen gern haben können" plädiert der "Spiegel"-Journalist Matthias Matussek für einen unverkrampfteren Patriotismus. Man habe sich hier zu lange damit aufgehalten, was alles schlecht sei. Dabei gäbe es doch den Kölner Dom, die deutsche Sprache oder Beethovens "Neunte". Das Buch versammelt neben Reisereportagen auch Interviews mit John le Carré, Sarah Kuttner oder Harald Schmidt.
Von Billerbeck: Nichts stimuliert die Liebe zum Vaterland so sehr, als wenn man es ständig gegen Klischees und Herabsetzungen zu verteidigen hat. So schreibt einer, der die längste Zeit der vergangenen anderthalb Jahrzehnte im Ausland gelebt hat, in Brasilien, den USA und in Großbritannien – und das vermutlich dort tun musste, das Vaterland verteidigen. Matthias Matussek war Korrespondent und leitet jetzt als einer von zweien das Kulturressort des "Spiegel". Vor 16 Jahren erschien sein Buch "Palasthotel", das damals Reportagen über die Zeit nach dem Mauerfall versammelte. Und jetzt hat er ein Buch geschrieben, das heißt "Wir Deutschen. Warum uns die anderen gern haben können". Matthias Matussek ist jetzt hier im Studio. Guten Morgen, Herr Matussek!
Matussek: Guten Morgen!
Von Billerbeck: Es ist nicht das einzige Buch über Deutschland in diesen Jahren, aber das beste. Sie müssen jetzt nicht denken, dass ich hier einen Kniefall vor meinem Studiogast mache, nö, so einen Satz habe natürlich nicht ich mir ausgedacht, sondern der Autor des Buches, also Sie, Herr Matussek. Warum ist Ihres das beste Buch über Deutschland?
Matussek: Was heißt natürlich? Sie wissen es doch gar nicht. Es könnte doch sein, dass es das Beste ist.
Von Billerbeck: Sie haben es aber erstmal behauptet. Jetzt wollen wir die Begründung dafür hören.
Matussek: Ich habe gesagt, es war … der ironische Auftakt zu einem witzigen Artikel über ... zu dem Kapitel Humor, deutscher Humor. Und ich habe Bezug genommen auf diverse andere Autoren und ihre Bücher und einer war so sauer darüber, dass ich den Titel seines Buches falsch geschrieben habe, was wirklich eine Sünde ist, für die ich mich nur entschuldigen kann, dass er mir in der "Welt" mordsmäßig eins rübergekloppt hat, die Leser verstehen dann solche Hintergründe nicht. Nein, ich habe einfach eine, ich nenne das eine Lockerungsübung. Wir haben, wie Sie richtig sagten, in Deutschland die Tradition der Selbstgeißelung zur Perfektion getrieben. Wir haben wahrscheinlich auch allen Grund dazu gehabt. Ich habe in meinen Auslandsaufenthalten feststellen können, wie notwendig und wie gerne die anderen Länder zur Selbstfeier schreiten, ob das der Unabhängigkeitstag in Amerika ist, in England wird sogar der Sieg von Trafalgar gefeiert, alle Jubiläen sind recht, dass die Nation sich ab und zu selber auf die Schultern klopft. Diese Form von kultureller Affirmation und Bestätigung ist, glaube ich, für eine Nation so wichtig wie für ein Kind. Und, ja, dieses Buch ist ... versucht sich einfach mal zu überlegen, was bei uns klappt und was gut ist. Wir haben ja die letzten vier, fünf Jahre damit verbracht auseinander zu nehmen, was in Deutschland schlecht ist. Also wir haben die große betriebswirtschaftliche Rechnung aufgestellt und haben gesagt ...
Von Billerbeck: ... unter anderem einer Ihrer "Spiegel"-Kollegen ...
Matussek: ... ja, aber nicht nur, .... reformunfähig und so weiter. Und es ist klar, dass dann die Stimmung in den Keller geht, und wenn dann Schröder auch noch sagt, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und das Wirtschaftswachstum zu steigern, streichen wir mal schnell den Tag der Deutschen Einheit als Feiertag, dann ist das meiner Ansicht nach ein Signal dafür, dass wir da ... dass das ziemlich neurotisch ist bei uns. Und deshalb, ich glaube, dass ist, Sie werden das bestätigen können, wahrscheinlich nicht das bedeutendste, aber sicher das unordentlichste und lustigste Buch, das derzeit über Deutschland auf dem Markt ist.
Von Billerbeck: Als ich den Satz in Ihrem Buch von Ihrer Deutschwerdung las, da musste ich einigermaßen grienen, denn Deutschwerdung, das klang in meinen Ohren ein bisschen so ähnlich wie Menschwerdung des Affen. Nun, da ich ja aus dem Osten bin, erinnere ich mich noch an ein sowjetisches Buch, das hieß "Der wahre Mensch", bei Ihnen könnte man denken, dass erst der Patriot der wahre Mensch sei. Ist das so?
Matussek: Nö, das ist nicht richtig, wenn Sie ... aber ... haben Sie das Buch gelesen?
Von Billerbeck: Ihres? Ja.
Matussek: Dann werden Sie feststellen, dass es ein ganz unordentliches, wenn Sie so wollen auch unpatriotisches Buch ist. Es ist sehr ironisch, das hat sehr viele Reisereportagen, das hat Gespräche mit John le Carré, mit Sarah Kuttner, mit Harald Schmidt, die sehr komisch sind, und sich sehr, natürlich auch ironisch, über Deutschland auseinander setzen. Meine Frau übrigens ist auch aus dem Osten und ...
Von Billerbeck: ... das steht da öfter drin in dem Buch.
Matussek: Ja, genau. Es ist auch der letzte Satz, gilt ihr, und das ist das Erstaunliche für mich gewesen, sie ist aus dem Osten, ich aus dem Westen, wir haben uns im Jahr des Mauerfalls getroffen, und wir kannten damals in unserem Vokabular nur Ostdeutschland und Westdeutschland. Seit 15 Jahren gibt es Deutschland und das ist schon ganz was Merkwürdiges. Und das ist mit einer ganzen Menge von Verkrampfung verbunden. Und dieses Buch schildert ja auch eine Reise, es schildert ja auch eine Bewusstwerdung, und wenn Sie den letzten Satz des Buches sich angucken, der lautet, da sind wir beide im Hotelzimmer und ... im Palasthotel ... und machen dieses Ost-West-Spiel und das Alphabet durch, dann heißt es hier, "viel später bat ich sie jetzt einen unverkrampften Satz über Deutschland zu sagen, aber sie war schon eingeschlafen. Sie sah sehr schön aus. Sie war der Satz." Also, bei mir ist diese Deutschwerdung eine sehr private Geschichte auch, ... ist die Geschichte auch unserer Ehe. Und ich glaube, dass ist das ... die einzige Aussage, die man treffen kann, ist über das eigene Leben erstmal. Und mein Leben war eben so, dass ich mir bis zum Mauerfall kaum Gedanken darüber gemacht habe, ob ich deutsch bin, ich wollte eher Amerikaner sein. Ja, ich habe erst durch den Mauerfall, dadurch dass mir ein Amerikaner auf die Schulter geklopft hat, und gesagt hat, "you must be very happy to be a german these days", "Sie müssen sehr glücklich sein, Deutscher zu sein", ist mir überhaupt klar geworden, ich bin Deutscher. Und dann begann die Reise, was ist das wohl, ein Deutscher?
Von Billerbeck: Wie viele Jahre hat das gedauert. Sie sind ja nicht als Deutscher geboren, sozusagen, als deutscher Patriot nicht geboren, sagen wir mal so.
Matussek: Absolut nicht. Ich komme aus der, na, linken Ecke, der internationalistischen Ecke und ich merke heute aber, dass der Internationalismus auch eine, sagen wir mal, eine reaktionäre Angelegenheit ist oder sein kann und dass Nation und Nationalbewusstsein eine Widerstandsformel sein kann. Ich glaube, wir leben in einer Zeit der Globalisierung, in der nur das Finanzkapital international operiert, während die Arbeiterschaften jeweils national sind. Das heißt, wir müssen das irgendwie leben, wir müssen das einrichten, was wir haben. Und die spannende Frage ist, was ist das eigentlich, was wir haben. Das haben die Leute vergessen. Was ist .... Es war eine türkische Kollegin, die kürzlich gesagt hatte, warum sollen wir uns denn mit Deutschland identifizieren, wenn selbst es die Deutschen nicht schaffen. Und da ist ein großes neurotisches Problem glaube ich. Wir müssen mal definieren, was ist denn deutsch, wer sind wir, was ist unser Erbe, was macht uns aus. Das ist ein bisschen mehr als der kostenlose Zahnersatz. Vielleicht hängt es auch mit dem Kölner Dom zusammen, mit unserer Sprache, mit Beethovens Neunte, das sind ja alles Sachen, wo man sagen kann, hm, eigentlich ganz schön, dass wir das haben.
Von Billerbeck: Im Radiofeuilleton sprechen wir mit dem Journalisten und Autor Matthias Matussek, der in seinem Buch "Wir Deutschen. Warum uns die andern gern haben können" für einen unverkrampfteren Patriotismus plädiert. Michael Naumann hat Sie in seiner "Zeit"-Rezension Ihres Buches den "Trotz-Deutschen" genannt. Wann war der Moment, dass Sie wussten, dass Sie ein deutscher Patriot sind?
Matussek: Das verblüffende bei den, lassen Sie mich das kurz anfügen, bei den Kritiken über mein Buch ist, dass die ganze Spannbreite vertreten ist, alle finden das ganz, eigentlich ganz prima, die "Zeit", Sie erwähnten das schon, Meik Nauman war eigentlich eine ganz positive Reaktion, die "FAZ" hat toll geschrieben, aber selbst die "Bild-Zeitung" jubelt, also die "Süddeutsche" hat gut geschrieben...
Von Billerbeck: ... das ist eigentlich nicht verwunderlich
Matussek: Ja, nee, nee ...
Von Billerbeck: ... Wir sind Papst, denken Sie an das Schwarz-Rot-Gold und ...
Matussek: ... es ist verwunderlich, wenn das gleichzeitig auch in der "Süddeutschen" bejubelt wird. Das heißt, alle denken, ich hätte ein Buch für ihre Gruppe geschrieben, für ihre Leserschaft. Die liberale "Zeit", die … das eher links-pop-gerichtete Feuilleton der "Süddeutschen", seriöse "FAZ", alle denken, ich habe ein Buch genau für sie geschrieben ...
Von Billerbeck: ... machen Sie sich da nicht Sorgen?
Matussek: Nee. Und das finde ich ein Phänomen. Offenbar ist bei allen ein Bedürfnis, bei allen diesen Leserschaften, ein Bedürfnis danach, dass da jemand kommt, der mal, sozusagen, den Gegenkatalog aufmacht und sagt, hm, das ist prima, das sind meine Erfahrungen gewesen, das ist doch ganz prima und wenn Sie fragen, wann hat das angefangen bei mir mit Deutschland, ich sage es ja in dem Buch, besonders extrem natürlich in Großbritannien, wo du jeden zweiten Tag damit konfrontiert bist, dass du eigentlich noch Nazi bist und im Eichenwald lebst und vom Baum geschüttelt wirst, und dann dauernd sagen musst, nö, wir haben eigentlich eine schöne reiche demokratische Geschichte außerhalb dieser zwölf dunklen Jahre.
Von Billerbeck: Was Ihr Buch betrifft, da wussten anders als der bekannte Slogan, das behauptet nicht "Spiegel"-Leser mehr, sondern die der "Welt am Sonntag", wenn ich mich nicht täusche, denn dort wurde es vorab gedruckt, wurde Ihr Patriotismus in der "Spiegel"-Redaktion weniger geschätzt als anderswo?
Matussek: Nö, kann man nicht sagen, also klar gibt es bei uns ... weil wir lauter vernünftige, oder erwachsene Individuen sind oder unterschiedliche Meinungen dazu, und sicher hat nicht alles, was ich schreibe, wirklich die große Mehrheit hinter sich, aber das ist ja das Tolle beim "Spiegel", dass man auch sehr antagonistisch und provokativ sein kann, dafür gibt es andere, die das ganz toll finden. Und ich glaube, das ist das ... das Privileg in jeder Kulturredaktion, sicher auch bei euch hier, dass man provozieren kann, Dinge sagen kann und verlegen kann, die jetzt, sagen wir mal, nicht unbedingt die, sozusagen die politische Frontpage machen, aber hinten im Kulturteil darf man über alles Mögliche nachdenken und das ist ja das prima.
Von Billerbeck: Nach der Olympia-Vergabe an London anstatt Leipzig, da haben sie in einem Artikel gewitzelt, dass diesem Land, also England, einfach alles gelinge, sie rotten gemeinsam, mit Bush im Irak den Terrorismus aus, sie schaffen mit einem Popkonzert den Hunger in Afrika ab und jetzt gibt man auch noch die Olympischen Spiele an sie und nicht an Leipzig. Wahrscheinlich werden sie jetzt übermütig und greifen als nächstes Schleswig-Holstein an und werden eine Gefahr für den Weltfrieden. Was haben Sie gegen Schleswig-Holstein?
Matussek: Ich habe noch dazugefügt, nicht, dass es schade wäre um Schleswig-Holstein ...
Von Billerbeck: ... ja eben, Sie haben es noch verstärkt.
Matussek: ... aber, es geht ums Prinzip. Und es hat mir in der Daily Mail eine ganz Seit eingetragen, wo darauf stand, "German envois brother, savage is Britan, also "der Bruder des deutschen Botschafters beleidigt Großbritannien" und darunter, es war ein Foto von Winston Churchill mit dem gespreizten Victory-Zeichen abgebildet, ich habe mich totgelacht, als ich das gesehen habe. Und da habe ich gemerkt, dass die Engländer ganz im Gegensatz zu ihrer eigenen Propaganda überhaupt keinen Humor haben, wenn sie mal hart angefasst werden, oder ironisch angefasst werden. Wenn sie ... andere es .. sozusagen aus den Socken hauen und schreien aua, haben die keinen Humor, aber wenn sie selber angegangen werden, wird sofort Churchill bemüht. Die "Sunday Times" hat dann noch nachgelegt, und die haben die Abberufung meines Bruders verlangt für diesen Vorfall, und das war eigentlich ganz wunderbar.
Von Billerbeck: Das Deutsche Historische Museum wird am Donnerstag seine neue Ausstellung eröffnen, die haben Sie schon gesehen, ist die Ihnen patriotisch genug?
Matussek: Nö, ich habe nicht danach geguckt, ob die patriotisch ist, aber es ist die erste zusammenhängende Show Deutscher Geschichte. Der Plan ist 20 Jahre alt, vor Mauerfall noch gefasst, die Weltgeschichte hat sich seitdem weitergedreht und seitdem gibt es tatsächlich Deutschland und nun war es spannend zu erleben, wie, sozusagen unser eigenes Bild ist, welche historische Selbstvergewisserung wir haben und ich finde es sehr gelungen, weil sie überhaupt nicht triumphalistisch ist, weil sie den Verbrechen der Nazi-Zeit großen Raum einräumt, und das sehr gut macht, weil sie aber auch klar macht, wie reich und wie toll deutsche Geschichte ist, mitteleuropäische Geschichte, also Wallenstein, vor Wallensteins Säbel zu stehen, oder in den Zweispitz von Napoleon reinzugucken, den Blücher, in der Schlacht von Waterloo erbeutet hat, und solche Sachen, das ist schon ganz, ganz toll und ich muss sagen, ich habe da so den einen oder andern Schauer gekriegt.
Von Billerbeck: Im Radiofeuilleton sprachen wir mit dem "Spiegel"-Journalisten und Buchautoren Matthias Matussek, der in seinem neuen Buch erklärt, warum uns die andern Völker wirklich gern haben können. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Matussek: Gerne, schön.
Matussek: Guten Morgen!
Von Billerbeck: Es ist nicht das einzige Buch über Deutschland in diesen Jahren, aber das beste. Sie müssen jetzt nicht denken, dass ich hier einen Kniefall vor meinem Studiogast mache, nö, so einen Satz habe natürlich nicht ich mir ausgedacht, sondern der Autor des Buches, also Sie, Herr Matussek. Warum ist Ihres das beste Buch über Deutschland?
Matussek: Was heißt natürlich? Sie wissen es doch gar nicht. Es könnte doch sein, dass es das Beste ist.
Von Billerbeck: Sie haben es aber erstmal behauptet. Jetzt wollen wir die Begründung dafür hören.
Matussek: Ich habe gesagt, es war … der ironische Auftakt zu einem witzigen Artikel über ... zu dem Kapitel Humor, deutscher Humor. Und ich habe Bezug genommen auf diverse andere Autoren und ihre Bücher und einer war so sauer darüber, dass ich den Titel seines Buches falsch geschrieben habe, was wirklich eine Sünde ist, für die ich mich nur entschuldigen kann, dass er mir in der "Welt" mordsmäßig eins rübergekloppt hat, die Leser verstehen dann solche Hintergründe nicht. Nein, ich habe einfach eine, ich nenne das eine Lockerungsübung. Wir haben, wie Sie richtig sagten, in Deutschland die Tradition der Selbstgeißelung zur Perfektion getrieben. Wir haben wahrscheinlich auch allen Grund dazu gehabt. Ich habe in meinen Auslandsaufenthalten feststellen können, wie notwendig und wie gerne die anderen Länder zur Selbstfeier schreiten, ob das der Unabhängigkeitstag in Amerika ist, in England wird sogar der Sieg von Trafalgar gefeiert, alle Jubiläen sind recht, dass die Nation sich ab und zu selber auf die Schultern klopft. Diese Form von kultureller Affirmation und Bestätigung ist, glaube ich, für eine Nation so wichtig wie für ein Kind. Und, ja, dieses Buch ist ... versucht sich einfach mal zu überlegen, was bei uns klappt und was gut ist. Wir haben ja die letzten vier, fünf Jahre damit verbracht auseinander zu nehmen, was in Deutschland schlecht ist. Also wir haben die große betriebswirtschaftliche Rechnung aufgestellt und haben gesagt ...
Von Billerbeck: ... unter anderem einer Ihrer "Spiegel"-Kollegen ...
Matussek: ... ja, aber nicht nur, .... reformunfähig und so weiter. Und es ist klar, dass dann die Stimmung in den Keller geht, und wenn dann Schröder auch noch sagt, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und das Wirtschaftswachstum zu steigern, streichen wir mal schnell den Tag der Deutschen Einheit als Feiertag, dann ist das meiner Ansicht nach ein Signal dafür, dass wir da ... dass das ziemlich neurotisch ist bei uns. Und deshalb, ich glaube, dass ist, Sie werden das bestätigen können, wahrscheinlich nicht das bedeutendste, aber sicher das unordentlichste und lustigste Buch, das derzeit über Deutschland auf dem Markt ist.
Von Billerbeck: Als ich den Satz in Ihrem Buch von Ihrer Deutschwerdung las, da musste ich einigermaßen grienen, denn Deutschwerdung, das klang in meinen Ohren ein bisschen so ähnlich wie Menschwerdung des Affen. Nun, da ich ja aus dem Osten bin, erinnere ich mich noch an ein sowjetisches Buch, das hieß "Der wahre Mensch", bei Ihnen könnte man denken, dass erst der Patriot der wahre Mensch sei. Ist das so?
Matussek: Nö, das ist nicht richtig, wenn Sie ... aber ... haben Sie das Buch gelesen?
Von Billerbeck: Ihres? Ja.
Matussek: Dann werden Sie feststellen, dass es ein ganz unordentliches, wenn Sie so wollen auch unpatriotisches Buch ist. Es ist sehr ironisch, das hat sehr viele Reisereportagen, das hat Gespräche mit John le Carré, mit Sarah Kuttner, mit Harald Schmidt, die sehr komisch sind, und sich sehr, natürlich auch ironisch, über Deutschland auseinander setzen. Meine Frau übrigens ist auch aus dem Osten und ...
Von Billerbeck: ... das steht da öfter drin in dem Buch.
Matussek: Ja, genau. Es ist auch der letzte Satz, gilt ihr, und das ist das Erstaunliche für mich gewesen, sie ist aus dem Osten, ich aus dem Westen, wir haben uns im Jahr des Mauerfalls getroffen, und wir kannten damals in unserem Vokabular nur Ostdeutschland und Westdeutschland. Seit 15 Jahren gibt es Deutschland und das ist schon ganz was Merkwürdiges. Und das ist mit einer ganzen Menge von Verkrampfung verbunden. Und dieses Buch schildert ja auch eine Reise, es schildert ja auch eine Bewusstwerdung, und wenn Sie den letzten Satz des Buches sich angucken, der lautet, da sind wir beide im Hotelzimmer und ... im Palasthotel ... und machen dieses Ost-West-Spiel und das Alphabet durch, dann heißt es hier, "viel später bat ich sie jetzt einen unverkrampften Satz über Deutschland zu sagen, aber sie war schon eingeschlafen. Sie sah sehr schön aus. Sie war der Satz." Also, bei mir ist diese Deutschwerdung eine sehr private Geschichte auch, ... ist die Geschichte auch unserer Ehe. Und ich glaube, dass ist das ... die einzige Aussage, die man treffen kann, ist über das eigene Leben erstmal. Und mein Leben war eben so, dass ich mir bis zum Mauerfall kaum Gedanken darüber gemacht habe, ob ich deutsch bin, ich wollte eher Amerikaner sein. Ja, ich habe erst durch den Mauerfall, dadurch dass mir ein Amerikaner auf die Schulter geklopft hat, und gesagt hat, "you must be very happy to be a german these days", "Sie müssen sehr glücklich sein, Deutscher zu sein", ist mir überhaupt klar geworden, ich bin Deutscher. Und dann begann die Reise, was ist das wohl, ein Deutscher?
Von Billerbeck: Wie viele Jahre hat das gedauert. Sie sind ja nicht als Deutscher geboren, sozusagen, als deutscher Patriot nicht geboren, sagen wir mal so.
Matussek: Absolut nicht. Ich komme aus der, na, linken Ecke, der internationalistischen Ecke und ich merke heute aber, dass der Internationalismus auch eine, sagen wir mal, eine reaktionäre Angelegenheit ist oder sein kann und dass Nation und Nationalbewusstsein eine Widerstandsformel sein kann. Ich glaube, wir leben in einer Zeit der Globalisierung, in der nur das Finanzkapital international operiert, während die Arbeiterschaften jeweils national sind. Das heißt, wir müssen das irgendwie leben, wir müssen das einrichten, was wir haben. Und die spannende Frage ist, was ist das eigentlich, was wir haben. Das haben die Leute vergessen. Was ist .... Es war eine türkische Kollegin, die kürzlich gesagt hatte, warum sollen wir uns denn mit Deutschland identifizieren, wenn selbst es die Deutschen nicht schaffen. Und da ist ein großes neurotisches Problem glaube ich. Wir müssen mal definieren, was ist denn deutsch, wer sind wir, was ist unser Erbe, was macht uns aus. Das ist ein bisschen mehr als der kostenlose Zahnersatz. Vielleicht hängt es auch mit dem Kölner Dom zusammen, mit unserer Sprache, mit Beethovens Neunte, das sind ja alles Sachen, wo man sagen kann, hm, eigentlich ganz schön, dass wir das haben.
Von Billerbeck: Im Radiofeuilleton sprechen wir mit dem Journalisten und Autor Matthias Matussek, der in seinem Buch "Wir Deutschen. Warum uns die andern gern haben können" für einen unverkrampfteren Patriotismus plädiert. Michael Naumann hat Sie in seiner "Zeit"-Rezension Ihres Buches den "Trotz-Deutschen" genannt. Wann war der Moment, dass Sie wussten, dass Sie ein deutscher Patriot sind?
Matussek: Das verblüffende bei den, lassen Sie mich das kurz anfügen, bei den Kritiken über mein Buch ist, dass die ganze Spannbreite vertreten ist, alle finden das ganz, eigentlich ganz prima, die "Zeit", Sie erwähnten das schon, Meik Nauman war eigentlich eine ganz positive Reaktion, die "FAZ" hat toll geschrieben, aber selbst die "Bild-Zeitung" jubelt, also die "Süddeutsche" hat gut geschrieben...
Von Billerbeck: ... das ist eigentlich nicht verwunderlich
Matussek: Ja, nee, nee ...
Von Billerbeck: ... Wir sind Papst, denken Sie an das Schwarz-Rot-Gold und ...
Matussek: ... es ist verwunderlich, wenn das gleichzeitig auch in der "Süddeutschen" bejubelt wird. Das heißt, alle denken, ich hätte ein Buch für ihre Gruppe geschrieben, für ihre Leserschaft. Die liberale "Zeit", die … das eher links-pop-gerichtete Feuilleton der "Süddeutschen", seriöse "FAZ", alle denken, ich habe ein Buch genau für sie geschrieben ...
Von Billerbeck: ... machen Sie sich da nicht Sorgen?
Matussek: Nee. Und das finde ich ein Phänomen. Offenbar ist bei allen ein Bedürfnis, bei allen diesen Leserschaften, ein Bedürfnis danach, dass da jemand kommt, der mal, sozusagen, den Gegenkatalog aufmacht und sagt, hm, das ist prima, das sind meine Erfahrungen gewesen, das ist doch ganz prima und wenn Sie fragen, wann hat das angefangen bei mir mit Deutschland, ich sage es ja in dem Buch, besonders extrem natürlich in Großbritannien, wo du jeden zweiten Tag damit konfrontiert bist, dass du eigentlich noch Nazi bist und im Eichenwald lebst und vom Baum geschüttelt wirst, und dann dauernd sagen musst, nö, wir haben eigentlich eine schöne reiche demokratische Geschichte außerhalb dieser zwölf dunklen Jahre.
Von Billerbeck: Was Ihr Buch betrifft, da wussten anders als der bekannte Slogan, das behauptet nicht "Spiegel"-Leser mehr, sondern die der "Welt am Sonntag", wenn ich mich nicht täusche, denn dort wurde es vorab gedruckt, wurde Ihr Patriotismus in der "Spiegel"-Redaktion weniger geschätzt als anderswo?
Matussek: Nö, kann man nicht sagen, also klar gibt es bei uns ... weil wir lauter vernünftige, oder erwachsene Individuen sind oder unterschiedliche Meinungen dazu, und sicher hat nicht alles, was ich schreibe, wirklich die große Mehrheit hinter sich, aber das ist ja das Tolle beim "Spiegel", dass man auch sehr antagonistisch und provokativ sein kann, dafür gibt es andere, die das ganz toll finden. Und ich glaube, das ist das ... das Privileg in jeder Kulturredaktion, sicher auch bei euch hier, dass man provozieren kann, Dinge sagen kann und verlegen kann, die jetzt, sagen wir mal, nicht unbedingt die, sozusagen die politische Frontpage machen, aber hinten im Kulturteil darf man über alles Mögliche nachdenken und das ist ja das prima.
Von Billerbeck: Nach der Olympia-Vergabe an London anstatt Leipzig, da haben sie in einem Artikel gewitzelt, dass diesem Land, also England, einfach alles gelinge, sie rotten gemeinsam, mit Bush im Irak den Terrorismus aus, sie schaffen mit einem Popkonzert den Hunger in Afrika ab und jetzt gibt man auch noch die Olympischen Spiele an sie und nicht an Leipzig. Wahrscheinlich werden sie jetzt übermütig und greifen als nächstes Schleswig-Holstein an und werden eine Gefahr für den Weltfrieden. Was haben Sie gegen Schleswig-Holstein?
Matussek: Ich habe noch dazugefügt, nicht, dass es schade wäre um Schleswig-Holstein ...
Von Billerbeck: ... ja eben, Sie haben es noch verstärkt.
Matussek: ... aber, es geht ums Prinzip. Und es hat mir in der Daily Mail eine ganz Seit eingetragen, wo darauf stand, "German envois brother, savage is Britan, also "der Bruder des deutschen Botschafters beleidigt Großbritannien" und darunter, es war ein Foto von Winston Churchill mit dem gespreizten Victory-Zeichen abgebildet, ich habe mich totgelacht, als ich das gesehen habe. Und da habe ich gemerkt, dass die Engländer ganz im Gegensatz zu ihrer eigenen Propaganda überhaupt keinen Humor haben, wenn sie mal hart angefasst werden, oder ironisch angefasst werden. Wenn sie ... andere es .. sozusagen aus den Socken hauen und schreien aua, haben die keinen Humor, aber wenn sie selber angegangen werden, wird sofort Churchill bemüht. Die "Sunday Times" hat dann noch nachgelegt, und die haben die Abberufung meines Bruders verlangt für diesen Vorfall, und das war eigentlich ganz wunderbar.
Von Billerbeck: Das Deutsche Historische Museum wird am Donnerstag seine neue Ausstellung eröffnen, die haben Sie schon gesehen, ist die Ihnen patriotisch genug?
Matussek: Nö, ich habe nicht danach geguckt, ob die patriotisch ist, aber es ist die erste zusammenhängende Show Deutscher Geschichte. Der Plan ist 20 Jahre alt, vor Mauerfall noch gefasst, die Weltgeschichte hat sich seitdem weitergedreht und seitdem gibt es tatsächlich Deutschland und nun war es spannend zu erleben, wie, sozusagen unser eigenes Bild ist, welche historische Selbstvergewisserung wir haben und ich finde es sehr gelungen, weil sie überhaupt nicht triumphalistisch ist, weil sie den Verbrechen der Nazi-Zeit großen Raum einräumt, und das sehr gut macht, weil sie aber auch klar macht, wie reich und wie toll deutsche Geschichte ist, mitteleuropäische Geschichte, also Wallenstein, vor Wallensteins Säbel zu stehen, oder in den Zweispitz von Napoleon reinzugucken, den Blücher, in der Schlacht von Waterloo erbeutet hat, und solche Sachen, das ist schon ganz, ganz toll und ich muss sagen, ich habe da so den einen oder andern Schauer gekriegt.
Von Billerbeck: Im Radiofeuilleton sprachen wir mit dem "Spiegel"-Journalisten und Buchautoren Matthias Matussek, der in seinem neuen Buch erklärt, warum uns die andern Völker wirklich gern haben können. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Matussek: Gerne, schön.