Das unsinnige Geschäft mit der Molke
Welches Getränk zeichnet sich seit Jahrzehnten durch Erfolglosigkeit aus? Und dennoch pumpt die Lebensmittelwirtschaft ein ums andere Mal Geld in Produktentwicklung und Werbung, um endlich den langersehnten Durchbruch zu schaffen? Es sind die Molkedrinks, die immer wieder aufs Neue mit einem ultimativen Geschmack in hipper Verpackung auf Kundschaft hoffen dürfen. Dabei war Molke schon seit alters her nur mit viel Überzeugungskraft als Nahrungsmittel zu vermarkten.
Tja, die Molke fällt an, wenn man Quark oder Käse auf traditionelle Weise herstellt. Es die Flüssigkeit, die sich abscheidet, wenn die Milch gerinnt. Darin enthalten sind Molkeneiweiß, Milchzucker sowie allerlei Mineralstoffe. Ihren leicht grünlichgelben Schimmer verdankt sie dem natürlichen Gehalt an Riboflavin, einem Lebensmittelfarbstoff, der im Range eines Vitamins steht. Jahr für Jahr fallen in Europa etwa acht Millionen Tonnen Molke an.
Zwar gilt Molke als traditionelles Naturheilmittel – aber das will nicht viel heißen. Schließlich gilt alles, was nicht schmeckt, als gesund. In aller Regel wurde die Molke auch nicht von Menschen genossen, sondern an Schweine verfüttert. Ansonsten war sie vor allem am Bau geschätzt, aber nicht als Alternative zum Bier, sondern um Lehm und Mörtel anzurühren. Das Molkeneiweiß wirkte als Binder, und damit wurde der Lehmputz an den Wänden wasserdicht und regenfest.
Die Blüte des Molkenkonsums begann im 19. Jahrhundert. Damals kamen Schweizer Senner auf die Idee, den Rückstand nicht mehr dem einheimischen Borstenvieh, sondern den deutschen Gästen zu kredenzen. Auslöser des Trends war die angebliche Wunderheilung eines Schwindsüchtigen durch Molke. Als daraufhin die Schweizer Ärzte die Heilkraft der grünlichen Flüssigkeit lobten, strömten immer mehr verzweifelte Patienten mit Lungertuberkulose in die Gebirgssanatorien.
Die Senner, die die Molke ins Tal schleppten, werden geschmunzelt haben über ihre Gäste, die viel Geld dafür bezahlten, dass sie das trinken durften, was sie auf der Alm als Spülwasser benutzten oder im Tal in den Schweinetrog gossen. Dabei war die Molke alles andere als ideal: Denn auch sie kann Tuberkulose auf den Menschen übertragen. Deshalb wechselte man zu Ziegenmolke, da das Meckervieh dafür nicht so anfällig ist.
Anfang des 20. Jahrhunderts ebbte die Molkeneuphorie wieder ab. Die Ärzte machten für den Kurerfolg nicht mehr die säuerliche Molke, sondern die würzige Bergluft verantwortlich. Und so konnte man vor fast genau 100 Jahren einem Lehrbuch der Ernährungstherapie folgende Einsicht entnehmen: "Molkenkuren, welche früher in hohem diätetischen Ansehen standen, ... sind jetzt fast ganz aus der Therapie verschwunden. ... Ihre Wirkung besteht lediglich in der Beförderung der Darmentleerung... Meist entsteht nach längerem Gebrauch größerer Mengen stärkerer Durchfall...".
Beim erneuten Versuch, die gelbliche Flüssigkeit wieder den Endverbrauchern anzudienen, scheiterte man ein ums andere Mal - auch dann, wenn der Geschmack durch Aromastoffe durchaus akzeptabel war. Offenbar enthalten sie etwas, was der Körper ablehnt. Der Verdacht fällt hier zuallererst auf die Molkeneiweiße: das mengenmäßig wichtigste Eiweiß, das ß-Lactoglobulin, ist auch die bedeutendste Ursache von Milchallergien.
Inzwischen haben die Molkereien eine neue Lösung auf den Weg gebracht: Bei der Herstellung von Milchprodukten wird der Milch per Ultrafiltration und Umkehrosmose nur noch das Wasser entzogen. Dadurch bleiben die Feststoffe als dickflüssige Masse zurück. Diese wird nun mit technischen Kunstgriffen direkt in das gewünschte Produkt wie Quark, Frischkäse oder Weichkäse umgewandelt. Dadurch fällt nur noch bei der Herstellung von Hartkäse Molke an. Die wird nun als Molkenpulver zu einem erklecklichen Teil über andere Lebensmittel wie Backwaren oder Pausenriegel dem Verbraucher untergejubelt. Mal sehen, ob das nicht nur den Preis senkt, sondern auch die Kundentreue vermindert. Egal wie – unsere Schweine stehen bei etwaigen Absatzproblemen schon erwartungsvoll bereit. Guten Appetit!
Literatur:
Abu A: Grundzüge der Ernährungstherapie. Enke, Stuttgart 1908
Wagner K.H.: Die Molke als Kurmittel sowie in der Diätetik und Ernährung. Deutsche Milchwirtschaft 1980 (48) Sonderdruck
Hofmann H.: Wie die Schweizer Alpenmilch die Welt eroberte. Bündner Anzeiger v. 15. August 2007, S. 17
Redaktionskollektiv: Lexikon der Ernährung. Spektrum, Heidelberg 2002
Bircher E.: Die Molkenkur in moderner Auffassung. Schweizerisches Zentralblatt für Milchwirtschaft 13. Oktober 1950, S. 233-234
Zwar gilt Molke als traditionelles Naturheilmittel – aber das will nicht viel heißen. Schließlich gilt alles, was nicht schmeckt, als gesund. In aller Regel wurde die Molke auch nicht von Menschen genossen, sondern an Schweine verfüttert. Ansonsten war sie vor allem am Bau geschätzt, aber nicht als Alternative zum Bier, sondern um Lehm und Mörtel anzurühren. Das Molkeneiweiß wirkte als Binder, und damit wurde der Lehmputz an den Wänden wasserdicht und regenfest.
Die Blüte des Molkenkonsums begann im 19. Jahrhundert. Damals kamen Schweizer Senner auf die Idee, den Rückstand nicht mehr dem einheimischen Borstenvieh, sondern den deutschen Gästen zu kredenzen. Auslöser des Trends war die angebliche Wunderheilung eines Schwindsüchtigen durch Molke. Als daraufhin die Schweizer Ärzte die Heilkraft der grünlichen Flüssigkeit lobten, strömten immer mehr verzweifelte Patienten mit Lungertuberkulose in die Gebirgssanatorien.
Die Senner, die die Molke ins Tal schleppten, werden geschmunzelt haben über ihre Gäste, die viel Geld dafür bezahlten, dass sie das trinken durften, was sie auf der Alm als Spülwasser benutzten oder im Tal in den Schweinetrog gossen. Dabei war die Molke alles andere als ideal: Denn auch sie kann Tuberkulose auf den Menschen übertragen. Deshalb wechselte man zu Ziegenmolke, da das Meckervieh dafür nicht so anfällig ist.
Anfang des 20. Jahrhunderts ebbte die Molkeneuphorie wieder ab. Die Ärzte machten für den Kurerfolg nicht mehr die säuerliche Molke, sondern die würzige Bergluft verantwortlich. Und so konnte man vor fast genau 100 Jahren einem Lehrbuch der Ernährungstherapie folgende Einsicht entnehmen: "Molkenkuren, welche früher in hohem diätetischen Ansehen standen, ... sind jetzt fast ganz aus der Therapie verschwunden. ... Ihre Wirkung besteht lediglich in der Beförderung der Darmentleerung... Meist entsteht nach längerem Gebrauch größerer Mengen stärkerer Durchfall...".
Beim erneuten Versuch, die gelbliche Flüssigkeit wieder den Endverbrauchern anzudienen, scheiterte man ein ums andere Mal - auch dann, wenn der Geschmack durch Aromastoffe durchaus akzeptabel war. Offenbar enthalten sie etwas, was der Körper ablehnt. Der Verdacht fällt hier zuallererst auf die Molkeneiweiße: das mengenmäßig wichtigste Eiweiß, das ß-Lactoglobulin, ist auch die bedeutendste Ursache von Milchallergien.
Inzwischen haben die Molkereien eine neue Lösung auf den Weg gebracht: Bei der Herstellung von Milchprodukten wird der Milch per Ultrafiltration und Umkehrosmose nur noch das Wasser entzogen. Dadurch bleiben die Feststoffe als dickflüssige Masse zurück. Diese wird nun mit technischen Kunstgriffen direkt in das gewünschte Produkt wie Quark, Frischkäse oder Weichkäse umgewandelt. Dadurch fällt nur noch bei der Herstellung von Hartkäse Molke an. Die wird nun als Molkenpulver zu einem erklecklichen Teil über andere Lebensmittel wie Backwaren oder Pausenriegel dem Verbraucher untergejubelt. Mal sehen, ob das nicht nur den Preis senkt, sondern auch die Kundentreue vermindert. Egal wie – unsere Schweine stehen bei etwaigen Absatzproblemen schon erwartungsvoll bereit. Guten Appetit!
Literatur:
Abu A: Grundzüge der Ernährungstherapie. Enke, Stuttgart 1908
Wagner K.H.: Die Molke als Kurmittel sowie in der Diätetik und Ernährung. Deutsche Milchwirtschaft 1980 (48) Sonderdruck
Hofmann H.: Wie die Schweizer Alpenmilch die Welt eroberte. Bündner Anzeiger v. 15. August 2007, S. 17
Redaktionskollektiv: Lexikon der Ernährung. Spektrum, Heidelberg 2002
Bircher E.: Die Molkenkur in moderner Auffassung. Schweizerisches Zentralblatt für Milchwirtschaft 13. Oktober 1950, S. 233-234