Das Versagen der Meinungsmacher
Bevor sich heute in der Hauptstadt der neu gewählte Bundestag konstituiert und eine neue Phase Berliner Bundespolitik beginnt, schaut Max Thomas Mehr zurück auf die Berichterstattung. Als Journalist bezweifelt er, dass seine Kollegen die Hand noch am Puls der Zeit haben.
Die Ergebnisse des spielerischen Experiments der "U18-Wahlen" in den Kreuzberger Schulen meiner beiden Kinder löste bei uns Eltern nachsichtiges Schmunzeln aus. Grüne, Linke und Piraten hatten das Rennen gemacht, dann erst folgten mit Abstand SPD und CDU. Die FDP kam gar nicht erst vor. Wie wäre eine solche Probewahl wohl unter uns Journalisten ausgegangen?
Eine Mehrheit unserer Zunft wäre vermutlich für eine Koalition aus SPD, Linken und Grünen, ein rot-rot-grünes Bündnis gewesen. Auch das Ende der Volksparteien in den Medien schien besiegelt, während die Nichtwähler zum größten Balken in den Wahldiagrammen herangewachsen waren. Was hätten sich daraus nicht alles für Schlagzeilen machen lassen!?
Doch die herablassend "Wahlvolk" genannte Gesellschaft hat anders entschieden. Sie hat die CDU/CSU fast zur absoluten Mehrheit geführt – von wegen Ende der Volksparteien. Sogar die Nichtwähler sind weniger geworden. Und Rot-Rot-Grün – hat eine Million Stimmen verloren!
Doch mehr noch als SPD, Linke und Grüne haben diejenigen verloren, die die Deutungshoheit über das politische Geschehen mitgestalten und die Politik kontrollieren sollen: Die Journalisten – also wir. Selten war die gefühlte Diskrepanz zwischen Lesern und Wählern, zwischen medialer Öffentlichkeit und Bürgern so groß.
Offenbar ist es nicht nur das Internet, das den klassischen Akteuren in den Redaktionsstuben das Leben schwer macht. Nun tickt auch noch die Gesellschaft anders. Uns Journalisten gelingt es immer weniger, unsere Rolle als Mittler zwischen Politik und Gesellschaft zu spielen. Auch die Kontrollfunktion, die den Medien in der Demokratie als vierte Gewalt zugeschrieben wird, schwindet.
Eine Mehrheit unserer Zunft wäre vermutlich für eine Koalition aus SPD, Linken und Grünen, ein rot-rot-grünes Bündnis gewesen. Auch das Ende der Volksparteien in den Medien schien besiegelt, während die Nichtwähler zum größten Balken in den Wahldiagrammen herangewachsen waren. Was hätten sich daraus nicht alles für Schlagzeilen machen lassen!?
Doch die herablassend "Wahlvolk" genannte Gesellschaft hat anders entschieden. Sie hat die CDU/CSU fast zur absoluten Mehrheit geführt – von wegen Ende der Volksparteien. Sogar die Nichtwähler sind weniger geworden. Und Rot-Rot-Grün – hat eine Million Stimmen verloren!
Doch mehr noch als SPD, Linke und Grüne haben diejenigen verloren, die die Deutungshoheit über das politische Geschehen mitgestalten und die Politik kontrollieren sollen: Die Journalisten – also wir. Selten war die gefühlte Diskrepanz zwischen Lesern und Wählern, zwischen medialer Öffentlichkeit und Bürgern so groß.
Offenbar ist es nicht nur das Internet, das den klassischen Akteuren in den Redaktionsstuben das Leben schwer macht. Nun tickt auch noch die Gesellschaft anders. Uns Journalisten gelingt es immer weniger, unsere Rolle als Mittler zwischen Politik und Gesellschaft zu spielen. Auch die Kontrollfunktion, die den Medien in der Demokratie als vierte Gewalt zugeschrieben wird, schwindet.
Computerfreaks als Enthüller von heute
Computerfreaks und Whistleblowers wie Edward Snowden, Julien Assange und Bradley Manning haben diese Rolle fast im Alleingang übernommen. Wären sie Journalisten, der Pulitzerpreis wäre ihnen sicher: für ihre investigativen Enthüllungen aus der Welt von Big Data. Sie klärten in den letzten zwei Jahren mehr auf als irgendein Journalist.
Nicht nur die Gesellschaft erreichen die klassischen Medien offenbar immer weniger. Die Distanz zur Politik insgesamt scheint zu wachsen. Die Geisterstunden dazu lieferte der Talkshow-Zirkus. Etwa als Gabor Steingart, Herausgeber des "Handelsblatt", bei Günter Jauch das Nichtwählen als "Notwehrmaßnahme" propagierte, um nach der Wahl das Fehlen der FDP zu beklagen. Und der Intellektuellendarsteller des "Spiegel", Georg Diez, begründete im ZDF seinen Wahlboykott etwas dürftig mit dem Mangel an Alternativen.
Doch was bedeutet es, wenn journalistische Meinungsmacher offen den politischen Diskurses verweigern? Wie wollen sie nun, da der Wahlkampf vorbei ist, das zähe Ringen um eine Koalition begleiten und ihren Lesern wieder Politik vermitteln – das langsame Bohren dicker Bretter?
Im Unterschied zu den Parteien, bei denen nach Wahlniederlagen das Führungspersonal ausgewechselt wird, machen wir Journalisten einfach weiter. Statt die Führung der Grünen danach zu fragen, ob sie ihre Mitglieder von Schwarz-Grün überzeugen könnten, müssten wir Journalisten uns auch einmal selbst fragen, ob wir die Alternativen zum Lagerwahlkampf rot-grün gegen schwarz-gelb tatsächlich ausgeleuchtet haben.
Ist es nicht vielmehr so, dass Lagerwahlkampf und Große Koalition schon deshalb am wahrscheinlichsten sind, weil sie am bequemsten sind, weil sie weder von den Politikern noch von uns Journalisten neues, ungewohntes Selber-Denken fordern? Mehr analytischen als repräsentativen Journalismus?
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat es in einem Interview angedeutet: Die Verhältnisse zwischen Markt, Staat und Gesellschaft müssen neu austariert werden. Ohne neugierige Journalisten geht das freilich nicht.
Max Thomas Mehr, Jahrgang 1953, ist politischer Journalist und Fernsehautor. Er hat die Tageszeitung "taz" mitbegründet. Für das Drehbuch des Films "Sebnitz: Die perfekte Story" (Arte) wurde der Dokumentarfilmer mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet.
Nicht nur die Gesellschaft erreichen die klassischen Medien offenbar immer weniger. Die Distanz zur Politik insgesamt scheint zu wachsen. Die Geisterstunden dazu lieferte der Talkshow-Zirkus. Etwa als Gabor Steingart, Herausgeber des "Handelsblatt", bei Günter Jauch das Nichtwählen als "Notwehrmaßnahme" propagierte, um nach der Wahl das Fehlen der FDP zu beklagen. Und der Intellektuellendarsteller des "Spiegel", Georg Diez, begründete im ZDF seinen Wahlboykott etwas dürftig mit dem Mangel an Alternativen.
Doch was bedeutet es, wenn journalistische Meinungsmacher offen den politischen Diskurses verweigern? Wie wollen sie nun, da der Wahlkampf vorbei ist, das zähe Ringen um eine Koalition begleiten und ihren Lesern wieder Politik vermitteln – das langsame Bohren dicker Bretter?
Im Unterschied zu den Parteien, bei denen nach Wahlniederlagen das Führungspersonal ausgewechselt wird, machen wir Journalisten einfach weiter. Statt die Führung der Grünen danach zu fragen, ob sie ihre Mitglieder von Schwarz-Grün überzeugen könnten, müssten wir Journalisten uns auch einmal selbst fragen, ob wir die Alternativen zum Lagerwahlkampf rot-grün gegen schwarz-gelb tatsächlich ausgeleuchtet haben.
Ist es nicht vielmehr so, dass Lagerwahlkampf und Große Koalition schon deshalb am wahrscheinlichsten sind, weil sie am bequemsten sind, weil sie weder von den Politikern noch von uns Journalisten neues, ungewohntes Selber-Denken fordern? Mehr analytischen als repräsentativen Journalismus?
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat es in einem Interview angedeutet: Die Verhältnisse zwischen Markt, Staat und Gesellschaft müssen neu austariert werden. Ohne neugierige Journalisten geht das freilich nicht.
Max Thomas Mehr, Jahrgang 1953, ist politischer Journalist und Fernsehautor. Er hat die Tageszeitung "taz" mitbegründet. Für das Drehbuch des Films "Sebnitz: Die perfekte Story" (Arte) wurde der Dokumentarfilmer mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet.

Max Thomas Mehr© privat