Das Verschlingen von Vögeln
Ihre Erzählungen spielen in jenen Grenzbereichen der Realität, wo das Fantastische zwar mit zwingender Logik regiert, die Strukturen und Texturen der ganz normalen Welt aber erhalten bleiben.
Ein junges Paar hat sich in die Steppe zurückgezogen, ins wilde, dünn besiedelte Land ("In der Steppe"). Dort tun sie alles, um ihre "Fruchtbarkeit zu stimulieren" und ziehen bei Nacht mit Netzen und Taschenlampen los, um etwas zu fangen: Ein Etwas, das "ihres" sein soll. Bald lernen sie ein anderes Paar kennen, das bereits "eines" gefangen hat, aber sehr zurückhaltend damit ist, "es" herzuzeigen.
Samanta Schweblin gelingt es, sprachlich ganz dezent den Ton eines ganz gewöhnlichen Ehepaares mit Kinderwunsch und den dazugehörigen esoterischen Selbstbeglückungsformeln anzuschlagen; gleichzeitig erzählt sie realistisch von den Ausflügen in die Wildnis, als sei die Vorstellung von der "Jagd nach dem Glück" wörtlich zu nehmen. Ein süßes kleines Baby und das wilde Etwas aus der Steppe: Wie passt das zusammen?
Aus solchen eigentlich überwindlichen Gegensätzen schlägt Schweblin erzählerisch ihre Funken. Das Nebeneinander von fast spießiger Häuslichkeit und Wildheit, von zivilisierter Lebensführung und antizivilisatorischer Kraft findet man immer wieder in ihren Erzählungen. In der Geschichte "Der Mund voller Vögel" – der Titelerzählung der argentinischen Originalausgabe – hält sich ein blasses junges Mädchen dadurch am Leben, dass es lebende Vögel verschlingt.
Auch soziale Realitäten spiegeln sich parabelhaft in manchen Geschichten: ein Wohlfahrtsbeamter kommt mit Lebensmitteln in ein abgelegenes Dorf ("Die Raserei der Pest"), das in einer Art Dornröschenschlaf zu liegen scheint; die Erstarrung löst sich – und geht über in einen schmerzhaften Ausbruch des Hungers.
Schweblins Sprache ist manchmal von äußerster, fast brutaler Direktheit – und dann doch wieder zurückgenommen, dezent genug, vieles so in der Andeutung zu belassen, dass ein Resträtsel, ein Geheimnis, als unfassbarer Kern ihrer Geschichten erhalten bleibt. Das hätte auch Borges gefallen.
Das Buch von Samanta Schweblin findet sich auf der Weltempfänger litprom-Bestenliste.
Besprochen von Katharina Döbler
Samanta Schweblin: Die Wahrheit über die Zukunft
Aus dem Spanischen von Angelica Ammar
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010
130 Seiten, 19,80 Euro
Samanta Schweblin gelingt es, sprachlich ganz dezent den Ton eines ganz gewöhnlichen Ehepaares mit Kinderwunsch und den dazugehörigen esoterischen Selbstbeglückungsformeln anzuschlagen; gleichzeitig erzählt sie realistisch von den Ausflügen in die Wildnis, als sei die Vorstellung von der "Jagd nach dem Glück" wörtlich zu nehmen. Ein süßes kleines Baby und das wilde Etwas aus der Steppe: Wie passt das zusammen?
Aus solchen eigentlich überwindlichen Gegensätzen schlägt Schweblin erzählerisch ihre Funken. Das Nebeneinander von fast spießiger Häuslichkeit und Wildheit, von zivilisierter Lebensführung und antizivilisatorischer Kraft findet man immer wieder in ihren Erzählungen. In der Geschichte "Der Mund voller Vögel" – der Titelerzählung der argentinischen Originalausgabe – hält sich ein blasses junges Mädchen dadurch am Leben, dass es lebende Vögel verschlingt.
Auch soziale Realitäten spiegeln sich parabelhaft in manchen Geschichten: ein Wohlfahrtsbeamter kommt mit Lebensmitteln in ein abgelegenes Dorf ("Die Raserei der Pest"), das in einer Art Dornröschenschlaf zu liegen scheint; die Erstarrung löst sich – und geht über in einen schmerzhaften Ausbruch des Hungers.
Schweblins Sprache ist manchmal von äußerster, fast brutaler Direktheit – und dann doch wieder zurückgenommen, dezent genug, vieles so in der Andeutung zu belassen, dass ein Resträtsel, ein Geheimnis, als unfassbarer Kern ihrer Geschichten erhalten bleibt. Das hätte auch Borges gefallen.
Das Buch von Samanta Schweblin findet sich auf der Weltempfänger litprom-Bestenliste.
Besprochen von Katharina Döbler
Samanta Schweblin: Die Wahrheit über die Zukunft
Aus dem Spanischen von Angelica Ammar
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010
130 Seiten, 19,80 Euro