Das Verschwinden des Wochenmarktes

Von Udo Pollmer · 15.05.2011
Der Kunde hat die Qual der Wahl beim Einkaufen: Er kann in den Discounter, seine Lebensmittel im Internet bestellen oder auf den Wochenmarkt gehen. Doch die Märkte schwinden wie einst die Tante-Emma-Läden.
Der Wochenmarkt lässt das Herz des Bürgers höher schlagen. Frisches Obst und Gemüse vom Erzeuger aus schwieligen Händen, Bratwürste vom Metzger, der das Schwein noch persönlich abstach; Bauernhofromantik vermischt sich mit der Handwerkstradition von Bäckern und Käsern. Ein paar Stände weiter umweht unsere Nase südliches Flair dank eines Standes mit Oliven und anderen nahrhaften Erzeugnissen des Mittelmeerraumes. Welcher Kunde im Discounter würde da nicht neidisch?

Doch den Wochenmärkten geht es gar nicht gut. In den vergangenen 20 Jahren haben sie etwa 30 bis 50 Prozent ihres Umsatzes eingebüßt. Die Gründe sind fast überall die gleichen: Am Markt kaufen vor allem ältere Menschen, das Durchschnittsalter liegt deutlich über 50. Sie kochen ihr Essen noch selber, sie wählen gezielt das Gemüse aus und sie kennen beim Metzger die einzelnen Fleischstücke auch ohne Schildchen. Dieser alte Kundenstamm stirbt langsam weg. Junge Leute holen sich am Markt allenfalls ein Sandwich und ne Dose Limo.

Wo es genug Kaufkraft gibt, brummen wenigstens die Stände mit teuren Käsesorten und edlen Schinkenspezialitäten, insbesondere solchen, die weit gereist sind. Dort trifft Schicki den Micki und sie schlürfen noch schnell ein Gläschen Weißwein. Für das urige Ambiente, das für Kauflaune sorgt, sind die Bauersfrauen zuständig, die nebenan ihre Kartoffeln und Krautköpfe verkaufen. Währenddessen müssen die Kinder den Hof versorgen. Die Arbeit auf dem Markt ist für die meisten Händler ein Knochenjob. Darauf hat heute niemand mehr Bock. Verständlich! Nicht nur mangels Kunden, auch mangels Nachfolger verschwindet manch ein Stand.

Auch die Kunden haben manchmal so ihre Bedenken: Ist die Ware wirklich besser als im Discounter – oder nur teurer? Wenn der fahrende Backshop seine Brötchen verkauft, weiß niemand, ob es sich um aufgebackene Tiefkühlware aus der Fabrik handelt, wie man sie auch an der Tanke oder im Discounter kriegt, oder vielleicht doch um echte handwerkliche Brötchen ohne überflüssige Backmittel. Letzteres ist allerdings so unwahrscheinlich wie eine Blaue Mauritius auf dem Flohmarkt. Wer garantiert, dass die Eier wirklich von echten Mistkratzern stammen? Wie schnell werden doch mal die Schildchen verwechselt. Nicht umsonst gibt es bei der Deklaration am Wochenmarkt die meisten Beanstandungen – die Fehldeklarationen fallen praktisch immer zugunsten des Händlers aus.

Junge Menschen kaufen deshalb lieber im Internet. Im Netz, da kennen sie sich aus. Wenn sie dann erstaunt feststellen, dass das Eis, das die Tiefkühlpizzen hätte kühlen sollen, mitsamt der Ware bereits aufgetaut ist, dass die Kekse zerbröselt sind und die Eier angeknackst, dann sind sie zwar verärgert aber zumindest nicht öffentlich blamiert. Am Markt hingegen stehen sie den meisten frischen, unverarbeiteten Lebensmitteln relativ hilflos gegenüber. Da müssen sie auch noch fürchten, am Stand bei Fragen von erfahrenen Kundinnen als Unwissende erkannt zu werden.

Wer Lebensmittel nur aus der Werbung kennt, der ekelt sich schnell vor den einschlägigen Rohstoffen, seien es blutige Fleischstücke, glitschiger Fisch mit Gräten und Schuppen, klebriges Eier-Eiweiß oder schmutzige Schwarzwurzeln. Wer den traditionellen Wochenmarkt erhalten will – und nicht nur als Event mit Volksmusik und Verkostungen französischer Weine mit Designer-Etiketten – wird nicht umhinkönnen, statt dem üblichen Marketinggeschwurbel bereits den Kindern den Umgang mit jenen ursprünglichen Rohstoffen zu vermitteln, aus denen eine Pizza Salami, ein Hamburger oder eine Tiefkühl-Paella hergestellt werden. Nur wenn sie auch kochen können, wenn sie die Rohstoffe kennen, schätzen und kaufen, nur dann hat der traditionelle Wochenmarkt eine Zukunft. Mahlzeit!