"Das Vertrauen der Nutzer ist die wichtigste Geschäftsgrundlage"

Thomas Knüwer im Gespräch mit Alexandra Mangel · 05.01.2011
Auch wenn Facebook an die Börse gehen sollte, müsse niemand Angst haben, dass seine Daten weiterverkauft werden. Das meint der der Unternehmensberater Thomas Knüwer. Mit diesen Daten könne man kein Geld machen. Werden die Nutzerprofile für gezielte Werbung genutzt, würde diese von den Nutzern jedoch akzeptiert.
Alexandra Mangel: Das Onlineportal Facebook ist der Albtraum der Datenschützer: Seit Jahren werfen sie dem Unternehmen die Aushebelung der Privatsphäre vor, den Profit, den Facebook aus den Datenprofilen seiner Nutzer schlägt, indem gezielt Werbung geschaltet wird – und kaum einen stört es. Das Onlineportal wächst und wächst, 500 Millionen Nutzer sind es mittlerweile weltweit, und damit steigt auch die Bewertung durch Investoren, im letzten Jahr um das Dreifache. Auf 50 Milliarden Dollar hat Goldman Sachs Facebook gerade taxiert, und für uns im Studio in Düsseldorf sitzt jetzt der Unternehmensberater für soziale Medien und Blogger Thomas Knüwer. Guten Morgen, Herr Knüwer!

Thomas Knüwer: Schönen guten Morgen!

Mangel: Wie kommt diese doch unglaubliche Zahl, diese Bewertung auf 50 Milliarden Dollar zustande?

Knüwer: Zunächst muss man festhalten: Es ist ja keine Börsenbewertung, sondern es ist erst einmal ein Wert, mit dem sich Goldman Sachs beteiligt hat.

Mangel: Facebook ist nicht börsennotiert, weil in privater Hand.

Knüwer: Genau so ist es. Und wie entsteht so ein Unternehmenswert? Der entsteht ja nicht durch Meriten aus der Vergangenheit oder einen tollen Ruf, der entsteht knallhart durch Finanzmathematik. Man fragt sich: Was wird dieses Unternehmen denn in den kommenden drei bis fünf Jahren umsetzen und was wird es an Gewinn machen? So, und dann wird es dann eben spannend, weil Facebook natürlich immens gewachsen ist und weiterhin immens wächst, allein von 2009 auf 2010 hat sich der Umsatz – soweit man das ermitteln kann, es gibt keine offiziellen Zahlen – vermutlich verdreifacht auf ungefähr zwei Milliarden Dollar. So, und wenn wir jetzt einfach mal sagen – wir sind mal ganz euphorisch für Facebook –, das geht so weiter, dann ist es nicht ausgeschlossen, dass in vier bis fünf Jahren ein Unternehmen entsteht, das ungefähr so viel Umsatz und so viel Gewinn macht wie Google heute.

Mangel: Also Sie sagen, da wird auf ein zukünftiges Potenzial hin auch spekuliert. Auf welches Potenzial denn konkret, wie soll dieses Geld in Zukunft verdient werden?

Knüwer: Zunächst mal ist jeder Unternehmenswert eine Spekulation auf die Zukunft, das ist nichts Ungewöhnliches. Wie macht Facebook Geld? Auf zwei Wegen derzeit vor allem, das eine ist Online-Werbung, die kommt sehr gezielt und sehr dezent im Gegensatz zu dem, was man zum Beispiel auf Nachrichtenseiten sieht, zum anderen gibt es eine Art virtuelle Währung dort, mit der man dann vor allem spielen kann.

Also jeder, der auf Facebook war, hat vielleicht schon mal eine Einladung bekommen zu diesem sehr leicht zu handhabenden und viele nervenden Spiel Farmville, wo man so eine kleine Farm sich aufbaut und da mit Freunden zusammen dann auf die Farmen der Freunde geht und dort Arbeiten erledigt und so weiter. Das ist immens beliebt, und man kann den Weg seiner Farm beschleunigen, indem man mit Geld virtuelle Gegenstände kauft, und das ist bei einigen Leuten sehr, sehr beliebt.

Mangel: Und wird es dann in Zukunft wesentlich mehr und auch neue Geschäftsmodelle und Konsummodelle geben, die sich an Facebook andocken, die Facebook also so als Infrastruktur, als Netzwerk nutzen?

Knüwer: Das passiert teilweise jetzt schon. Das Erstaunliche ist ja bei Facebook, dass tatsächlich die Wirtschaft kein ungebetener Gastgeber ist, sondern dass es eben viele, viele Fanseiten von Markenunternehmen gibt, die auch sehr viele Fans haben und wo die Fans ganz aktiv mit der Wirtschaft kommunizieren, und sie sind sogar bereit, über diese Fanseiten zu kaufen. Davon hat Facebook im Moment noch nichts. Beispielsweise kann man bei Disney in Amerika Kinokarten kaufen, man kann bei L'Oréal in den USA auch schon Produkte sich bestellen.

Aber die Frage ist natürlich: Vielleicht entwickelt ja Facebook noch Anwendungen, wo sie dann auch von solchen Umsätzen etwas haben könnten. Man muss immer sagen: Das Unternehmen steht immer noch ganz am Anfang.

Mangel: Also ich bin einfach mal auf der Seite des größten sozialen Netzwerkes in Asien gesurft, Tencent QQ heißt das, und da kann man sehen, wie die Angebote von Onlinespielen über virtuelle Welten bis zum Dienst fürs Mobiltelefon reichen, von dem man dann eben auch auf das soziale Netzwerk zugreifen kann. Ist das eine Perspektive auch für Facebook, wird sich das da auch so entwickeln?

Knüwer: Facebook ist heute schon eine Art digitale DNA für die Gesellschaft geworden, das können diejenigen, die nicht dort aktiv sind, ja kaum glauben, aber es ist tatsächlich so. Facebook ist keine Sache, wo man ständig stundenlang aktiv hinguckt, es ist etwas, was im Hintergrund läuft, wo man mal ganz bei einer Tasse mal gucken kann, was machen denn die Freunde, wo man sehr leicht im Grunde der jungen Oma die Enkelfotos zeigen kann, weil die Fotos werden ja immer größer, die kann man ja heute gar nicht mehr mailen. Es ist ein Instant Messenger geworden, wo man sehr leicht mit jemandem chatten kann, und natürlich ist es auch eine Plattform, auf der man zum Beispiel spielt. Da ist noch vieles mehr möglich, und man muss immer bedenken: Dieses Unternehmen ist jetzt gerade mal, na ja, sechs Jahre alt, das ist nichts.

Mangel: Trotzdem ist es ja auch eine Plattform, wo die Nutzer eben Daten preisgeben freiwillig, und es ist, jemand hat mal gesagt, es ist ... Facebook ist wie eine Party, wo man den Gastgeber nicht mag, also die Leute akzeptieren das, dass sie ihre Daten da veröffentlichen, um zu kommunizieren, aber wie wird sich das denn verändern, wenn jetzt Investoren einsteigen und wenn da mehr und mehr – wenn Facebook auch an die Börse gehen sollte –, wenn also der Druck zur Gewinnmaximierung immer größer wird?

Knüwer: Also wenn da hinter Ihrer Frage die Angst steckt, oh, Facebook könnte Daten verkaufen – ganz ehrlich, es ist nicht zu erwarten ... Mit solchen Daten, wie Facebook sie hat, macht man kein Geld, die sind ein paar Cent wert. Wenn Sie Angst haben vor Datenverkauf, schließen Sie keine Zeitungs- und Zeitschriftenabos ab, die verkaufen Ihre Daten und die machen damit auch Geld.

Tatsächlich ist es so, dass die meisten Menschen – das ist ein Trend, den man nicht nur bei Facebook beobachtet, sondern auch bei anderen Social Networks und im Internet insgesamt –, die Menschen nutzen das Internet in Sachen Daten so, wie sie Auto fahren. Wenn wir Auto fahren, und ich hoffe, die Polizei hört jetzt nicht zu, fahren viele Menschen außerhalb von Ortschaften 20 Stundenkilometer zu schnell. Warum? Es gibt zwar noch eine Geldstrafe, wenn man erwischt wird, aber keine Punkte in Flensburg. Und genau so ist das halt auch mit dem, was man im Internet einstellt: Man macht das, was so gerade noch okay ist.

Die meisten Menschen haben jetzt gelernt, dass die Fotos, wo sie neben ihren feuchten Ausstößen auf der Toilette morgens aufwachen, diese Fotos, die stellen sie heute nicht mehr ins Internet. Und genauso sind sehr viele Menschen vorsichtig, was das Einstellen ihrer Handynummer betrifft oder auch das Einstellen ihres Geburtstages.

Insofern – die meisten Menschen haben nicht mehr Dinge in solchen Social Networks, die in irgendeiner Art und Weise problematisch sind, oder sie nutzen sehr aktiv die Privatsphäre-Einstellungen, die sind bei Facebook extrem detailliert, und theoretisch kann man eine einzelne Datenmenge, also zum Beispiel ein Foto einer einzelnen Person, nur freischalten. Das nutzen dann diejenigen, die sehr aktiv damit arbeiten.

Mangel: Aber wäre es nicht doch möglich, dass ein Unternehmen, was – wenn Facebook jetzt börsennotiert ist –, also dass der Datenhunger größer wird, dass mehr Daten gefordert und dann auch abgefragt werden? Also wie autonom wird Marc Zuckerberg seine Geschäftspolitik noch steuern und bestimmen können, wenn das Unternehmen an die Börse gehen sollte? Und diese riesige Investition von Goldman Sachs deutet ja darauf hin, dass da ein solcher Börsengang vorbereitet wird.

Knüwer: Ich gehe auch davon aus, dass es 2012 einen Börsengang geben wird, und ganz häufig hat man bei Unternehmen natürlich einen Widerstreit zwischen den Investoren, die eher kurzfristig orientiert sind, und den Unternehmenszielen, die langfristig orientiert sind. Es gibt Unternehmen, die geben dem nach, und es gibt Unternehmen, die geben dem nicht nach – Apple ist so ein Beispiel. Die Investoren hätten gerne einen ganz anderen Kurs bei Apple gehabt, Steve Jobs behält die Ruhe, und das Ergebnis ist, dass Apple heute das drittwertvollste Unternehmen der Welt ist.

Tatsächlich muss man in Sachen Daten bei Social Networks aber eines sehen: Das Vertrauen der Nutzer ist die wichtigste Geschäftsgrundlage, und wer annimmt, dass Facebook irgendwann anfangen könnte, damit massiv herumzuspielen, der kann auch davon ausgehen, dass irgendwann ein Lebensmittelkonzern beispielsweise halbgiftige Stoffe verwendet und das nicht durch irgendeinen Fehler, sondern aktiv, oder der sagt, BMW spart mal an den Bremsen. Das ist nicht ausgeschlossen – die Wahrscheinlichkeit ist aber, ehrlich gesagt, wirklich gering.

Mangel: Also Sie glauben, das Prinzip Facebook beruht genau auf dieser Vertraulichkeit der Daten. Aber die Leute geben da doch wirklich sehr viel preis, also es lassen sich doch komplette Profile, Konsumgewohnheiten daraus ablesen, und darauf deutet doch auch diese hohe Bewertung, also diese Gewinnerwartung, diese Spekulation in die Zukunft hin.

Knüwer: Na ja, man muss natürlich sagen, dieses Ablesen von Konsumgewohnheiten, das kann man erst einmal fast überall tun, denn wir reden über unsere Konsumgewohnheiten, das ist etwas völlig Normales. Man muss halt nur das Handy sehen, das ist für viele Leute ein Statussymbol, und da sagen sie auch ganz klar, ja, das ist doch toll, guck dir das doch mal an.

Die große Frage ist da auch wieder das Vertrauen, das heißt, gezielte Werbung wird von den Leuten akzeptiert. Warum? Wir alle wissen, dass wir solche Dienste nutzen, weil sie werbefinanziert sind, und wir alle wissen – das betrifft nicht nur das Internet –, dass wir ProSieben an unserem Kabelnetz deshalb relativ kostengünstig bekommen, also nämlich nur gegen die Kabelgebühr, weil wir mit Werbung zugeballert werden. Werbung aber nervt die meisten Menschen. Versuchen Sie mal, einen Vorabend-Werbeblock in der ARD durchzustehen – das ist für jeden halbwegs intelligenten Menschen kaum noch zu ertragen.

Wir alle wissen also: Werbung muss irgendwie sein. Warum dann nicht Werbung, die uns interessiert? Das sehen wir zum Beispiel bei den Aldi-Prospekten. Wenn bei einer Zeitung mal die Aldi-Prospekte nicht beigelegt sind, dann kriegt die Redaktion Anrufe, wo die denn geblieben sind, weil die nicht als Werbung angenommen werden, sondern als wichtige Information für mich selbst. Das heißt, wenn es gelingt, Werbung so zu zielen, dass sie für die Menschen relevant ist, dann sind die vollkommen okay damit.

Mangel: Und da befürchten Sie keine negativen Folgen? Denn das ist ja weitreichender, als dass man Werbung bekommt, die konkret auf den Lieblingsjoghurt zielt oder so, diese Profile.

Knüwer: Ich glaube ehrlich gesagt doch, das wird die ... das Lieblingsjoghurt sozusagen oder vor allem die Lieblingsmodemarke und die Lieblingsautomarke, das werden die hauptsächlichen Dinge sein, und da werden die Menschen sogar diese Werbung aktiv anfordern, und das tun sie heute schon, indem sie nämlich zum Beispiel Fan einer Marke werden. Und es ist zum Beispiel absolut atemberaubend, was auf den Fanseiten – sowohl der deutschen wie auch der internationalen – von Starbucks abläuft. Da haben Sie im Minutentakt Menschen, die einfach ihre Liebe zu dieser Kaffeehauskette hinausschreien.

Und das ist etwas, was es immer schon gab, weil man immer schon zu Freunden gesagt hat, du, warst du heute schon bei Starbucks? Ich gehe da so gerne hin, ich finde das so toll da, morgens so einen Kaffee zu trinken. Das ist vollkommen normaler Teil der menschlichen Kommunikation, und die wird nun im Internet natürlich abgebildet.

Mangel: Thomas Knüwer, Blogger und Unternehmensberater für soziale Netzwerke über die Zukunft von Facebook. Danke schön fürs Gespräch!

Knüwer: Danke schön! Tschüss!
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