Das Vielfalt- und Respektzentrum in Essen

Die Idee dahinter ist wichtig

13:32 Minuten
Mehrere Personen strecken ihre Fäuste zusammen.
Im "VielRespektZentrum" in Essen sollen sich unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen auf Augenhöhe begegnen können (Symbolfoto). © Unsplash / Rawpixel
Von Moritz Küpper |
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Gerade beim Thema Integration werden im öffentlichen Raum und im Internet Menschen oft angefeindet. Dem soll nun etwas entgegengesetzt werden. Und zwar physisch. In Essen gibt es jetzt das „Vielfalt- und Respektzentrum“.
Noch immer wird geschraubt, gebohrt und geschmirgelt. Ali Can, der Leiter des "Vielfalt- und Respektzentrum", kurz "VRZ", weicht einem am Boden liegenden Handwerker aus, der eine Fußleiste verschraubt, öffnet die Arme:
"Wir sind hier im Eingangsbereich. Das soll hier mehr wie ein Café sein. Also, dass man reinkommt… Wir haben hier eben die ganzen Getränkestationen, dass man gegen eine Spende hier Kaffee und Softgetränke haben kann. Es ist hier schön ruhig. Das ist hier wie so eine kleine Oase für Menschen, die in der nördlichen Innenstadt, in Essen sind, oder auch generell in Deutschland, die einfach kommen wollen. In einen wertschätzenden Rahmen Zeit verbringen möchten und vielleicht sich von Vielfalt und Respekt inspirieren möchten."
Eben im "VielRespektZentrum", jenem Haus, das Mitte Januar eröffnet hat und das Can, ein 25-Jähriger mit türkischen Wurzeln, schwarze Jacke, Drei-Tage-Bart, einnehmendes Wesen, nun leitet. Durch die Schaufensterfront fällt viel Licht in den Eingangsbereich. Es ist hell, einladend und noch im Entstehen. Can, zeigt auf ein Bild an der Wand:
"Wir sehen ja hier, direkt im Eingangsbereich, mein Lieblingszitat, das alles gut zusammenfasst: ‚Jenseits von richtig und falsch, gibt es einen Ort. Dort treffen wir uns.‘ Dieses Zitat von Rumi steht sinnbildlich für das, was wir hier mit dem Vielrespektzentrum schaffen. Es ist ein Ort, wo wir verschiedene Räume und Atmosphären kreieren, die eben begünstigen, dass Menschen sich aus unterschiedlichen Weltanschauungen, Nationalitäten, Kulturen, Religionen oder mit unterschiedlichen Geschlechterorientierung treffen können und eben Respekt üben."

"Ein Ort, wo man Vielfalt erleben kann"

Rumi ist ein islamischer Mystiker. Doch: Wer diesen Satz gesagt hat, darum geht es Can gar nicht. Vielmehr sei die Idee dahinter wichtig – und klar:
"Also, es ist ein Ort, wo man Vielfalt erleben, erfahren und Respekt kultivieren kann."
Doch: Wie genau, das ist noch offen – zumindest teilweise. Can läuft los, will die fast 1.000 Quadratmeter Fläche des Zentrums zeigen. An der Wand steht ein Bücherregal, hier können sich Menschen, die in den Sesseln daneben eine Pause machen wollen, lesen. Can macht – als er das Regal passiert hat – eine trennende Bewegung:
"Hier kommt demnächst so eine kleine Glaswand hin und dann sind wir in einem Teil, wo die Räume Themen gewidmet sind. Ich mache hier mal auf. Raum der Stille."
Can öffnet eine Tür, führt in einen kleinen Raum mit Teppich. Daneben gibt es noch einen Raum der Wissenschaft, in dem Fakten für die Diskussion im Mittelpunkt stehen sollen, einen Raum für vertraute Gespräche, auch und gerade, um sich öffnen zu können. Hinzu kommen Gebetsmöglichkeiten für alle Religionszugehörigen, auch für Muslime, die gerade in der Stadt unterwegs sind:
"Das gab es vorher nicht, vorher sind die immer in so Abstellkammern gegangen, wo so Putzmittel sind. Oder eben bei C&A in die Umkleidekabine. Und das ist jetzt der erste, öffentliche, muslimisch-ökumenische Raum. Also, das gilt für muslimische Libanesen, genauso für den türkischen Moslem. Hier kann man einfach nur beten. Uns war ganz wichtig, bei allen Räumen und vor allem bei Gebetsräumen, die gehören keinem, die gehören uns."

Das Projekt stehe auf den Füßen des Grundgesetzes

Denn: Instrumentalisieren lassen, egal von welcher Seite, will Can sich nicht. Das Projekt stehe auf den Füßen des Grundgesetzes. Letztendlich sei die Idee dahinter einfach:
"Das Schöne ist, wenn die hierhin kommen, deshalb, und nur weil sie einen gemütlichen Raum wollen, begegnen sie aber gleichzeitig auch den anderen Leuten, die an einen anderen Raum wollen, die vielleicht Buddhisten sind und meditieren. Also, es sind so Filterblasen, die nicht unbedingt direkt was miteinander zu tun haben."
Aber so aufeinandertreffen, so seine Hoffnung:
"Es gibt eine Senioren-Gruppe, die Anfang März kommen wird. Die sind hier aus der Region, die vielleicht sonst wandern geht oder Kräuterwanderungen macht, die hier jetzt so eine Führung macht und vielleicht das erste Mal einen richtigen Gebetsraum sieht und wie das funktioniert. Dann wird das kurz erklärt und wer Lust hat, kann hier seine Kontaktdaten hinterlassen und wir sind die Brückenbauer, die dann ein Gespräch initiieren zwischen einem Moslem. Oder zwischen einem Russisch-Orthodoxen. Oder zwischen einem Aleviten, Bahais… Man kann hier sich bei den Führungen informieren und sagen: Ich habe mal Interesse, mehr zu erfahren über, weiß ich nicht… Raum der Wissenschaft. Was ist eigentlich Wissenschaft? Gibt es eine Gruppe, die sich damit beschäftigt? Und dann sind wir Brückenbauer."

Schilderungen sorgten bundesweit für Furore

Dafür ist der Sozialaktivist eigens nach Essen gezogen. Vor Jahren gründete Can eine Hotline für besorgte Bürger, um ihre Ängste vor Migration mit Aufklärung zu beantworten. Er schrieb ein Buch zu dem Thema und ist auch Initiator der Kampagne "#MeTwo". Darin hatte Can, inspiriert von der Debatte um den ehemaligen Nationalkicker Mesut Özil, dazu aufgerufen, über alltägliche Erfahrungen mit Rassismus zu berichten. Die Schilderungen sorgten bundesweit für Furore.


Doch die Idee für das Viel-Respekt-Zentrum hatte nicht Ali Can, sondern Reinhard Wiesemann. Ein ruhiger, nachdenklicher Mann, Ende 50, sitzt im "Unperfekthaus": In dem Zentrum für Gründer und Künstler arbeiten zurzeit über 1.500 Aktive aus 26 Ländern. Unweit des "Viel-Respekt-Zentrums" gelegen, ist dies ebenfalls ein Projekt von Wiesemann. Mit 18 Jahren gründete er einst ein Unternehmen, das bis heute sehr erfolgreich Computertechnik entwickelt. In seiner Biografie führt Wiesemann, den die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" einen "Multi-Macher" nennt, diverse Projekte auf, aber auch seine größten Misserfolge. Nun ist er der Überzeugung, dass Vielfalt und Respekt verteidigt werden müssen:
"Also, ich bin groß geworden in einer Zeit, wo eigentlich so Widerspruch und abseitiges Denken und verkehrt herum denken und so weiter, sehr, sehr hoch angesehen war. Und plötzlich erlebe ich, dass genau die Sachen, die ich eigentlich immer widerspruchslos leben konnte, dass die plötzlich Probleme bereiten. Dass also nur noch bestimmte Meinungen akzeptabel sind, dass man von Alternativlosigkeit spricht, dass manche Leute Angst haben vor Vielfalt, dass sie es viel schöner finden, wenn alles gleich ist, sich alle einigen und immer der gleiche Weg verfolgt wird und so weiter."
Reinhard Wiesemann
Reinhard Wiesemann setzt sich sei Jahren für Vielfalt und Respekt ein.© Deutschlandradio / Moritz Küpper

"Man muss um Vielfalt regelrecht werben"

Hinzu komme, so Wiesemann, eine weitere Entwicklung:
"Gleichzeit erlebt man, vor allem in sozialen Medien, diese Hass-Kampagnen. Dass also viele Menschen mit dem anderen nicht klarkommen und das dann ausdrücken, in dem sie hasserfüllt sind. Und da ist dann bei mir der Gedanke entstanden, dass man für Vielfalt regelrecht werben muss."
Ein Punkt, der auch in der Essener Stadtspitze so gesehen wird:
"Manchmal braucht man einen Nukleus, einen Ort, einen Knotenpunkt und ich glaube, es braucht gelegentlich einen Schirm, ein Dach, ein Haus, ein Raum, um sich auszutauschen. Und das entsteht dort, darauf bin ich sehr stolz."
Thomas Kufen, Essens Oberbürgermeister von der CDU, war auch bei der Eröffnung des "Viel-Respekt-Zentrums" dabei. Er ist von dem Konzept überzeugt:
"Gerade in der nördlichen Innenstadt, die ja gelegentlich mit anderen Schlagzeilen aufwartet, genau der richtige Ort, weil ich glaube, am Ende funktioniert vielmehr im Menschlichen, vielmehr im Zusammenleben, vielmehr bei der Integration, als gelegentlich in der öffentlichen Wahrnehmung ist."

Lernte Can bei einer Preisverleihung kennen

Dafür hat Wiesemann Geld investiert. Bei einer Preisverleihung lernte er Can kennen, sie trafen sich mehrfach, fuhren in den Urlaub und Can schrieb ein Konzept für das "VielRespektZentrum" in der nördlichen Essener Innenstadt.
"Ali Can ist der Leiter des ´VielRespektZentrums`, ich bin nur der Stifter, ich halte mich auch immer sehr zurück. Und ich freue mich aber, dass ich mit Ali Can jemanden gefunden habe, mit dem ich inhaltlich sehr, sehr synchron bin. Also, Ali ist 25 Jahre alt, ich werde jetzt bald 60 und ich muss bei den Projekten, die ich mache, darauf achten: Wie geht es weiter?"
Beide, Wiesemann, aber auch Can haben – jeweils eigenständig und im Rahmen ihrer Möglichkeiten – bewiesen, dass ihre Projekte wahrgenommen werden, eine Relevanz haben und nachhaltig sind. Das spricht für das Experiment "VielRespektZentrum" – zumal vieles an dem Konzept einleuchtet, wenn man mit Can durch das Haus läuft.
Can steht in der Herren-Toilette des "VRZ"s.
"Also, hier kann man im Sommer… Können alle ihre Füße waschen, wenn sie in die Räume gehen und keine Schuhe anziehen wollen. Gleichzeitig können Muslimisch-Gläubige ihr Fußwasch-Ritual hier vollziehen und dann in die Gebetsräume gehen."
Er geht weiter, führt um die Ecke in ein TV-Studio:
"Das ist das einzigartige Setting für die neue Late-Night-Show ´Alimanya`. ´Alimanya`, das Abendprogramm. Das ist so ein bisschen so wie ´Harald Schmidt` nur in jung und Migrationsvordergrund. Hier soll es über gesellschaftspolitische Themen gehen, mit Gästen, die beispielsweise in der Politik sind, in der Gesellschaft, Verantwortungsträgerinnen, die mit mir über ganz interessante Themen sprechen wollen."
Das "VielRespektZentrum" in Essen
Das "VielRespektZentrum" in Essen.© Deutschlandradio/Moritz Küpper
Ab März soll die Show im Internet auf Sendung gehen. Und Gastgeber Can auf seinem anatolischen Musikinstrument spielen:
"Damit spielt man eigentlich so Volkslieder. Zum Beispiels so… Aber ich würde es dann eigentlich eher so verwenden bei der Late-Night-Show… "
Cans Kopf wiegt im Takt der Musik. Im ersten Stock gibt es zudem noch Tagungsräume, hier liegt auch Cans Büro, aus dem heraus Tagungen und Kongresse geplant werden soll, mit denen das Zentrum überregional in Erscheinung treten möchte. Diese Herausforderung, der gesellschaftliche Zweck des "VielRespektZentrums", er zeigte sich – indirekt zumindest – auch einige Tage vor dessen Eröffnung:
Nur einige Meter entfernt, sprichwörtlich einmal um die Ecke, stürmte die Polizei in einer Samstagnacht eine Diskothek. Es war der Höhepunkt der größten Razzia in der NRW-Landesgeschichte.
Eine Aktion gegen kriminelle arabische Großfamilien. Dutzende Polizeibeamte durchsuchten die Diskothek – und NRWs Innenminister Herbert Reul, CDU, sowie unzählige Kamera-Leute, Fotografen und Journalisten begleitete den Einsatz:
So der NRW-Innenminister in dieser Nacht. Doch Repressionen, so Reul, seien das eine, Prävention, auch Ausstiegsszenarien, das andere:
"Ich will auch Unruhe schaffen, damit die Jungen aus dieser Clan-Szene oder die Frauen insbesondere, dass die einfach mal nachdenken, ob es intelligenter wäre, einen anderen Weg zu gehen. Und es gibt Alternativen, sein Leben zu gestalten. In Deutschland kann man erfolgreich sein, auch wirtschaftlich erfolgreich sein, ohne dass man kriminell sein muss."

"Die beste Idee, die Leute teilhaben zu lassen"

Reul betont, dass er sich auch um ein Aussteiger-Programm kümmern will, doch gerade in familiären Strukturen, heißt es immer wieder im Ministerium, sei dies schwierig. Wer jetzt in Cans "Viel-Respekt-Zentrum" steht, muss unmittelbar daran denken. Auch Can hat diese Razzien mitbekommen, weiß um die Probleme. Klar, sagt er, Kriminalität müsse bekämpft werden. Ihm aber ist wichtig, …
"… dass wir nicht alle abstempeln und dass wir eben Lösungen finden, wie man das machen kann. Und da ist eben die beste Idee, die Leute teilhaben zu lassen, mit denen Workshops zu machen, Seminare."
Eben so, wie im "VielRespektZentrum" geplant:
"Alles andere ist ja Frontenbildung. Dann stempelt man ab, dann gibt es eine Razzia und der gesamte Laden, und da ist vielleicht ein Unschuldiger dabei, was auch immer, der hat vielleicht damit nichts zu tun, aber der hat sofort ein schlechtes Bild und das sind so Mechanismen des zwischenmenschlichen Zusammenlebens, die eine Polizei nicht bedienen kann, wo man nicht sensibel genug sein kann, weil man andere Instrumente hat. Aber wir als ´Viel-Respekt-Zentrum`, das ja neutral ist, können vermitteln. Wir können vermitteln und für Frieden sorgen zwischen Parteien."
Ein hehrer Anspruch. Can hat damit schon Erfahrung gemacht:
"Auch hier zum Beispiel ist so eine Gruppe von Männern, arabisch-sprachigen Männern, hierhin gekommen und hat gefragt: Was ist hier los? Ich habe gemerkt, dass der eine oder andere auch in einigen Videos war zu Clan-Kriminalität."

Positive Resonanz für Zentrum

Can hatte Zeit, stellte sich vor und führte die Männer durchs Haus:
"Und die waren am Ende total baff. Die dachten: Was? Also, da gründet ein älterer Deutscher, der selber nicht religiös ist, ein Ort, wo man sich respektvoll begegnen kann und wo es auch einen muslimischen Gebetsraum gibt? Du machst hier ein Format, wo Du die Leute zusammenbringen willst, sagst, jeder ist willkommen, hier wollen wir respektvoll sein? Da sage ich: Ja. Und das ist die Eintrittskarte. Also, die finden das toll, die finden gut, dass das hier in dem Viertel ist, weil die auch… Es gibt hier Gruppen, die sagen, die haben ein doofes Image, die fühlen sich zu Unrecht verurteilt."
Nun, so Can, es gebe eben doch Möglichkeiten, aus diesem Kreislauf auszubrechen:
"Hier könnt ihr euch engagieren, hier könnt ihr zeigen, dass ihr für die Grundwerte seid der Gesellschaft, dass die Gesetze wichtig sind, dass Respekt wichtig ist, was es bedeutet, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Hier können wir das zeigen. Das ist der Ort, um eben sich positionieren zu können in diesen Belangen."
Daran will er nun arbeiten. Wohnzimmer, TV-Studio, Moschee, – eine Art Bildungszentrum zum Zusammenleben: Das "Viel-Respekt-Zentrum" verkörpert vieles – und bleibt hoffentlich kein Versuch.
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