"Das Volk hat das letzte Wort"
"Das Quorum ist zu schaffen", sagt Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident über die geplante Volksabstimmung zu Stuttgart 21. Im Interview spricht Winfried Kretschmann über einen neuen Politikstil, schwarz-grüne Optionen und ein mögliches Atomendlager im Ländle.
Deutschlandradio Kultur: Unser Gast ist Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der erste Grüne in diesem Amt in Deutschland. Herzlich willkommen.
Winfried Kretschmann: Schönen guten Tag.
Deutschlandradio Kultur: Herr Kretschmann, vor vier Monaten haben Sie die Wahl in Baden-Württemberg gewonnen. Eines der Zentralversprechen Ihrer Regierung war und ist auch, anders und bürgernäher zu regieren. Wie wichtig ist dabei Ehrlichkeit?
Winfried Kretschmann: Ich meine, Ehrlichkeit ist eine Grundlage der Politik in der Demokratie. Die Frage ist schon entschieden. Um Lüge und Wahrheit geht's in Diktaturen. In der Demokratie geht's um Alternativen. Und dass man da wenigstens einigermaßen ehrlich ist, das muss man voraussetzen.
Deutschlandradio Kultur: Dann frage ich mal konkret nach: Ehrlichkeit in dem Sinne, dass man als Regierender dann auch die Wählerinnen und Wähler, die Bürgerinnen und Bürger darüber informiert, wenn man erkennt, dass man auf einem Weg nicht mehr weiterkommt. Sie ahnen, es geht um Stuttgart21.
Wann ist es an der Zeit, dass Sie den Bürgerinnen und Bürgern in Baden-Württemberg sagen, dass Sie das Projekt nicht wie angekündigt, wie geplant, wie gewünscht verhindern können?
Winfried Kretschmann: Ich wüsste nicht, warum ich das machen soll. Wir haben jetzt einen Stresstest gehabt. Der ist bewertet worden. Und wir gehen jetzt in die Volksabstimmung. Und das Volk hat das letzte Wort. Das entscheidet darüber. Warum soll ich da so eine Aussage machen? Ich meine, das ist ein klar vorgegebenes Prozedere, dass wir der Bevölkerung vor und nach der Wahl gesagt haben. Und der Souverän entscheidet das letztlich selber.
Deutschlandradio Kultur: Nun haben Sie aber im April dieses Jahres schon gesagt: "Nüchtern betrachtet ist das Quorum", dabei geht es ja auch bei der Befragung, "nicht zu schaffen." Warum geben Sie dann den Kampf Stuttgart21 nicht einfach auf?
Winfried Kretschmann: Das Quorum ist zu schaffen, auch wenn das sehr schwer ist und auch vielleicht sogar unwahrscheinlich, dass sich so viele an der Wahl beteiligen. Aber das Entscheidende in der Politik ist, sonst macht sie gar keinen Sinn mehr, dass unvorhergesehene Dinge passieren. Wenn das nicht mehr der Fall ist, dann geschieht in der Politik nur noch das, was ohne sie auch geschähe. Und dann entleert sie sich ihres Sinnes. Deswegen ist gerade das Interessante in der Politik, wenn Unvorhergesehenes geschieht.
Wer hätte denn geglaubt noch einen Monat vor dem Fall der Mauer, dass sie fällt? Niemand! Wer hätte geglaubt, dass ich der erste grüne Ministerpräsident werde? Ganz wenige. Ich denke, so kann man nicht Politik machen.
Deutschlandradio Kultur: Aber Herr Kretschmann, Sie haben sich selbst über dieses Referendum, was im November wohl frühestens stattfinden wird, als letzter Meilenstein in der Entscheidung um Stuttgart21, dazu geäußert. Sie haben einerseits gesagt, das Quorum ist – nüchtern betrachtet – nicht zu erreichen. Da hören wir heute eine andere Aussage von Ihnen. Zweitens haben Sie auch gesagt, es würde die "Befriedung, die dadurch erwartet wird, wahrscheinlich nicht bringen". Denn der wahrscheinliche Ausgang ist, dass es eine Mehrheit gegen Stuttgart21 geben wird, aber leider dann das Quorum nicht erreicht ist, das heißt, diese Entscheidung nicht bindend ist für die Politik.
Winfried Kretschmann: Das muss man so sehen: Wir haben ja versucht, dass dieses Quorum gesenkt wird. Dazu braucht man allerdings eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Also, die CDU hat sich dem verweigert, denn sie hat Angst vor den Folgen. Aber die Verfassung gilt. Jetzt ist das Quorum so hoch. Wir leiten diese Volksabstimmung ein. Und dann sieht man das Ergebnis. Das ist ein korrektes Verfahren. Und es ist niemandem verboten, sich daran zu beteiligen. Und es gilt. Wir haben das andere versucht. Und selbst wenn es unwahrscheinlich ist, dass das Quorum erreicht wird, ist es doch möglich. Insofern machen wir niemandem was vor. Jeder kann daran teilnehmen oder es bleiben lassen. Fertig, aus, Amen.
Deutschlandradio Kultur: Die verschiedenen Hürden, die gesetzt wurden, Stresstest, der jetzt eben auch von den Schweizern überprüft wurde und da weitgehend als positiv bewertet wurde im Sinne der Deutschen Bahn, der ist als Verhinderungsgrund für Stuttgart21 weggefallen. Jetzt haben Sie noch das Referendum als letzte Möglichkeit, über das Sie sich selbst, wir haben es zitiert, sehr skeptisch noch vor wenigen Wochen geäußert haben. Ich frage mich, wo Ihr Optimismus jetzt an dieser Stelle herkommt. Das klingt eigentlich eher nach Zweckoptimismus.
Winfried Kretschmann: Ich meine, ich habe von Optimismus gar nicht geredet.
Deutschlandradio Kultur: Aber er klingt raus.
Winfried Kretschmann: Ja nein, das überinterpretieren Sie, glaube ich. Es ist einfach ein Verfahren, das so beschlossen ist, das so angekündigt wird. Und das wird gemacht. Das ist verfassungskonform. Und das gilt. Und was ich mir jetzt dabei denke, ob ich darüber optimistisch, pessimistisch oder skeptisch denke, das spielt überhaupt keine Rolle.
Deutschlandradio Kultur: Jenseits der Frage, Herr Ministerpräsident, ob Stuttgart 21 überhaupt gebaut wird, Ihnen ist es noch nicht einmal gelungen, die Phase bis zur Entscheidung zu befrieden, zu zivilisieren. Demos gibt es weiter. Gewalt am Bauzaun gibt es weiter. Und die Bahn plant fleißig weiter. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man vermuten, Schwarz-Gelb regiert in Stuttgart weiter.
Winfried Kretschmann: Das sehe ich nicht so. Der Konflikt um Stuttgart 21 hat die Republik schon verändert. Alle Parteien sind sich einig, dass wir in Zukunft solche Vorhaben nicht so planen und nicht so durchziehen können. Also, der Erfolg ist schon da.
Und es wird die bundesrepublikanische Gesellschaft verändern und ihre Politik. Es werden neue Formate entwickelt werden, wie wir die Zivilgesellschaft auf Augenhöhe in solchen Konflikten mit den Institutionen beteiligen. Und das ist schon ein Ergebnis dieses Konflikts und ein sehr positives, wie ich sehe. Aber dass in einem Konflikt nun beide Koalitionsparteien ganz unterschiedlicher Auffassung sind, es da ein Hin und Her gibt, ich meine, das kann doch niemanden wirklich verwundern.
Deutschlandradio Kultur: Aber, Hand aufs Herz, haben Sie sich das Ganze vielleicht ein bisschen leichter vorgestellt? Haben Sie Ihre Rolle als Ministerpräsident in Stuttgart nicht vielleicht überschätzt?
Winfried Kretschmann: Ich habe mir das überhaupt nicht leichter vorgestellt. Ich habe es mir noch schwerer vorgestellt, als es ist. Also, wir haben eigentlich im Großen und Ganzen diese Baustelle gut abgesichert, sodass wir jetzt nicht Angst haben müssen, die Koalition fällt da rein und bricht sich sozusagen ein Bein oder geht sogar auseinander. Also, ich finde, das ist gut gehändelt, so, wie wir es eigentlich im Koalitionsvertrag abgesprochen haben. Und da wir in der Sache ja diametral unterschiedlicher Auffassung sind, kann niemand verwundern, dass es da auch jetzt nicht so klar weitergeht, wie man das normal von einem Regierungsbündnis erwartet. Aber an dem Punkt war das ja allen klar.
Deutschlandradio Kultur: Aber die Frage stellt sich ja schon nach dem Primat der Politik oder dem Primat der geschlossenen Verträge. Die Bahn will weitere Aufträge vergeben, 750 Millionen Euro schwer. Das ist ein dicker Batzen in dem Gesamtvolumen. Wer hat da das letzte Wort? Die legitimierte Regierung oder eine Bahn, die sagt, wir beziehen uns auf Verträge, die von einer Vorgängerregierung geschlossen wurden?
Winfried Kretschmann: Das letzte Wort haben in der Demokratie dann die Gerichte. So ist es nun mal. Also, das muss man ganz nüchtern so sehen. Sie müssen aber Folgendes sehen: Alle haben sich auf die Schlichtung eingelassen, ein völlig freihändiges Verfahren. Und die Zusagen in der Schlichtung, auch das ist so etwas wie ein öffentlich eingegangener Vertrag. Also, insofern ist da eine neue Situation entstanden. Es ist natürlich ungewöhnlich, aber es ist ja auch ein ungewöhnlicher Konflikt. Und nur an solchen ungewöhnlichen Konflikten entwickelt sich eine Gesellschaft weiter. Das ist nun mal so. Deswegen ist diese Rede, ja, das ist alles beschlossen, nicht sehr hilfreich. Das weiß ich natürlich auch, dass das alles beschlossen wurde. Trotzdem gab's einen riesigen Proteststurm und alle haben darauf reagiert.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie haben es nicht einmal geschafft, die Bahn zu einem Baustopp zu bringen in der Zeit, in der die Entscheidung endgültig noch nicht gefallen ist über Stuttgart 21.
Winfried Kretschmann: Doch, sehr lange Zeit schon haben wir sie dazu gebracht. Und es war ja auch immer vereinbart, dass es gar kein ganzer Baustopp ist, sondern dass sie bestimmte Dinge immer machen durften, die rückholbar sind.
Jetzt ist es natürlich allerdings so, wir haben der Bahn klar gesagt: Wenn die Kosten steigen, zahlen wir nicht mehr. Und wenn es gegen Stuttgart 21 ausgeht, dann trägt die Bahn allerdings, wenn sie jetzt Vergaben macht, das volle Risiko. Das muss sie wissen und das muss klar sein.
Deutschlandradio Kultur: Ist es nicht irgendwie absurd. Sie wollen Baden-Württemberg ökologisch umbauen. Der potenzielle Partner für einen solchen Umbau wäre ein umweltfreundliches Verkehrsunternehmen wie die Bahn. Die Bahn aber ist Ihr Gegner in diesem Konflikt.
Winfried Kretschmann: Die Welt ist voller Paradoxien. So ist der Mensch nun mal gemacht. Und es geht hier ja nicht um die Bahn, sondern es geht um einen bestehenden Kopfbahnhof, den pünktlichsten Bahnhof Deutschlands, ob man den noch besser macht und saniert oder ob man ihn vergräbt. Das ist ein sehr konkreter Konflikt und der hat mit der Bahn an sich erstmal gar nichts zu tun.
Allerdings dass die Bahn intransparent arbeitet, das haben wir zur Genüge erfahren. Das muss sich ändern und sie muss sich mehr am Kunden orientieren und diese alte Mentalität – wir kontrollieren und prüfen uns selber, so wie es früher war, wo sie noch die Deutsche Bundesbahn war –, da sollte sich allerdings einiges ändern.
Und es ja so: Bei Stuttgart 21 soll nun auf einmal funktionieren, was bei der Bahn sonst nicht funktioniert. Also, die Bahn hat viele, viele Hausaufgaben zu machen, bis sie wirklich ein kundenfreundliches Unternehmen wird. Und wir wollen einfach ganz neue Ansätze in eine umweltfreundliche Mobilität. Darum geht es und da kommen wir irgendwann mit der Bahn auch schon wieder zusammen – keine Angst.
Deutschlandradio Kultur: Lassen wir Stuttgart 21 mal zur Seite und kommen zu einem anderen Thema, das den Wahlkampf sehr stark auch bestimmt hat, die Atomkraft. Da waren Sie sehr viel erfolgreicher, politisch zumindest. Finanziell sieht das gerade in Ihrem Bundesland etwas anders aus für den Stromkonzern EnBW und damit auch für das Land, das ja fast die Hälfte an EnBW besitzt. Wie teuer wird der Atomausstieg letztlich für Baden-Württemberg?
Winfried Kretschmann: Das können wir heute noch nicht sagen. Das Problem ist ja, dass mein Vorgänger Stefan Mappus die Anteile an der EnBW zu weit überhöhten Preisen gekauft hat. Und das ist ein Problem, das wir haben. Denn die Dividende dieses Unternehmens muss immer höher sein als die Zinsen, die wir bezahlen. Sonst wird das haushaltswirksam und wir müssen die Zinsen aus dem Haushalt bezahlen. Das ist sicher ein Problem.
Aber davon abgesehen werden wir versuchen, dieses Unternehmen eben neu aufzustellen. Es war sehr atomkraftlastig. Deswegen wird das ein schwerer Gang. Aber wir werden es konsequent angehen und hoffen, dass wir das Unternehmen auf eine gute Ebene bringen in Zukunft.
Deutschlandradio Kultur: Wie soll denn diese Neuaufstellung aussehen? Also, die Anteile zu verkaufen, das haben Sie ja gerade schon angedeutet, wäre mit hohen Verlusten verbunden. Und für den Umbau des Konzerns fehlt Ihnen aber eigentlich auch das Geld. Also, wie kommen Sie da raus?
Winfried Kretschmann: Also, wir werden versuchen, da zu Kooperationen mit den Stadtwerken zu kommen, mit regionalen Energieversorgern, aber auch natürlich in Übergangstechnologien, wie sehr moderne Gaskraftwerke, zu investieren, in Pumpspeicherkraftwerke. Also, das sind sozusagen die ersten Linien, um die es geht.
Deutschlandradio Kultur: Das ist ja auch die Brennelementesteuer, die EnBW belastet, damit letztendlich auch indirekt den Landeshaushalt. EnBW hat sich jetzt der Klage der anderen Stromanbieter angeschlossen. Findet das Ihre Unterstützung?
Winfried Kretschmann: Das ist erstmal eine Entscheidung des Vorstands. Und der ist da autonom, im Interesse seines Unternehmens so etwas zu machen. Ob mir das nun politisch gefällt oder nicht, ist dabei erst mal unerheblich.
Deutschlandradio Kultur: EnBW ist der eine Aspekt. Das Endlager von Atommüll ist ein anderer. Da haben Sie selbst einen möglichen Standort eines Endlagers ins Gespräch gebracht. Warum wollen Sie das den Bürgern auch noch zumuten?
Winfried Kretschmann: Nein, ich habe keinen Standort in die Debatte gebracht. Ich habe in die Debatte gebracht, dass wir eine Endlagersuche machen, die offen ist, in der ganzen Republik.
Deutschlandradio Kultur: Aber das schließt doch Ihr Bundesland mit ein.
Winfried Kretschmann: Das schließt das Bundesland mit ein. Das ist ja klar. Wenn es offen ist und überall gesucht werden darf und gesucht werden soll, wo die geeigneten geologischen Formationen sind, da kann ich ja wohl mein eigenes Bundesland nicht ausnehmen. Also, das würde mich ja völlig unglaubwürdig machen. Sondern ich habe ja gerade damit die Diskussion und eine allgemeine Suche eröffnet. Und dem haben alle Ministerpräsidenten und auch die Bundesregierung zugestimmt. Also, ich denke, das war ein großer Erfolg, einfach dadurch durchzusetzen, dass – wenn überall gesucht wird – auch überall gefunden werden darf.
Deutschlandradio Kultur: Und wenn Sie bei sich einen geeigneten Platz finden, dann könnte es ein Endlager in Baden-Württemberg geben.
Winfried Kretschmann: Nein, tut mir leid, so werde ich Ihnen nicht antworten. Meine Antwort kann nur heißen: Der Atommüll muss dort gelagert werden, wo der beste Standort ist. Das entscheidet die Wissenschaft, unabhängig, in welchem Bundesland er ist.
Deutschlandradio Kultur: Aber das heißt, dann war es ein rhetorisches Angebot, was Sie gemacht haben, was sie es nicht wirklich ernst meinen.
Winfried Kretschmann: Wieso?
Deutschlandradio Kultur: Dann müssten Sie ja bereit sein zu sagen: Wenn die Wissenschaft zu dem Ergebnis kommt, Atommüll ist sicher gelagert an einem Standort in Baden-Württemberg, dann sind wir dazu bereit das zu tun.
Winfried Kretschmann: Wenn die Wissenschaft der Meinung ist, dass in Baden-Württemberg irgendwo der beste Standort ist, dann ist er dort.
Deutschlandradio Kultur: Und dann würden Sie das auch politisch durchsetzen in Ihrem Land.
Winfried Kretschmann: Aber selbstverständlich. Ich meine, man kann sich doch nicht aussuchen, was einem gefällt und was nicht in der Welt und pickt sich da die Rosinen raus. Erstmal hatten wir einen sehr erfolgreichen Start der Regierung. Es ist uns mit unserer Hilfe gelungen, einen klaren berechenbaren Atomausstieg durchzusetzen. Das ist einer der größten Erfolge meiner politischen Laufbahn. Und ich weiß nicht, warum ich jammern sollte, wenn auch unangenehme Dinge kommen. Wir waren immer gegen Atomkraft, aber der Müll ist nun mal da. Und irgendwo muss er hin. Und es ist doch irgendwie nicht die Frage, ob das jetzt dem Kretschmann gefällt oder nicht. Ich meine, so kann man doch nicht an Politik rummachen. Es geht um Gemeinwohlorientierung und nicht, ob der Kretschmann Pech oder Glück hat bei irgendwelchen Entscheidungen.
Deutschlandradio Kultur: Nun lassen Sie es uns aber mal konkreter machen und zu einer Frage kommen, die natürlich allen Landesvätern weht tun muss. Stuttgart21 bringt enorme Kosten mit sich, der Umbau, wie auch immer, die Risiken bei EnBW bringen sehr viele Kosten mit sich. Sie wollen das Land ökologisch umbauen. Wo nehmen Sie denn das Geld da noch her?
Winfried Kretschmann: Also, bis jetzt fließt kein Geld in die EnBW, sondern die ist ja auf Pump gekauft.
Deutschlandradio Kultur: Und Sie müssen jährlich 110 Millionen Euro Zinsen zahlen für den Kauf.
Winfried Kretschmann: Also, bisher ist davon ausgegangen worden, dass das aus den Dividenden kommt. Das ist nun einfach eine Erblast. Die habe ich ja nicht zu verantworten. Aber der Umbau unserer ganzen Wirtschaft hin auf grüne Produktlinien, die energie- und ressourcensparend sind, ist erstmal ein Erfordernis einer klaren ökologischen Ordnungspolitik. Und die kostet kein Geld, sondern – jedenfalls nicht das, was Innovation sowieso immer kostet in der Wirtschaft – bringt Geld. Sie macht unsere Wirtschaft in Baden-Württemberg fit für die Weltmärkte der Zukunft. Sie sichert also Prosperität, weil wir heute mit Produktlinien und Dienstleistungen, die energie- und ressourcensparend sind, die Nase vorn haben. Und deswegen ist das für uns als das Exportland der Republik schlechthin eine gute Aussicht und es sichert Prosperität und kostet nicht einfach Geld.
Deutschlandradio Kultur: Herr Kretschmann, würden Sie sich eigentlich darüber freuen, wenn man Sie mit Barack Obama vergleichen würde? Charismatischer Politiker, ein Rhetoriker ohne Frage mit einer persönlichen Beliebtheit, der aber eine mindestens gemischte politische Bilanz vorweisen kann, der einfach das nicht umsetzen kann letztendlich, was er vorhatte, was er vorhat.
Winfried Kretschmann: Ich meine, Sie machen jetzt den schlechten Propheten. Bisher habe ich doch noch gar keinen Misserfolg.
Deutschlandradio Kultur: Wir ahnen, was Ihnen schwant mit Stuttgart 21 und mit den Risiken bei EnBW, dass Sie Erblasten der Vorgängerregierung haben, die Ihnen letztendlich die politischen Möglichkeiten so zuschnüren, dass Sie am Ende große Ankündigungen machen können, aber nichts umsetzen.
Winfried Kretschmann: Ich meine, die Gefahr bestünde wirklich, wenn uns jetzt das Geschäft meines Vorgängers Mappus mit der EnBW richtig volle Kanne auf die Füße fällt, wir sozusagen Milliarden abschreiben müssen und die haushaltswirksam werden. Das würde in der Tat natürlich das Regierungsprogramm, das wir uns vorgenommen haben, sehr beeinträchtigen. Aber wir werden alles tun, dass es so weit nicht kommt.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind jetzt fast 100 Tage im Amt. Inwieweit haben Sie das Amt in dieser Zeit verändert oder inwieweit hat Sie das Amt verändert?
Winfried Kretschmann: Ja, ich meine, wenn mich jetzt nach wenigeren Monaten das Amt schon verändert hätte, das wäre ja schlimm. Und ich denke, das Amt habe ich verändert. Wir machen von vorneherein, das habe ich schon zwischen meiner Wahl und der Bestimmung zum Ministerpräsidenten gemacht auf vier Bürgerveranstaltungen. Also, wir machen diese Hinwendung zur Bürgerschaft ganz konsequent. Und da ist das Amt schon verändert worden, und zwar bemerkbar. Und deswegen bekomme ich da einen großen Zuspruch aus der Bevölkerung. Das merken alle Leute, dass wir anders an die Dinge rangehen, also, nicht mehr mit dieser Von-oben-herab-Haltung, wir wissen sowieso alles, vor allem alles besser, sondern das ist ein offener Dialog.
Und wenn wir noch mal auf das Thema von vorher zurückgehen, ich sage immer, zumal, wie wenn ich jetzt mit der Wirtschaft oder der Automobilindustrie rede: Von den Zielen einer nachhaltigen Wirtschaft und der Mobilität werde ich mich durch niemand abbringen lassen. Aber über die Schritte, wie wir das am besten erreichen, bin ich offen und durchaus auch willens, meine Position zu korrigieren, wenn andere sagen, sie sind falsch, oder, ich habe was Besseres. So ist es schon ernsthaft gemeint und das spüren alle.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben auch gesagt, Sie wollen sich die Naivität erhalten. Aber ist das vielleicht eine Naivität, die einem Ministerpräsidenten auch manchmal im Wege stehen kann, die ihm vielleicht sogar etwas lächerlich erscheinen kann. Ich denke da an Ihren Besuch bei Bundesverkehrsminister Ramsauer, wo Sie voller Elan und voller Hoffnung hingefahren sind, dass er die Bahn überreden könne einen Baustopp zu machen oder auch zu finanzieren bzw. der Bund diese Kosten übernehmen könnte. War das zu naiv?
Winfried Kretschmann: Ich glaube, da unterschätzen Sie mich dann doch ein bisschen. Ich bin schon Realist und weiß schon, wie weit ich bei Ramsauer komme. Aber dass ich mit dem erstmal ganz normal darüber rede und meine Argumente vorbringe und versuche, ob er letztlich darauf eingeht, von so was werde ich mich allerdings nicht abbringen lassen.
Und immer nur etwas mit anderen zu reden, aber das ist vorher sozusagen taktisch schon ausgehandelt, ist nicht mein Stil. Ich rede mit allen. Mit Seehofer waren nun alle überrascht. Auch er ist mir mit seinem Generalsekretär ziemlich unsanft gegen's Schienenbein getreten. Von so was lasse ich mich nicht beeindrucken. Ich rede mit ihm ganz normal. Wir haben da viel erreicht. Und das ist mein Politikstil. Und das meine ich mit Naivität. Das ich rede mit jedem, auch unabhängig von den Erfolgsaussichten, das gehört einfach zu meinen Grundüberzeugungen. Und von denen werde ich mich mit Sicherheit nicht abbringen lassen. Und wenn ich mich davon abbringen ließe, wäre es höchste Zeit, dass ich aufhöre.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben nicht nur mit Seehofer geredet. Sie haben auch großen Respekt für die Kanzlerin bekundet. Wenn Sie über die SPD allerdings reden, finden Sie solche Worte wie "große Unsicherheit", "Schwanken", "eine Partei, die ihren Weg noch nicht gefunden hat". Verstehen wir Sie richtig? Ist Schwarz-Grün vielleicht doch die viel versprechendere Option?
Winfried Kretschmann: Ich lasse mich auf so Klischees nicht ein. Ich habe den Respekt vor der Kanzlerin in einem ganz präzisen Zusammenhang geäußert, nämlich dass sie den Mut hatte zu der Kehrtwende. Ich habe die Unsicherheit mit der SPD in einem präzisen Zusammenhang geäußert, dass sie nicht klar ist, wer der Kanzlerkandidat werden soll. Daraus muss man jetzt nicht ein Allgemeinurteil über Schwarz oder Rot machen.
Deutschlandradio Kultur: Gut, aber wir verraten hier kein Geheimnis. Sie sind nicht unbedingt ein Gegner von Schwarz-Grün.
Winfried Kretschmann: Nein, warum sollte ich das auch sein. Dafür gibt's ja erst mal gar keinen Grund. Aber im Moment sehe ich das eigentlich so: Die CDU gehört in die Opposition, weil sie ganz verunsichert ist. Nehmen wir die Energiewende, nehmen wir jetzt den Kurswechsel überraschend in der Schulpolitik. Wo man immer auch hinschaut, können wir nicht sehen, dass die Union einen Kurs verfolgt, von dem sie selber wirklich als Partei überzeugt ist. Und am besten kann man das in der Opposition klären. Insofern sehe ich im Moment nicht, dass Schwarz angesagt wäre.
Deutschlandradio Kultur: Erlauben Sie uns einen kleinen Blick zum Abschluss in die Zukunft, Herr Kretschmann. Was werden wir auf den grünen Wahlplakaten bei der Landtagswahl 2016 sehen, die Sie an den Bauzaun von Stuttgart 21 hängen? So was wie: Sorry, wir haben es wirklich versucht.
Winfried Kretschmann: Dass der Mensch nicht in die Zukunft gucken kann, ist eine große Gnade.
Deutschlandradio Kultur: Herr Kretschmann, vielen Dank für das Gespräch.
Winfried Kretschmann: Schönen guten Tag.
Deutschlandradio Kultur: Herr Kretschmann, vor vier Monaten haben Sie die Wahl in Baden-Württemberg gewonnen. Eines der Zentralversprechen Ihrer Regierung war und ist auch, anders und bürgernäher zu regieren. Wie wichtig ist dabei Ehrlichkeit?
Winfried Kretschmann: Ich meine, Ehrlichkeit ist eine Grundlage der Politik in der Demokratie. Die Frage ist schon entschieden. Um Lüge und Wahrheit geht's in Diktaturen. In der Demokratie geht's um Alternativen. Und dass man da wenigstens einigermaßen ehrlich ist, das muss man voraussetzen.
Deutschlandradio Kultur: Dann frage ich mal konkret nach: Ehrlichkeit in dem Sinne, dass man als Regierender dann auch die Wählerinnen und Wähler, die Bürgerinnen und Bürger darüber informiert, wenn man erkennt, dass man auf einem Weg nicht mehr weiterkommt. Sie ahnen, es geht um Stuttgart21.
Wann ist es an der Zeit, dass Sie den Bürgerinnen und Bürgern in Baden-Württemberg sagen, dass Sie das Projekt nicht wie angekündigt, wie geplant, wie gewünscht verhindern können?
Winfried Kretschmann: Ich wüsste nicht, warum ich das machen soll. Wir haben jetzt einen Stresstest gehabt. Der ist bewertet worden. Und wir gehen jetzt in die Volksabstimmung. Und das Volk hat das letzte Wort. Das entscheidet darüber. Warum soll ich da so eine Aussage machen? Ich meine, das ist ein klar vorgegebenes Prozedere, dass wir der Bevölkerung vor und nach der Wahl gesagt haben. Und der Souverän entscheidet das letztlich selber.
Deutschlandradio Kultur: Nun haben Sie aber im April dieses Jahres schon gesagt: "Nüchtern betrachtet ist das Quorum", dabei geht es ja auch bei der Befragung, "nicht zu schaffen." Warum geben Sie dann den Kampf Stuttgart21 nicht einfach auf?
Winfried Kretschmann: Das Quorum ist zu schaffen, auch wenn das sehr schwer ist und auch vielleicht sogar unwahrscheinlich, dass sich so viele an der Wahl beteiligen. Aber das Entscheidende in der Politik ist, sonst macht sie gar keinen Sinn mehr, dass unvorhergesehene Dinge passieren. Wenn das nicht mehr der Fall ist, dann geschieht in der Politik nur noch das, was ohne sie auch geschähe. Und dann entleert sie sich ihres Sinnes. Deswegen ist gerade das Interessante in der Politik, wenn Unvorhergesehenes geschieht.
Wer hätte denn geglaubt noch einen Monat vor dem Fall der Mauer, dass sie fällt? Niemand! Wer hätte geglaubt, dass ich der erste grüne Ministerpräsident werde? Ganz wenige. Ich denke, so kann man nicht Politik machen.
Deutschlandradio Kultur: Aber Herr Kretschmann, Sie haben sich selbst über dieses Referendum, was im November wohl frühestens stattfinden wird, als letzter Meilenstein in der Entscheidung um Stuttgart21, dazu geäußert. Sie haben einerseits gesagt, das Quorum ist – nüchtern betrachtet – nicht zu erreichen. Da hören wir heute eine andere Aussage von Ihnen. Zweitens haben Sie auch gesagt, es würde die "Befriedung, die dadurch erwartet wird, wahrscheinlich nicht bringen". Denn der wahrscheinliche Ausgang ist, dass es eine Mehrheit gegen Stuttgart21 geben wird, aber leider dann das Quorum nicht erreicht ist, das heißt, diese Entscheidung nicht bindend ist für die Politik.
Winfried Kretschmann: Das muss man so sehen: Wir haben ja versucht, dass dieses Quorum gesenkt wird. Dazu braucht man allerdings eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Also, die CDU hat sich dem verweigert, denn sie hat Angst vor den Folgen. Aber die Verfassung gilt. Jetzt ist das Quorum so hoch. Wir leiten diese Volksabstimmung ein. Und dann sieht man das Ergebnis. Das ist ein korrektes Verfahren. Und es ist niemandem verboten, sich daran zu beteiligen. Und es gilt. Wir haben das andere versucht. Und selbst wenn es unwahrscheinlich ist, dass das Quorum erreicht wird, ist es doch möglich. Insofern machen wir niemandem was vor. Jeder kann daran teilnehmen oder es bleiben lassen. Fertig, aus, Amen.
Deutschlandradio Kultur: Die verschiedenen Hürden, die gesetzt wurden, Stresstest, der jetzt eben auch von den Schweizern überprüft wurde und da weitgehend als positiv bewertet wurde im Sinne der Deutschen Bahn, der ist als Verhinderungsgrund für Stuttgart21 weggefallen. Jetzt haben Sie noch das Referendum als letzte Möglichkeit, über das Sie sich selbst, wir haben es zitiert, sehr skeptisch noch vor wenigen Wochen geäußert haben. Ich frage mich, wo Ihr Optimismus jetzt an dieser Stelle herkommt. Das klingt eigentlich eher nach Zweckoptimismus.
Winfried Kretschmann: Ich meine, ich habe von Optimismus gar nicht geredet.
Deutschlandradio Kultur: Aber er klingt raus.
Winfried Kretschmann: Ja nein, das überinterpretieren Sie, glaube ich. Es ist einfach ein Verfahren, das so beschlossen ist, das so angekündigt wird. Und das wird gemacht. Das ist verfassungskonform. Und das gilt. Und was ich mir jetzt dabei denke, ob ich darüber optimistisch, pessimistisch oder skeptisch denke, das spielt überhaupt keine Rolle.
Deutschlandradio Kultur: Jenseits der Frage, Herr Ministerpräsident, ob Stuttgart 21 überhaupt gebaut wird, Ihnen ist es noch nicht einmal gelungen, die Phase bis zur Entscheidung zu befrieden, zu zivilisieren. Demos gibt es weiter. Gewalt am Bauzaun gibt es weiter. Und die Bahn plant fleißig weiter. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man vermuten, Schwarz-Gelb regiert in Stuttgart weiter.
Winfried Kretschmann: Das sehe ich nicht so. Der Konflikt um Stuttgart 21 hat die Republik schon verändert. Alle Parteien sind sich einig, dass wir in Zukunft solche Vorhaben nicht so planen und nicht so durchziehen können. Also, der Erfolg ist schon da.
Und es wird die bundesrepublikanische Gesellschaft verändern und ihre Politik. Es werden neue Formate entwickelt werden, wie wir die Zivilgesellschaft auf Augenhöhe in solchen Konflikten mit den Institutionen beteiligen. Und das ist schon ein Ergebnis dieses Konflikts und ein sehr positives, wie ich sehe. Aber dass in einem Konflikt nun beide Koalitionsparteien ganz unterschiedlicher Auffassung sind, es da ein Hin und Her gibt, ich meine, das kann doch niemanden wirklich verwundern.
Deutschlandradio Kultur: Aber, Hand aufs Herz, haben Sie sich das Ganze vielleicht ein bisschen leichter vorgestellt? Haben Sie Ihre Rolle als Ministerpräsident in Stuttgart nicht vielleicht überschätzt?
Winfried Kretschmann: Ich habe mir das überhaupt nicht leichter vorgestellt. Ich habe es mir noch schwerer vorgestellt, als es ist. Also, wir haben eigentlich im Großen und Ganzen diese Baustelle gut abgesichert, sodass wir jetzt nicht Angst haben müssen, die Koalition fällt da rein und bricht sich sozusagen ein Bein oder geht sogar auseinander. Also, ich finde, das ist gut gehändelt, so, wie wir es eigentlich im Koalitionsvertrag abgesprochen haben. Und da wir in der Sache ja diametral unterschiedlicher Auffassung sind, kann niemand verwundern, dass es da auch jetzt nicht so klar weitergeht, wie man das normal von einem Regierungsbündnis erwartet. Aber an dem Punkt war das ja allen klar.
Deutschlandradio Kultur: Aber die Frage stellt sich ja schon nach dem Primat der Politik oder dem Primat der geschlossenen Verträge. Die Bahn will weitere Aufträge vergeben, 750 Millionen Euro schwer. Das ist ein dicker Batzen in dem Gesamtvolumen. Wer hat da das letzte Wort? Die legitimierte Regierung oder eine Bahn, die sagt, wir beziehen uns auf Verträge, die von einer Vorgängerregierung geschlossen wurden?
Winfried Kretschmann: Das letzte Wort haben in der Demokratie dann die Gerichte. So ist es nun mal. Also, das muss man ganz nüchtern so sehen. Sie müssen aber Folgendes sehen: Alle haben sich auf die Schlichtung eingelassen, ein völlig freihändiges Verfahren. Und die Zusagen in der Schlichtung, auch das ist so etwas wie ein öffentlich eingegangener Vertrag. Also, insofern ist da eine neue Situation entstanden. Es ist natürlich ungewöhnlich, aber es ist ja auch ein ungewöhnlicher Konflikt. Und nur an solchen ungewöhnlichen Konflikten entwickelt sich eine Gesellschaft weiter. Das ist nun mal so. Deswegen ist diese Rede, ja, das ist alles beschlossen, nicht sehr hilfreich. Das weiß ich natürlich auch, dass das alles beschlossen wurde. Trotzdem gab's einen riesigen Proteststurm und alle haben darauf reagiert.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie haben es nicht einmal geschafft, die Bahn zu einem Baustopp zu bringen in der Zeit, in der die Entscheidung endgültig noch nicht gefallen ist über Stuttgart 21.
Winfried Kretschmann: Doch, sehr lange Zeit schon haben wir sie dazu gebracht. Und es war ja auch immer vereinbart, dass es gar kein ganzer Baustopp ist, sondern dass sie bestimmte Dinge immer machen durften, die rückholbar sind.
Jetzt ist es natürlich allerdings so, wir haben der Bahn klar gesagt: Wenn die Kosten steigen, zahlen wir nicht mehr. Und wenn es gegen Stuttgart 21 ausgeht, dann trägt die Bahn allerdings, wenn sie jetzt Vergaben macht, das volle Risiko. Das muss sie wissen und das muss klar sein.
Deutschlandradio Kultur: Ist es nicht irgendwie absurd. Sie wollen Baden-Württemberg ökologisch umbauen. Der potenzielle Partner für einen solchen Umbau wäre ein umweltfreundliches Verkehrsunternehmen wie die Bahn. Die Bahn aber ist Ihr Gegner in diesem Konflikt.
Winfried Kretschmann: Die Welt ist voller Paradoxien. So ist der Mensch nun mal gemacht. Und es geht hier ja nicht um die Bahn, sondern es geht um einen bestehenden Kopfbahnhof, den pünktlichsten Bahnhof Deutschlands, ob man den noch besser macht und saniert oder ob man ihn vergräbt. Das ist ein sehr konkreter Konflikt und der hat mit der Bahn an sich erstmal gar nichts zu tun.
Allerdings dass die Bahn intransparent arbeitet, das haben wir zur Genüge erfahren. Das muss sich ändern und sie muss sich mehr am Kunden orientieren und diese alte Mentalität – wir kontrollieren und prüfen uns selber, so wie es früher war, wo sie noch die Deutsche Bundesbahn war –, da sollte sich allerdings einiges ändern.
Und es ja so: Bei Stuttgart 21 soll nun auf einmal funktionieren, was bei der Bahn sonst nicht funktioniert. Also, die Bahn hat viele, viele Hausaufgaben zu machen, bis sie wirklich ein kundenfreundliches Unternehmen wird. Und wir wollen einfach ganz neue Ansätze in eine umweltfreundliche Mobilität. Darum geht es und da kommen wir irgendwann mit der Bahn auch schon wieder zusammen – keine Angst.
Deutschlandradio Kultur: Lassen wir Stuttgart 21 mal zur Seite und kommen zu einem anderen Thema, das den Wahlkampf sehr stark auch bestimmt hat, die Atomkraft. Da waren Sie sehr viel erfolgreicher, politisch zumindest. Finanziell sieht das gerade in Ihrem Bundesland etwas anders aus für den Stromkonzern EnBW und damit auch für das Land, das ja fast die Hälfte an EnBW besitzt. Wie teuer wird der Atomausstieg letztlich für Baden-Württemberg?
Winfried Kretschmann: Das können wir heute noch nicht sagen. Das Problem ist ja, dass mein Vorgänger Stefan Mappus die Anteile an der EnBW zu weit überhöhten Preisen gekauft hat. Und das ist ein Problem, das wir haben. Denn die Dividende dieses Unternehmens muss immer höher sein als die Zinsen, die wir bezahlen. Sonst wird das haushaltswirksam und wir müssen die Zinsen aus dem Haushalt bezahlen. Das ist sicher ein Problem.
Aber davon abgesehen werden wir versuchen, dieses Unternehmen eben neu aufzustellen. Es war sehr atomkraftlastig. Deswegen wird das ein schwerer Gang. Aber wir werden es konsequent angehen und hoffen, dass wir das Unternehmen auf eine gute Ebene bringen in Zukunft.
Deutschlandradio Kultur: Wie soll denn diese Neuaufstellung aussehen? Also, die Anteile zu verkaufen, das haben Sie ja gerade schon angedeutet, wäre mit hohen Verlusten verbunden. Und für den Umbau des Konzerns fehlt Ihnen aber eigentlich auch das Geld. Also, wie kommen Sie da raus?
Winfried Kretschmann: Also, wir werden versuchen, da zu Kooperationen mit den Stadtwerken zu kommen, mit regionalen Energieversorgern, aber auch natürlich in Übergangstechnologien, wie sehr moderne Gaskraftwerke, zu investieren, in Pumpspeicherkraftwerke. Also, das sind sozusagen die ersten Linien, um die es geht.
Deutschlandradio Kultur: Das ist ja auch die Brennelementesteuer, die EnBW belastet, damit letztendlich auch indirekt den Landeshaushalt. EnBW hat sich jetzt der Klage der anderen Stromanbieter angeschlossen. Findet das Ihre Unterstützung?
Winfried Kretschmann: Das ist erstmal eine Entscheidung des Vorstands. Und der ist da autonom, im Interesse seines Unternehmens so etwas zu machen. Ob mir das nun politisch gefällt oder nicht, ist dabei erst mal unerheblich.
Deutschlandradio Kultur: EnBW ist der eine Aspekt. Das Endlager von Atommüll ist ein anderer. Da haben Sie selbst einen möglichen Standort eines Endlagers ins Gespräch gebracht. Warum wollen Sie das den Bürgern auch noch zumuten?
Winfried Kretschmann: Nein, ich habe keinen Standort in die Debatte gebracht. Ich habe in die Debatte gebracht, dass wir eine Endlagersuche machen, die offen ist, in der ganzen Republik.
Deutschlandradio Kultur: Aber das schließt doch Ihr Bundesland mit ein.
Winfried Kretschmann: Das schließt das Bundesland mit ein. Das ist ja klar. Wenn es offen ist und überall gesucht werden darf und gesucht werden soll, wo die geeigneten geologischen Formationen sind, da kann ich ja wohl mein eigenes Bundesland nicht ausnehmen. Also, das würde mich ja völlig unglaubwürdig machen. Sondern ich habe ja gerade damit die Diskussion und eine allgemeine Suche eröffnet. Und dem haben alle Ministerpräsidenten und auch die Bundesregierung zugestimmt. Also, ich denke, das war ein großer Erfolg, einfach dadurch durchzusetzen, dass – wenn überall gesucht wird – auch überall gefunden werden darf.
Deutschlandradio Kultur: Und wenn Sie bei sich einen geeigneten Platz finden, dann könnte es ein Endlager in Baden-Württemberg geben.
Winfried Kretschmann: Nein, tut mir leid, so werde ich Ihnen nicht antworten. Meine Antwort kann nur heißen: Der Atommüll muss dort gelagert werden, wo der beste Standort ist. Das entscheidet die Wissenschaft, unabhängig, in welchem Bundesland er ist.
Deutschlandradio Kultur: Aber das heißt, dann war es ein rhetorisches Angebot, was Sie gemacht haben, was sie es nicht wirklich ernst meinen.
Winfried Kretschmann: Wieso?
Deutschlandradio Kultur: Dann müssten Sie ja bereit sein zu sagen: Wenn die Wissenschaft zu dem Ergebnis kommt, Atommüll ist sicher gelagert an einem Standort in Baden-Württemberg, dann sind wir dazu bereit das zu tun.
Winfried Kretschmann: Wenn die Wissenschaft der Meinung ist, dass in Baden-Württemberg irgendwo der beste Standort ist, dann ist er dort.
Deutschlandradio Kultur: Und dann würden Sie das auch politisch durchsetzen in Ihrem Land.
Winfried Kretschmann: Aber selbstverständlich. Ich meine, man kann sich doch nicht aussuchen, was einem gefällt und was nicht in der Welt und pickt sich da die Rosinen raus. Erstmal hatten wir einen sehr erfolgreichen Start der Regierung. Es ist uns mit unserer Hilfe gelungen, einen klaren berechenbaren Atomausstieg durchzusetzen. Das ist einer der größten Erfolge meiner politischen Laufbahn. Und ich weiß nicht, warum ich jammern sollte, wenn auch unangenehme Dinge kommen. Wir waren immer gegen Atomkraft, aber der Müll ist nun mal da. Und irgendwo muss er hin. Und es ist doch irgendwie nicht die Frage, ob das jetzt dem Kretschmann gefällt oder nicht. Ich meine, so kann man doch nicht an Politik rummachen. Es geht um Gemeinwohlorientierung und nicht, ob der Kretschmann Pech oder Glück hat bei irgendwelchen Entscheidungen.
Deutschlandradio Kultur: Nun lassen Sie es uns aber mal konkreter machen und zu einer Frage kommen, die natürlich allen Landesvätern weht tun muss. Stuttgart21 bringt enorme Kosten mit sich, der Umbau, wie auch immer, die Risiken bei EnBW bringen sehr viele Kosten mit sich. Sie wollen das Land ökologisch umbauen. Wo nehmen Sie denn das Geld da noch her?
Winfried Kretschmann: Also, bis jetzt fließt kein Geld in die EnBW, sondern die ist ja auf Pump gekauft.
Deutschlandradio Kultur: Und Sie müssen jährlich 110 Millionen Euro Zinsen zahlen für den Kauf.
Winfried Kretschmann: Also, bisher ist davon ausgegangen worden, dass das aus den Dividenden kommt. Das ist nun einfach eine Erblast. Die habe ich ja nicht zu verantworten. Aber der Umbau unserer ganzen Wirtschaft hin auf grüne Produktlinien, die energie- und ressourcensparend sind, ist erstmal ein Erfordernis einer klaren ökologischen Ordnungspolitik. Und die kostet kein Geld, sondern – jedenfalls nicht das, was Innovation sowieso immer kostet in der Wirtschaft – bringt Geld. Sie macht unsere Wirtschaft in Baden-Württemberg fit für die Weltmärkte der Zukunft. Sie sichert also Prosperität, weil wir heute mit Produktlinien und Dienstleistungen, die energie- und ressourcensparend sind, die Nase vorn haben. Und deswegen ist das für uns als das Exportland der Republik schlechthin eine gute Aussicht und es sichert Prosperität und kostet nicht einfach Geld.
Deutschlandradio Kultur: Herr Kretschmann, würden Sie sich eigentlich darüber freuen, wenn man Sie mit Barack Obama vergleichen würde? Charismatischer Politiker, ein Rhetoriker ohne Frage mit einer persönlichen Beliebtheit, der aber eine mindestens gemischte politische Bilanz vorweisen kann, der einfach das nicht umsetzen kann letztendlich, was er vorhatte, was er vorhat.
Winfried Kretschmann: Ich meine, Sie machen jetzt den schlechten Propheten. Bisher habe ich doch noch gar keinen Misserfolg.
Deutschlandradio Kultur: Wir ahnen, was Ihnen schwant mit Stuttgart 21 und mit den Risiken bei EnBW, dass Sie Erblasten der Vorgängerregierung haben, die Ihnen letztendlich die politischen Möglichkeiten so zuschnüren, dass Sie am Ende große Ankündigungen machen können, aber nichts umsetzen.
Winfried Kretschmann: Ich meine, die Gefahr bestünde wirklich, wenn uns jetzt das Geschäft meines Vorgängers Mappus mit der EnBW richtig volle Kanne auf die Füße fällt, wir sozusagen Milliarden abschreiben müssen und die haushaltswirksam werden. Das würde in der Tat natürlich das Regierungsprogramm, das wir uns vorgenommen haben, sehr beeinträchtigen. Aber wir werden alles tun, dass es so weit nicht kommt.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind jetzt fast 100 Tage im Amt. Inwieweit haben Sie das Amt in dieser Zeit verändert oder inwieweit hat Sie das Amt verändert?
Winfried Kretschmann: Ja, ich meine, wenn mich jetzt nach wenigeren Monaten das Amt schon verändert hätte, das wäre ja schlimm. Und ich denke, das Amt habe ich verändert. Wir machen von vorneherein, das habe ich schon zwischen meiner Wahl und der Bestimmung zum Ministerpräsidenten gemacht auf vier Bürgerveranstaltungen. Also, wir machen diese Hinwendung zur Bürgerschaft ganz konsequent. Und da ist das Amt schon verändert worden, und zwar bemerkbar. Und deswegen bekomme ich da einen großen Zuspruch aus der Bevölkerung. Das merken alle Leute, dass wir anders an die Dinge rangehen, also, nicht mehr mit dieser Von-oben-herab-Haltung, wir wissen sowieso alles, vor allem alles besser, sondern das ist ein offener Dialog.
Und wenn wir noch mal auf das Thema von vorher zurückgehen, ich sage immer, zumal, wie wenn ich jetzt mit der Wirtschaft oder der Automobilindustrie rede: Von den Zielen einer nachhaltigen Wirtschaft und der Mobilität werde ich mich durch niemand abbringen lassen. Aber über die Schritte, wie wir das am besten erreichen, bin ich offen und durchaus auch willens, meine Position zu korrigieren, wenn andere sagen, sie sind falsch, oder, ich habe was Besseres. So ist es schon ernsthaft gemeint und das spüren alle.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben auch gesagt, Sie wollen sich die Naivität erhalten. Aber ist das vielleicht eine Naivität, die einem Ministerpräsidenten auch manchmal im Wege stehen kann, die ihm vielleicht sogar etwas lächerlich erscheinen kann. Ich denke da an Ihren Besuch bei Bundesverkehrsminister Ramsauer, wo Sie voller Elan und voller Hoffnung hingefahren sind, dass er die Bahn überreden könne einen Baustopp zu machen oder auch zu finanzieren bzw. der Bund diese Kosten übernehmen könnte. War das zu naiv?
Winfried Kretschmann: Ich glaube, da unterschätzen Sie mich dann doch ein bisschen. Ich bin schon Realist und weiß schon, wie weit ich bei Ramsauer komme. Aber dass ich mit dem erstmal ganz normal darüber rede und meine Argumente vorbringe und versuche, ob er letztlich darauf eingeht, von so was werde ich mich allerdings nicht abbringen lassen.
Und immer nur etwas mit anderen zu reden, aber das ist vorher sozusagen taktisch schon ausgehandelt, ist nicht mein Stil. Ich rede mit allen. Mit Seehofer waren nun alle überrascht. Auch er ist mir mit seinem Generalsekretär ziemlich unsanft gegen's Schienenbein getreten. Von so was lasse ich mich nicht beeindrucken. Ich rede mit ihm ganz normal. Wir haben da viel erreicht. Und das ist mein Politikstil. Und das meine ich mit Naivität. Das ich rede mit jedem, auch unabhängig von den Erfolgsaussichten, das gehört einfach zu meinen Grundüberzeugungen. Und von denen werde ich mich mit Sicherheit nicht abbringen lassen. Und wenn ich mich davon abbringen ließe, wäre es höchste Zeit, dass ich aufhöre.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben nicht nur mit Seehofer geredet. Sie haben auch großen Respekt für die Kanzlerin bekundet. Wenn Sie über die SPD allerdings reden, finden Sie solche Worte wie "große Unsicherheit", "Schwanken", "eine Partei, die ihren Weg noch nicht gefunden hat". Verstehen wir Sie richtig? Ist Schwarz-Grün vielleicht doch die viel versprechendere Option?
Winfried Kretschmann: Ich lasse mich auf so Klischees nicht ein. Ich habe den Respekt vor der Kanzlerin in einem ganz präzisen Zusammenhang geäußert, nämlich dass sie den Mut hatte zu der Kehrtwende. Ich habe die Unsicherheit mit der SPD in einem präzisen Zusammenhang geäußert, dass sie nicht klar ist, wer der Kanzlerkandidat werden soll. Daraus muss man jetzt nicht ein Allgemeinurteil über Schwarz oder Rot machen.
Deutschlandradio Kultur: Gut, aber wir verraten hier kein Geheimnis. Sie sind nicht unbedingt ein Gegner von Schwarz-Grün.
Winfried Kretschmann: Nein, warum sollte ich das auch sein. Dafür gibt's ja erst mal gar keinen Grund. Aber im Moment sehe ich das eigentlich so: Die CDU gehört in die Opposition, weil sie ganz verunsichert ist. Nehmen wir die Energiewende, nehmen wir jetzt den Kurswechsel überraschend in der Schulpolitik. Wo man immer auch hinschaut, können wir nicht sehen, dass die Union einen Kurs verfolgt, von dem sie selber wirklich als Partei überzeugt ist. Und am besten kann man das in der Opposition klären. Insofern sehe ich im Moment nicht, dass Schwarz angesagt wäre.
Deutschlandradio Kultur: Erlauben Sie uns einen kleinen Blick zum Abschluss in die Zukunft, Herr Kretschmann. Was werden wir auf den grünen Wahlplakaten bei der Landtagswahl 2016 sehen, die Sie an den Bauzaun von Stuttgart 21 hängen? So was wie: Sorry, wir haben es wirklich versucht.
Winfried Kretschmann: Dass der Mensch nicht in die Zukunft gucken kann, ist eine große Gnade.
Deutschlandradio Kultur: Herr Kretschmann, vielen Dank für das Gespräch.