"Das war für mich schon eine Geschichtsstunde"
Mit Mitte 60 sind Konstantin Wecker und Hannes Wader auf Tour gegangen. Der junge Regisseur Rudi Gaul hat sie begleitet. Sein Dokumentarfilm "Wader/Wecker – Vater Land" lebt von dem Aufeinandertreffen zweier gegensätzlicher Charaktere.
Waltraud Tschirner: Konstantin Wecker und Hannes Wader, mit Mitte 60 gingen sie gemeinsam auf Tour, begleitet und gefilmt von Rudi Gaul, dem Regisseur von "Wader/Wecker – Vater Land". Und den begrüße ich jetzt, schönen guten Tag!
Rudi Gaul: Hallo!
Tschirner: Herr Gaul, die 70er und die 80er samt legendenhafter politischer Liedermacher-Szene sind schon eine ganze Zeit vorbei. Sie sind selber gerade Ende 20. Woher rührt Ihr Interesse, mit zwei alten Recken auf Tour zu gehen?
Gaul: Ich glaube, dass das eigentlich insofern gar nicht so verwunderlich ist. Weil, wenn man als junger Filmemacher Dokumentarfilme dreht, dann sucht man ja Menschen, die schon ein bisschen was zu erzählen haben und auch was erlebt haben, und das haben die beiden ja ohne Frage. Wobei mein Zugang zu denen, zu Wader und Wecker ein bisschen persönlicher ist, mein Vater war großer oder ist großer Hannes-Wader-Fan. Und ich habe also die Hannes-Wader-Platten sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen und bei uns kam es schon auch mal vor, dass also an Weihnachten mal statt "Merry Christmas" irgendeine kommunistische Arbeiterballade von Wader irgendwie lief.
Ich war dann vielleicht auch ein bisschen als Opposition zu meinem Vater, bin sozusagen ins andere Fanlager, also zu den Wecker-Fans übergelaufen. Damals habe ich noch überhaupt nicht daran gedacht, über die beiden einen Film zu machen, aber als Konstantin Wecker dann die Filmmusik zu meinem ersten Film – das war ein Spielfilm – geschrieben hat, da habe ich wieder daran gedacht und habe ihn gefragt, ob er mir einen Kontakt zu Hannes Wader herstellen könnte, ich wusste, dass der ihn kennt. Und dann sagt der Konstantin zu mir, du, in sechs Monaten gehen wir zusammen auf Tournee, der Hannes und ich. Und in dem Moment war eigentlich so die erste Idee zu diesem Film geboren.
Tschirner: Ich habe Sie so verstanden, dass Sie als Kind fast eine Überdosis Hannes Wader abgekriegt haben. Hat der Mann dann später bei Ihnen eine Chance bekommen, jetzt im Zusammenspiel mit Wecker? Mögen Sie jetzt beide?
Gaul: Ich mag die Musik von beiden sehr, sehr gerne. Die Gegenreaktion gegen Wader, die war also eher so, sage ich mal, in der pubertären typischen Rebellionsphase gegen die Eltern zwischen 16 und 20 Jahren. Ich glaube, dass die Anziehung von beiden gerade aus dem unglaublichen Kontrast resultiert und aus diesem großen Kontrast auch etwas Neues eben entsteht. Und das ist ja eigentlich das Spannende.
Tschirner: Die beiden sind ja wirklich ein seltsames Gespann, der bayerische Kraftmensch Konstantin Wecker und Hannes Wader, so, ja, tief norddeutsch, edel, schüchtern. Hat Sie das gerührt? Dem Film nach könnte man das meinen!
Gaul: Für mich ist der Film schon auch irgendwie eine Liebesgeschichte, ja, und zwar deswegen, weil … Man weiß ja, wenn man so einen Dokumentarfilm macht, vorher nicht, was auf der Tour passiert. Also, es hätte ja auch sein können, dass die beiden sich einfach von Anfang an perfekt verstehen, das sind zwei Profis, dass die das Ganze routiniert abspulen. Aber bei dem Dreh haben wir eben gemerkt und hat sich das eben so ergeben, dass die beiden mit diesen großen Gegensätzen auch erst mal zu kämpfen hatten, dass es da erst mal Konflikte gab und Schwierigkeiten.
Und das war eben schon rührend zu beobachten, wie der eine versucht, dem anderen auch zu helfen, in die Spur zu finden – in dem Fall der Konstantin Wecker dem Einzelgänger Hannes Wader, der es eben nicht gewohnt ist, mit der großen Band aufzutreten –, und wie man gemerkt hat, dass die beiden auch ihre Schwächen gegenseitig sozusagen akzeptieren und sich über diese Schwächen hinweg annähern. Und deswegen war eigentlich vieles, was wir dann beobachtet haben mit der Kamera zwischen den beiden auf der Bühne, war von einer großen Zärtlichkeit bestimmt, von einer großen Zärtlichkeit getragen. Also, das hat sich einfach durch die Situation ergeben, weniger durch den Blickwinkel.
Tschirner: Dann hat Wader sich ums Weckern bemüht und Wecker hat ein bisschen gewadert?
Gaul: Ja, aber ich … Also, ich empfinde das gar nicht so. Ich glaube schon, dass beide sehr bei sich bleiben. Also, beide machen ihr Ding und weil sie genau das machen, entsteht aus diesem Kontrast, den auch das Publikum beobachtet, dann eben etwas Neues. Weil gerade dieser Kontrast erzeugt natürlich Reibung und Reibung ist immer etwas Spannendes.
Tschirner: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit Rudi Gaul über seinen Film "Wader/Wecker – Vater Land", der jetzt in unseren Kinos läuft. Herr Gaul, ich sagte es, Sie sind Ende 20. Wie sehr war das für Sie auch eine Geschichtsstunde? Die beiden sind 68er und haben dementsprechend lebhafte Biografien.
Gaul: Ja, das war für mich schon eine Geschichtsstunde, wobei nicht im didaktischen Sinne, sondern in einem sehr sinnlichen Sinne verstanden, weil ich natürlich einen großen Teil der bundesdeutschen Geschichte nur aus Geschichtsbüchern eben kenne und wirklich aus Geschichtsstunden, aus dem Schulunterricht kenne. Ich kann mich ja nicht mal mehr an die Vorwendezeit erinnern. Und Wader und Wecker haben diese Geschichte aber gelebt. Und damit meine ich das "gelebt" sehr wörtlich, also, Sie haben nicht nur in ihren Liedern und in ihren Lyriken darüber reflektiert und können nicht nur sozusagen kluge Sätze darüber sprechen, sondern die Brüche, die ihre Biografien zeigen, weist eben auch die deutsche Geschichte auf.
Also, als Beispiel: Johannes Wader wurde eben nun mal als angeblicher RAF-Sympathisant jahrelang auch juristisch verfolgt und auch beobachtet. Die haben also große Teile dieser Geschichte unmittelbar mitbekommen und auch ihr Scheitern – beide sind ja auch in ihrem Leben immer wieder gescheitert –, ihr Scheitern hat auch unmittelbar mit den Wirrungen und Irrungen dieser deutschen Geschichte zu tun. Und diesen sinnlichen Moment, dass sich also da individuelle Biografie mit kollektiver Geschichtserfahrung verbindet, den fand ich eben sehr, sehr spannend und habe ihn eben versucht darzustellen.
Tschirner: Man kann ja alles mit deklamieren und mitsingen, von "Trotz alledem" bis "Dass nichts bleibt, dass nichts bleibt, dass nichts bleibt". Das geht quer durch die Generationen. Trotzdem, haben Sie nicht manchmal vielleicht auch mit BAP gesungen: "Verdammt lang her"?
Gaul: Na ja, also, ich habe eigentlich eher das Gefühl gehabt, dass, auch auf den Konzerten konnten wir auch beobachten, man sieht das auch im Film, dass auch sehr viele junge Menschen immer wieder im Publikum standen, natürlich eine beachtliche … also, eine Minderheit, aber doch eine beachtliche Minderheit. Ich habe eher das Gefühl, dass da schon wieder eine große Sehnsucht da ist nach einer gewissen – auch wenn dieses Wort so ein bisschen abgenutzt ist, und ich es eigentlich gar nicht so gern mag –, nach einer gewissen Authentizität, die die beiden eben in ihren Liedern ausstrahlen.
Und zwar deswegen, weil sie im Gegensatz zu meiner Generation, wo ja immer wieder gefordert wird, dass man möglichst mit 25 schon eine perfekte Biografie vorlegen kann, weil sie zu ihren Widersprüchen, zu ihrem Scheitern und zu ihren Brüchen und zu ihrer Verwundbarkeit eigentlich immer gestanden sind. Und ich glaube, dass dieses, dass man zu seiner Verwundbarkeit steht oder die thematisiert – auch wenn ich nicht mit allem übereinstimme, was die beiden politisch aussagen –, dass das etwas ist, was viele Leute aus meiner Generation mit einer gewissen Bewunderung oder zumindest mit einem gewissen Respekt zur Kenntnis nehmen.
Tschirner: Man lernt beide in diesem Film ja noch mal ganz gut und auch neu kennen hinsichtlich Verhalten, Gewohnheiten, Gesprächsbereitschaft. Ich habe einmal ganz herzlich gelacht: Nach dem Konzert trinkt Hannes Wader Bier, Konstantin Wecker Wein, so weit stimmt das Klischee. Aber den Weinkeller, den hat Hannes Wader. Damit rechnet man ja nicht so unbedingt, oder?
Gaul: Ja, Hannes Wader ist eben, das fand ich auch sehr spannend zu entdecken, also hinter dieses, Sie haben es ja auch schon angedeutet, hinter dieser spröden, manchmal etwas brüsken Erscheinung steckt ein unglaublich sinnlicher Mensch. Und das wusste ich auch nicht, das hat sich auch so ergeben, als wir bei ihm zu Besuch waren, dass der Hannes ein unglaublich leidenschaftlicher Weinkenner und natürlich auch Weintrinker dann dementsprechend ist. Das ist auch etwas, was die beiden letztlich verbindet. Also, man denkt immer, Wecker ist nur dieser, sozusagen so der sinnliche Typ und Wader ist eher so ein bisschen der spröde nordische Intellektuelle. Aber das ist nicht so, also, diese Sinnlichkeit ist schon etwas, was die beiden verbindet.
Tschirner: Die Leute wollten ja doch durch die Bank die alten Lieder hören, neue scheinen nicht so viel dazugekommen zu sein auf dieser Tour. Oder täuscht mein Eindruck?
Gaul: Nein, ich glaube, das täuscht schon ein bisschen. Also, ich habe natürlich versucht, die Evergreens, die die Leute, glaube ich, auch hören wollen, mit einzubauen. Aber zum Beispiel das letzte Lied, das im Film vorkommt und das ja einen sehr prominenten Platz hat, weil es sozusagen die Schlussnummer ist, das "Was keiner wagt", steht ja von der Lyrik her sehr programmatisch eigentlich für das, was die beiden aussagen wollen, und ist ein ganz neues Lied, das sie gesungen haben. Und auch andere Lieder, es gibt da so durchaus ein paar neue Nummern, die vorkommen.
Wobei natürlich die Konzerte immer aus dieser Mischung zwischen neuer Lyrik auf der einen Seite und neuen Texten, auf der anderen Seite aus den Evergreens bestehen, wobei ja die Qualität von Evergreens auch ist … Also, ich möchte dieses Wort Evergreen gar nicht so despektierlich verwenden, weil, die Qualität von Evergreens ist ja immer, dass man sich fragen muss, warum werden denn diese Lieder immer so gern gehört und gesungen? Also, da scheint ja offensichtlich dann irgendwie eine kollektive Sehnsucht dahinterzustecken, damit diese Lieder auch immer noch funktionieren.
Tschirner: Die Lieder, die funktionieren vor allem bei Leuten, die mit den beiden alt geworden sind, das sieht man auch im Publikum deutlich. Trotzdem setzen beide auf Ihre Generation, das wird im Film auch gesagt. Glauben Sie, Rudi Gaul, mit Blick auch auf aktuelle Ereignisse, dass es so was geben könnte wie eine Renaissance der politischen Liedermacher-Szene?
Gaul: Also, ob es eine Renaissance der politischen Liedermacher-Szene geben kann, da bin ich skeptisch, weil ich einfach das Gefühl habe, dass das auch innerhalb der Medien nicht mehr so gefragt ist. Also, da hat die Pop-Industrie vieles vielleicht auch einfach auf sich bezogen. Und wenn jemand groß rauskommt, dann wird er eben sofort auch kommerziell oft von großen Labels vereinnahmt. Also das, glaube ich, ist schwierig. Aber was man merkt, ist, dass diese junge Generation auf solche Liedermacher trotzdem noch setzt. Also, ich meine, Wecker war zum Beispiel jetzt in Stuttgart 21, bei dieser Anti-Stuttgart-21-Bewegung immer ein unbedingt gern gesehener Gast. Wir haben es bei den Dreharbeiten selbst erlebt, dass die Studentenbewegung, die Anti-Bologna-Proteste plötzlich Hannes Wader als Galionsfigur gesehen haben und ihn also eingeladen haben zu ihren Veranstaltungen.
Also, da so einen Brückenschlag zwischen den Generationen, so eine Sehnsucht unserer Generation nach diesen alten Recken, die einfach dieses politische Bewusstsein vielleicht noch auf eine andere, radikalere Weise leben konnten, die ist, glaube ich, schon da. Aber ob sich das noch mal in so einer Musikbewegung ausdrücken kann, in so einer breiten Liedermacher- und Folkbewegung, da bin ich, ehrlich gesagt, skeptisch.
Tschirner: Rudi Gaul war mit zwei quicklebendigen Dinos auf Tour, entstanden ist der Film "Wecker/Wader – Vater Land". Herr Gaul, ich danke für das Gespräch!
Gaul: Danke, auch!
Tschirner: Und am kommenden Montag Nachmittag sind die beiden Recken selbst zu hören, Hannes Wader und Konstantin Wecker dann im "Radiofeuilleton"!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Rudi Gaul: Hallo!
Tschirner: Herr Gaul, die 70er und die 80er samt legendenhafter politischer Liedermacher-Szene sind schon eine ganze Zeit vorbei. Sie sind selber gerade Ende 20. Woher rührt Ihr Interesse, mit zwei alten Recken auf Tour zu gehen?
Gaul: Ich glaube, dass das eigentlich insofern gar nicht so verwunderlich ist. Weil, wenn man als junger Filmemacher Dokumentarfilme dreht, dann sucht man ja Menschen, die schon ein bisschen was zu erzählen haben und auch was erlebt haben, und das haben die beiden ja ohne Frage. Wobei mein Zugang zu denen, zu Wader und Wecker ein bisschen persönlicher ist, mein Vater war großer oder ist großer Hannes-Wader-Fan. Und ich habe also die Hannes-Wader-Platten sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen und bei uns kam es schon auch mal vor, dass also an Weihnachten mal statt "Merry Christmas" irgendeine kommunistische Arbeiterballade von Wader irgendwie lief.
Ich war dann vielleicht auch ein bisschen als Opposition zu meinem Vater, bin sozusagen ins andere Fanlager, also zu den Wecker-Fans übergelaufen. Damals habe ich noch überhaupt nicht daran gedacht, über die beiden einen Film zu machen, aber als Konstantin Wecker dann die Filmmusik zu meinem ersten Film – das war ein Spielfilm – geschrieben hat, da habe ich wieder daran gedacht und habe ihn gefragt, ob er mir einen Kontakt zu Hannes Wader herstellen könnte, ich wusste, dass der ihn kennt. Und dann sagt der Konstantin zu mir, du, in sechs Monaten gehen wir zusammen auf Tournee, der Hannes und ich. Und in dem Moment war eigentlich so die erste Idee zu diesem Film geboren.
Tschirner: Ich habe Sie so verstanden, dass Sie als Kind fast eine Überdosis Hannes Wader abgekriegt haben. Hat der Mann dann später bei Ihnen eine Chance bekommen, jetzt im Zusammenspiel mit Wecker? Mögen Sie jetzt beide?
Gaul: Ich mag die Musik von beiden sehr, sehr gerne. Die Gegenreaktion gegen Wader, die war also eher so, sage ich mal, in der pubertären typischen Rebellionsphase gegen die Eltern zwischen 16 und 20 Jahren. Ich glaube, dass die Anziehung von beiden gerade aus dem unglaublichen Kontrast resultiert und aus diesem großen Kontrast auch etwas Neues eben entsteht. Und das ist ja eigentlich das Spannende.
Tschirner: Die beiden sind ja wirklich ein seltsames Gespann, der bayerische Kraftmensch Konstantin Wecker und Hannes Wader, so, ja, tief norddeutsch, edel, schüchtern. Hat Sie das gerührt? Dem Film nach könnte man das meinen!
Gaul: Für mich ist der Film schon auch irgendwie eine Liebesgeschichte, ja, und zwar deswegen, weil … Man weiß ja, wenn man so einen Dokumentarfilm macht, vorher nicht, was auf der Tour passiert. Also, es hätte ja auch sein können, dass die beiden sich einfach von Anfang an perfekt verstehen, das sind zwei Profis, dass die das Ganze routiniert abspulen. Aber bei dem Dreh haben wir eben gemerkt und hat sich das eben so ergeben, dass die beiden mit diesen großen Gegensätzen auch erst mal zu kämpfen hatten, dass es da erst mal Konflikte gab und Schwierigkeiten.
Und das war eben schon rührend zu beobachten, wie der eine versucht, dem anderen auch zu helfen, in die Spur zu finden – in dem Fall der Konstantin Wecker dem Einzelgänger Hannes Wader, der es eben nicht gewohnt ist, mit der großen Band aufzutreten –, und wie man gemerkt hat, dass die beiden auch ihre Schwächen gegenseitig sozusagen akzeptieren und sich über diese Schwächen hinweg annähern. Und deswegen war eigentlich vieles, was wir dann beobachtet haben mit der Kamera zwischen den beiden auf der Bühne, war von einer großen Zärtlichkeit bestimmt, von einer großen Zärtlichkeit getragen. Also, das hat sich einfach durch die Situation ergeben, weniger durch den Blickwinkel.
Tschirner: Dann hat Wader sich ums Weckern bemüht und Wecker hat ein bisschen gewadert?
Gaul: Ja, aber ich … Also, ich empfinde das gar nicht so. Ich glaube schon, dass beide sehr bei sich bleiben. Also, beide machen ihr Ding und weil sie genau das machen, entsteht aus diesem Kontrast, den auch das Publikum beobachtet, dann eben etwas Neues. Weil gerade dieser Kontrast erzeugt natürlich Reibung und Reibung ist immer etwas Spannendes.
Tschirner: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit Rudi Gaul über seinen Film "Wader/Wecker – Vater Land", der jetzt in unseren Kinos läuft. Herr Gaul, ich sagte es, Sie sind Ende 20. Wie sehr war das für Sie auch eine Geschichtsstunde? Die beiden sind 68er und haben dementsprechend lebhafte Biografien.
Gaul: Ja, das war für mich schon eine Geschichtsstunde, wobei nicht im didaktischen Sinne, sondern in einem sehr sinnlichen Sinne verstanden, weil ich natürlich einen großen Teil der bundesdeutschen Geschichte nur aus Geschichtsbüchern eben kenne und wirklich aus Geschichtsstunden, aus dem Schulunterricht kenne. Ich kann mich ja nicht mal mehr an die Vorwendezeit erinnern. Und Wader und Wecker haben diese Geschichte aber gelebt. Und damit meine ich das "gelebt" sehr wörtlich, also, Sie haben nicht nur in ihren Liedern und in ihren Lyriken darüber reflektiert und können nicht nur sozusagen kluge Sätze darüber sprechen, sondern die Brüche, die ihre Biografien zeigen, weist eben auch die deutsche Geschichte auf.
Also, als Beispiel: Johannes Wader wurde eben nun mal als angeblicher RAF-Sympathisant jahrelang auch juristisch verfolgt und auch beobachtet. Die haben also große Teile dieser Geschichte unmittelbar mitbekommen und auch ihr Scheitern – beide sind ja auch in ihrem Leben immer wieder gescheitert –, ihr Scheitern hat auch unmittelbar mit den Wirrungen und Irrungen dieser deutschen Geschichte zu tun. Und diesen sinnlichen Moment, dass sich also da individuelle Biografie mit kollektiver Geschichtserfahrung verbindet, den fand ich eben sehr, sehr spannend und habe ihn eben versucht darzustellen.
Tschirner: Man kann ja alles mit deklamieren und mitsingen, von "Trotz alledem" bis "Dass nichts bleibt, dass nichts bleibt, dass nichts bleibt". Das geht quer durch die Generationen. Trotzdem, haben Sie nicht manchmal vielleicht auch mit BAP gesungen: "Verdammt lang her"?
Gaul: Na ja, also, ich habe eigentlich eher das Gefühl gehabt, dass, auch auf den Konzerten konnten wir auch beobachten, man sieht das auch im Film, dass auch sehr viele junge Menschen immer wieder im Publikum standen, natürlich eine beachtliche … also, eine Minderheit, aber doch eine beachtliche Minderheit. Ich habe eher das Gefühl, dass da schon wieder eine große Sehnsucht da ist nach einer gewissen – auch wenn dieses Wort so ein bisschen abgenutzt ist, und ich es eigentlich gar nicht so gern mag –, nach einer gewissen Authentizität, die die beiden eben in ihren Liedern ausstrahlen.
Und zwar deswegen, weil sie im Gegensatz zu meiner Generation, wo ja immer wieder gefordert wird, dass man möglichst mit 25 schon eine perfekte Biografie vorlegen kann, weil sie zu ihren Widersprüchen, zu ihrem Scheitern und zu ihren Brüchen und zu ihrer Verwundbarkeit eigentlich immer gestanden sind. Und ich glaube, dass dieses, dass man zu seiner Verwundbarkeit steht oder die thematisiert – auch wenn ich nicht mit allem übereinstimme, was die beiden politisch aussagen –, dass das etwas ist, was viele Leute aus meiner Generation mit einer gewissen Bewunderung oder zumindest mit einem gewissen Respekt zur Kenntnis nehmen.
Tschirner: Man lernt beide in diesem Film ja noch mal ganz gut und auch neu kennen hinsichtlich Verhalten, Gewohnheiten, Gesprächsbereitschaft. Ich habe einmal ganz herzlich gelacht: Nach dem Konzert trinkt Hannes Wader Bier, Konstantin Wecker Wein, so weit stimmt das Klischee. Aber den Weinkeller, den hat Hannes Wader. Damit rechnet man ja nicht so unbedingt, oder?
Gaul: Ja, Hannes Wader ist eben, das fand ich auch sehr spannend zu entdecken, also hinter dieses, Sie haben es ja auch schon angedeutet, hinter dieser spröden, manchmal etwas brüsken Erscheinung steckt ein unglaublich sinnlicher Mensch. Und das wusste ich auch nicht, das hat sich auch so ergeben, als wir bei ihm zu Besuch waren, dass der Hannes ein unglaublich leidenschaftlicher Weinkenner und natürlich auch Weintrinker dann dementsprechend ist. Das ist auch etwas, was die beiden letztlich verbindet. Also, man denkt immer, Wecker ist nur dieser, sozusagen so der sinnliche Typ und Wader ist eher so ein bisschen der spröde nordische Intellektuelle. Aber das ist nicht so, also, diese Sinnlichkeit ist schon etwas, was die beiden verbindet.
Tschirner: Die Leute wollten ja doch durch die Bank die alten Lieder hören, neue scheinen nicht so viel dazugekommen zu sein auf dieser Tour. Oder täuscht mein Eindruck?
Gaul: Nein, ich glaube, das täuscht schon ein bisschen. Also, ich habe natürlich versucht, die Evergreens, die die Leute, glaube ich, auch hören wollen, mit einzubauen. Aber zum Beispiel das letzte Lied, das im Film vorkommt und das ja einen sehr prominenten Platz hat, weil es sozusagen die Schlussnummer ist, das "Was keiner wagt", steht ja von der Lyrik her sehr programmatisch eigentlich für das, was die beiden aussagen wollen, und ist ein ganz neues Lied, das sie gesungen haben. Und auch andere Lieder, es gibt da so durchaus ein paar neue Nummern, die vorkommen.
Wobei natürlich die Konzerte immer aus dieser Mischung zwischen neuer Lyrik auf der einen Seite und neuen Texten, auf der anderen Seite aus den Evergreens bestehen, wobei ja die Qualität von Evergreens auch ist … Also, ich möchte dieses Wort Evergreen gar nicht so despektierlich verwenden, weil, die Qualität von Evergreens ist ja immer, dass man sich fragen muss, warum werden denn diese Lieder immer so gern gehört und gesungen? Also, da scheint ja offensichtlich dann irgendwie eine kollektive Sehnsucht dahinterzustecken, damit diese Lieder auch immer noch funktionieren.
Tschirner: Die Lieder, die funktionieren vor allem bei Leuten, die mit den beiden alt geworden sind, das sieht man auch im Publikum deutlich. Trotzdem setzen beide auf Ihre Generation, das wird im Film auch gesagt. Glauben Sie, Rudi Gaul, mit Blick auch auf aktuelle Ereignisse, dass es so was geben könnte wie eine Renaissance der politischen Liedermacher-Szene?
Gaul: Also, ob es eine Renaissance der politischen Liedermacher-Szene geben kann, da bin ich skeptisch, weil ich einfach das Gefühl habe, dass das auch innerhalb der Medien nicht mehr so gefragt ist. Also, da hat die Pop-Industrie vieles vielleicht auch einfach auf sich bezogen. Und wenn jemand groß rauskommt, dann wird er eben sofort auch kommerziell oft von großen Labels vereinnahmt. Also das, glaube ich, ist schwierig. Aber was man merkt, ist, dass diese junge Generation auf solche Liedermacher trotzdem noch setzt. Also, ich meine, Wecker war zum Beispiel jetzt in Stuttgart 21, bei dieser Anti-Stuttgart-21-Bewegung immer ein unbedingt gern gesehener Gast. Wir haben es bei den Dreharbeiten selbst erlebt, dass die Studentenbewegung, die Anti-Bologna-Proteste plötzlich Hannes Wader als Galionsfigur gesehen haben und ihn also eingeladen haben zu ihren Veranstaltungen.
Also, da so einen Brückenschlag zwischen den Generationen, so eine Sehnsucht unserer Generation nach diesen alten Recken, die einfach dieses politische Bewusstsein vielleicht noch auf eine andere, radikalere Weise leben konnten, die ist, glaube ich, schon da. Aber ob sich das noch mal in so einer Musikbewegung ausdrücken kann, in so einer breiten Liedermacher- und Folkbewegung, da bin ich, ehrlich gesagt, skeptisch.
Tschirner: Rudi Gaul war mit zwei quicklebendigen Dinos auf Tour, entstanden ist der Film "Wecker/Wader – Vater Land". Herr Gaul, ich danke für das Gespräch!
Gaul: Danke, auch!
Tschirner: Und am kommenden Montag Nachmittag sind die beiden Recken selbst zu hören, Hannes Wader und Konstantin Wecker dann im "Radiofeuilleton"!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.