"Das waren alles mehr oder weniger Schreibtischtäter"
Dass das Auswärtige Amt im Dritten Reich "nicht gerade eine Zelle des Widerstands war", hat Historiker Michael Stürmer nicht sonderlich überrascht. Die Behörde war für ihn "eine Dienststelle der Diktatur", aber keine Organisation zur Verübung von Verbrechen.
"Joschka Fischer: Ich will es jetzt mal in Alltagsdeutsch ausdrücken: Die wollten mit mir Schlitten fahren, und ich habe gesagt, okay, dann fahren wir!"
Joachim Scholl: Der ehemalige Außenminister Joschka Fischer im Deutschlandradio Kultur über seine Entscheidung 2005, eine Historikerkommission einzusetzen, die die Rolle und Verstrickung von deutschen Diplomaten im Nationalsozialismus untersuchen sollte. Jetzt liegt der Abschlussbericht vor, als knapp 900-seitiges Buch: "Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik", verfasst von den Historikern Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann. Bei uns im Studio ist jetzt Michael Stürmer, Professor Emeritus für Geschichte und Chefkorrespondent der WELT-Gruppe. Guten Morgen, Herr Stürmer!
Michael Stürmer: Guten Morgen!
Scholl: Betroffenheit, Bestürzung, ja, Entsetzen – das ist so das Gefühlsspektrum der letzten Tage, wenn es um diese Publikation "Das Amt und die Vergangenheit" geht. Mit welcher Empfindung haben Sie gelesen, Herr Stürmer?
Stürmer: Eigentlich war ich nicht sehr überrascht, denn dass das Auswärtige Amt im Dritten Reich nicht gerade eine Zelle des Widerstands war oder gar ein Motor, das war längst bekannt. Das ist auch nicht der Ansatz dieses Buches oder dieses Kommissionsberichts, sondern es ist in der Breite sehr systematisch angelegt, und es nimmt, wenn es das noch gab, sozusagen den Lack von dem Auswärtigen Amt weg, nicht nur in Sachen Drittes Reich, sondern auch in der Frage, was kam danach?
Scholl: Die meisten professionellen Leser der Studie waren allerdings doch überrascht, wie aktiv deutsche Diplomaten an der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten mitgewirkt haben. Sie nicht?
Stürmer: Ja, das ist sozusagen der ekelerregende Teil, buchstäblich ekelerregende Teil, wenn da Reisekostenanträge gestellt werden zur Liquidation von Juden – ich meine, das muss man sich mal klar machen, das geht einfach in den Amtsverkehr hinein, so, als ob es der Besuch der Großmutter wäre. Und die Schamlosigkeit, die daraus spricht, ... Nun waren natürlich nicht alle so, nur: Ein Amt, in dem solches passiert und normal ist, ist eben kein normales Amt, sondern eine Dienststelle der Diktatur, eine Dienststelle des Teufels.
Und nun haben Conze und seine Kollegen ja – und das muss man auch deutlich machen –, sie haben ja auch die Gegensätze, die Gegenteile, von denen es nicht sehr viele gab, aber immerhin, die haben sie ja auch dargestellt. Nach meinem Geschmack hätte man das noch deutlicher machen können, denn es gab ja den kleinen Widerstand der kleinen Leute, und es gab auch den Widerstand, der zum Tode führte oder hart daran vorbeischrammte. Helmut James Graf Moltke, Yorck von Wartenburg, von Haeften, das sind Diplomaten gewesen, die ihren Einsatz mit dem Tode bezahlt haben vor dem Volksgerichtshof, mit einem enormen Mut, allerdings waren sie sehr einsam, das kommt auch raus.
Scholl: Interessant und erschreckend ist ja das Ergebnis, wie geschmeidig und fast widerstandslos die Diplomaten 1933 in die Diktatur geglitten sind, und das von einer Berufsgruppe, die qua Herkunft vielfach adelig, intellektuell, großbürgerlich war und eigentlich den Parvenü Hitler und seine Gesellen hätte verachten müssen. Warum gab es fast keinen Widerstand dagegen, Herr Stürmer?
Stürmer: Na, das geht natürlich in die größere Frage hinein: Warum gab es so wenig Widerstand am Anfang, und das geht die Reichswehr an, das geht die Kirchen an, das geht übrigens auch, was am meisten bis heute beiseitegelassen wird, die Gewerkschaften an. Deren Rolle im Dritten Reich – sie waren ja dann als Deutsche Arbeitsfront völlig aufgelöst, reorganisiert – ist auch so ein verschwundenes und versunkenes Kapitel, an dem bisher niemand eigentlich, fast niemand ernsthaft Interesse gezeigt hat.
Also das ist ein breites Phänomen. Erst mal waren die Deutschen in einer totalen moralischen und politischen Desorientierung. Das war keine gesunde Republik, sondern eine Republik, die sich zu zwei Dritteln für die Totalitären entschieden hatte, Kommunisten und Nazis, und die Verteidiger des Alten, die Verteidiger der Republik oder gar auch die Verteidiger der Monarchie waren halt Minderheiten, alte Leute.
Und dann kommt der physische Schrecken dazu, die physische Bedrohung, das darf man nicht unterschätzen, das war ja nicht was Abstraktes, sondern es wurde überhaupt kein Geheimnis daraus gemacht, was die Rollkommandos der SA taten, es wurde kein Geheimnis aus der Einrichtung der ersten Konzentrationslager gemacht. Das war ja nicht geheime Reichssache, sondern das war ganz öffentlich, es sollte öffentlich sein, um Furcht und Schrecken zu verbreiten. Also das muss man, um einigermaßen fair zu sein, mit einbeziehen, und nicht jedem war es gegeben, von Anfang an zu sagen: Das ist der Weg in den Verbrecherstaat.
Scholl: "Das Amt und die Vergangenheit", heute erscheint das Buch über die Rolle deutscher Diplomaten im Nationalsozialismus und danach. Wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Historiker und Publizisten Michael Stürmer. Nun gab es tatsächlich Widerständige unter den Diplomaten, Sie haben schon einige Namen genannt, auch solche, die es mit dem Leben bezahlt haben, ihren Widerstand. Wer überlebte, hatte nach 1945 allerdings auch kaum eine Chance, im Auswärtigen Amt weiter Dienst zu tun oder wieder ein Bein auf die Erde zu bekommen. Eckart Conze, einer der Autoren der Studie, gab im Deutschlandradio Kultur vorgestern dieses Beispiel:
"Eckart Conze: "Ich nenne nur den Namen Fritz Kolbe beispielsweise, der systematisch daran gehindert wurde – anders kann man es nicht formulieren –, wieder in den diplomatischen Dienst der Bundesrepublik einzutreten, und Fritz Kolbe, der seit 1943 den Alliierten, den Amerikanern insbesondere, geheime Informationen auch über den Judenmord hatte zukommen lassen, dieser Fritz Kolbe wird letztlich erst im Jahr 2004 offiziell durch das Auswärtige Amt rehabilitiert.""
Scholl: Der Historiker Eckart Conze im Deutschlandradio Kultur. Jene Mutigen, die es im Auswärtigen Amt gegeben hat, dass die praktisch dann marginalisiert wurden oder kaltgestellt wurden, das hatte natürlich mit der Kontinuität zu tun nach 45, mit der diese Eliten eigentlich ihre Tätigkeit im Auswärtigen Amt fortsetzten. Es ist frappierend, gleichwohl erwartbar, was die Historikerkommission hier erforscht hat. Herr Stürmer, wie erklären Sie sich, dass diese Legende allerdings vom Widerstand gegen das Regime, die dann ganz schnell eigentlich Common Sense wurde oder mit den Jahrzehnten sich immer mehr verfestigte, dass diese Legende sich über Jahrzehnte lang hielt, obwohl selbst kritische Studien erschienen, die diesen Mythos eigentlich schon zerlegten?
Stürmer: Na ja, nun, nicht jeder liest jedes Buch über den Auswärtigen Dienst. Ich habe mich erkundigt im Vorfeld dieses Buches bei pensionierten Botschaftern, wie denn ihre Ausbildung war. Don’t ask, don’t tell – darüber wurde nicht gesprochen, es galt als nicht fair. Der Korpsgeist im Auswärtigen Amt wird ja sehr gepflegt. Man zählt sich einer bestimmten Crew zu, und da gab es dann persönliche Loyalitäten, und es ist wie im normalen Leben: Nach 45 hatten Leute auch wieder Karrieren, die hätten sie genau so harmlos ... Wenn es die Nazis nicht gegeben hätte, wären sie keine Vollstrecker gewesen, sondern dann wären sie vermutlich die üblichen Zeitgenossen gewesen mit der ... Farbigkeiten.
Ich würde aber doch gerne zwei Bemerkungen machen. Es gab einmal den Diplomaten Duckwitz, der war in Kopenhagen und hat verdammt viel getan und sein eigenes Leben riskiert, um den damals in Dänemark lebenden Juden den Übergang bei Nacht und Nebel über den Sund nach Schweden zu ermöglichen. Und Duckwitz wurde nach dem Krieg Großbotschafter und sehr geachtet.
Es gab auch Hans von Herwarth der zuletzt Staatssekretär war. Herwarth hatte eine jüdische Großmutter, konnte deshalb im Auswärtigen Amt nicht bleiben, trat dann auch zurück, nämlich nach den Nichtangriffspakt Hitler-Stalin, der ja den Zweiten Weltkrieg praktisch auslöste, und ging als Rittmeister in die Wehrmacht, und hatte dort die Chance zu überleben. Er war am 20. Juli in enger Verbindung mit Stauffenberg, hat das alles überlebt, und war nachher einer der wesentlichen Diplomaten, die auch den deutschen Auswärtigen Dienst geprägt haben. Natürlich konnte man sich auch an solchen Lichtgestalten festhalten, und das war sehr viel angenehmer für den Korpsgeist und auch für das Selbstinteresse, für das professionelle Interesse.
Wissen Sie, die ... noch mal: Die Diplomaten waren nicht die einzigen, die großes Interesse daran hatten, zu sagen: Wir waren eigentlich Opfer und wir waren eigentlich okay, wenn nur die Nazis uns nicht so böse behandelt hätten. Dass die Nazis das natürlich mit Zuckerbrot und Peitsche taten, das gehört dazu, dass es hier furchtbare Verstrickungen gegeben hat, dass Leute auch mit Lust und Freude ihren Sadismus ausgelebt haben, das ist alles völlig unumstritten. Im Übrigen muss man sagen, dass natürlich nur ganz wenige von den Diplomaten sozusagen sich die Hände buchstäblich blutig gemacht haben. Das waren alles mehr oder weniger Schreibtischtäter.
Scholl: Der Historiker Christian Hacke am vergangenen Montag in der "Welt", der Zeitung, für die Sie auch arbeiten, Herr Stürmer, der Historikerkommission Einseitigkeit vorgeworfen, hier werde zu sehr das Lied des Auftraggebers Joschka Fischer gesungen. Wie bewerten Sie als Historiker die Objektivität der Forschung und Darstellung Ihrer Kollegen?
Stürmer: Also mein Eindruck war eher, dass man sehr vorsichtig war, Sorgfalt hat walten lassen, nicht zu sehr in die Richtung zu gehen, die vielleicht von Außenminister Fischer erwartet wurde. Nein, diese Einseitigkeit halte ich nicht für richtig. Ich würde etwas qualifizieren die Feststellung von Eckart Conze, das Auswärtige Amt ist eine verbrecherische Organisation zu sein, aber da muss man vorsichtig sein: Eine verbrecherische Organisation – ja, wenn man das so sieht, als eine Organisation in einem verbrecherischen Staat, dann bin ich eine Staatsorganisation, und dann bin ich notwendigerweise involviert. Alles andere wäre völlig unrealistisch. Aber das Auswärtige Amt war natürlich nicht eine Organisation zur Verübung von Verbrechen, wie eine Mafia ungeheurer Art. Also da würde ich etwas zur Vorsicht raten, die Formulierungen hier sind sehr genau abzuwägen, und im Allgemeinen ist das diesen Historikern auch gelungen.
Scholl: Der Historiker Michael Stürmer über "Das Amt und die Vergangenheit". Ich danke Ihnen für Ihren Besuch, Herr Stürmer!
Joachim Scholl: Der ehemalige Außenminister Joschka Fischer im Deutschlandradio Kultur über seine Entscheidung 2005, eine Historikerkommission einzusetzen, die die Rolle und Verstrickung von deutschen Diplomaten im Nationalsozialismus untersuchen sollte. Jetzt liegt der Abschlussbericht vor, als knapp 900-seitiges Buch: "Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik", verfasst von den Historikern Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann. Bei uns im Studio ist jetzt Michael Stürmer, Professor Emeritus für Geschichte und Chefkorrespondent der WELT-Gruppe. Guten Morgen, Herr Stürmer!
Michael Stürmer: Guten Morgen!
Scholl: Betroffenheit, Bestürzung, ja, Entsetzen – das ist so das Gefühlsspektrum der letzten Tage, wenn es um diese Publikation "Das Amt und die Vergangenheit" geht. Mit welcher Empfindung haben Sie gelesen, Herr Stürmer?
Stürmer: Eigentlich war ich nicht sehr überrascht, denn dass das Auswärtige Amt im Dritten Reich nicht gerade eine Zelle des Widerstands war oder gar ein Motor, das war längst bekannt. Das ist auch nicht der Ansatz dieses Buches oder dieses Kommissionsberichts, sondern es ist in der Breite sehr systematisch angelegt, und es nimmt, wenn es das noch gab, sozusagen den Lack von dem Auswärtigen Amt weg, nicht nur in Sachen Drittes Reich, sondern auch in der Frage, was kam danach?
Scholl: Die meisten professionellen Leser der Studie waren allerdings doch überrascht, wie aktiv deutsche Diplomaten an der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten mitgewirkt haben. Sie nicht?
Stürmer: Ja, das ist sozusagen der ekelerregende Teil, buchstäblich ekelerregende Teil, wenn da Reisekostenanträge gestellt werden zur Liquidation von Juden – ich meine, das muss man sich mal klar machen, das geht einfach in den Amtsverkehr hinein, so, als ob es der Besuch der Großmutter wäre. Und die Schamlosigkeit, die daraus spricht, ... Nun waren natürlich nicht alle so, nur: Ein Amt, in dem solches passiert und normal ist, ist eben kein normales Amt, sondern eine Dienststelle der Diktatur, eine Dienststelle des Teufels.
Und nun haben Conze und seine Kollegen ja – und das muss man auch deutlich machen –, sie haben ja auch die Gegensätze, die Gegenteile, von denen es nicht sehr viele gab, aber immerhin, die haben sie ja auch dargestellt. Nach meinem Geschmack hätte man das noch deutlicher machen können, denn es gab ja den kleinen Widerstand der kleinen Leute, und es gab auch den Widerstand, der zum Tode führte oder hart daran vorbeischrammte. Helmut James Graf Moltke, Yorck von Wartenburg, von Haeften, das sind Diplomaten gewesen, die ihren Einsatz mit dem Tode bezahlt haben vor dem Volksgerichtshof, mit einem enormen Mut, allerdings waren sie sehr einsam, das kommt auch raus.
Scholl: Interessant und erschreckend ist ja das Ergebnis, wie geschmeidig und fast widerstandslos die Diplomaten 1933 in die Diktatur geglitten sind, und das von einer Berufsgruppe, die qua Herkunft vielfach adelig, intellektuell, großbürgerlich war und eigentlich den Parvenü Hitler und seine Gesellen hätte verachten müssen. Warum gab es fast keinen Widerstand dagegen, Herr Stürmer?
Stürmer: Na, das geht natürlich in die größere Frage hinein: Warum gab es so wenig Widerstand am Anfang, und das geht die Reichswehr an, das geht die Kirchen an, das geht übrigens auch, was am meisten bis heute beiseitegelassen wird, die Gewerkschaften an. Deren Rolle im Dritten Reich – sie waren ja dann als Deutsche Arbeitsfront völlig aufgelöst, reorganisiert – ist auch so ein verschwundenes und versunkenes Kapitel, an dem bisher niemand eigentlich, fast niemand ernsthaft Interesse gezeigt hat.
Also das ist ein breites Phänomen. Erst mal waren die Deutschen in einer totalen moralischen und politischen Desorientierung. Das war keine gesunde Republik, sondern eine Republik, die sich zu zwei Dritteln für die Totalitären entschieden hatte, Kommunisten und Nazis, und die Verteidiger des Alten, die Verteidiger der Republik oder gar auch die Verteidiger der Monarchie waren halt Minderheiten, alte Leute.
Und dann kommt der physische Schrecken dazu, die physische Bedrohung, das darf man nicht unterschätzen, das war ja nicht was Abstraktes, sondern es wurde überhaupt kein Geheimnis daraus gemacht, was die Rollkommandos der SA taten, es wurde kein Geheimnis aus der Einrichtung der ersten Konzentrationslager gemacht. Das war ja nicht geheime Reichssache, sondern das war ganz öffentlich, es sollte öffentlich sein, um Furcht und Schrecken zu verbreiten. Also das muss man, um einigermaßen fair zu sein, mit einbeziehen, und nicht jedem war es gegeben, von Anfang an zu sagen: Das ist der Weg in den Verbrecherstaat.
Scholl: "Das Amt und die Vergangenheit", heute erscheint das Buch über die Rolle deutscher Diplomaten im Nationalsozialismus und danach. Wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Historiker und Publizisten Michael Stürmer. Nun gab es tatsächlich Widerständige unter den Diplomaten, Sie haben schon einige Namen genannt, auch solche, die es mit dem Leben bezahlt haben, ihren Widerstand. Wer überlebte, hatte nach 1945 allerdings auch kaum eine Chance, im Auswärtigen Amt weiter Dienst zu tun oder wieder ein Bein auf die Erde zu bekommen. Eckart Conze, einer der Autoren der Studie, gab im Deutschlandradio Kultur vorgestern dieses Beispiel:
"Eckart Conze: "Ich nenne nur den Namen Fritz Kolbe beispielsweise, der systematisch daran gehindert wurde – anders kann man es nicht formulieren –, wieder in den diplomatischen Dienst der Bundesrepublik einzutreten, und Fritz Kolbe, der seit 1943 den Alliierten, den Amerikanern insbesondere, geheime Informationen auch über den Judenmord hatte zukommen lassen, dieser Fritz Kolbe wird letztlich erst im Jahr 2004 offiziell durch das Auswärtige Amt rehabilitiert.""
Scholl: Der Historiker Eckart Conze im Deutschlandradio Kultur. Jene Mutigen, die es im Auswärtigen Amt gegeben hat, dass die praktisch dann marginalisiert wurden oder kaltgestellt wurden, das hatte natürlich mit der Kontinuität zu tun nach 45, mit der diese Eliten eigentlich ihre Tätigkeit im Auswärtigen Amt fortsetzten. Es ist frappierend, gleichwohl erwartbar, was die Historikerkommission hier erforscht hat. Herr Stürmer, wie erklären Sie sich, dass diese Legende allerdings vom Widerstand gegen das Regime, die dann ganz schnell eigentlich Common Sense wurde oder mit den Jahrzehnten sich immer mehr verfestigte, dass diese Legende sich über Jahrzehnte lang hielt, obwohl selbst kritische Studien erschienen, die diesen Mythos eigentlich schon zerlegten?
Stürmer: Na ja, nun, nicht jeder liest jedes Buch über den Auswärtigen Dienst. Ich habe mich erkundigt im Vorfeld dieses Buches bei pensionierten Botschaftern, wie denn ihre Ausbildung war. Don’t ask, don’t tell – darüber wurde nicht gesprochen, es galt als nicht fair. Der Korpsgeist im Auswärtigen Amt wird ja sehr gepflegt. Man zählt sich einer bestimmten Crew zu, und da gab es dann persönliche Loyalitäten, und es ist wie im normalen Leben: Nach 45 hatten Leute auch wieder Karrieren, die hätten sie genau so harmlos ... Wenn es die Nazis nicht gegeben hätte, wären sie keine Vollstrecker gewesen, sondern dann wären sie vermutlich die üblichen Zeitgenossen gewesen mit der ... Farbigkeiten.
Ich würde aber doch gerne zwei Bemerkungen machen. Es gab einmal den Diplomaten Duckwitz, der war in Kopenhagen und hat verdammt viel getan und sein eigenes Leben riskiert, um den damals in Dänemark lebenden Juden den Übergang bei Nacht und Nebel über den Sund nach Schweden zu ermöglichen. Und Duckwitz wurde nach dem Krieg Großbotschafter und sehr geachtet.
Es gab auch Hans von Herwarth der zuletzt Staatssekretär war. Herwarth hatte eine jüdische Großmutter, konnte deshalb im Auswärtigen Amt nicht bleiben, trat dann auch zurück, nämlich nach den Nichtangriffspakt Hitler-Stalin, der ja den Zweiten Weltkrieg praktisch auslöste, und ging als Rittmeister in die Wehrmacht, und hatte dort die Chance zu überleben. Er war am 20. Juli in enger Verbindung mit Stauffenberg, hat das alles überlebt, und war nachher einer der wesentlichen Diplomaten, die auch den deutschen Auswärtigen Dienst geprägt haben. Natürlich konnte man sich auch an solchen Lichtgestalten festhalten, und das war sehr viel angenehmer für den Korpsgeist und auch für das Selbstinteresse, für das professionelle Interesse.
Wissen Sie, die ... noch mal: Die Diplomaten waren nicht die einzigen, die großes Interesse daran hatten, zu sagen: Wir waren eigentlich Opfer und wir waren eigentlich okay, wenn nur die Nazis uns nicht so böse behandelt hätten. Dass die Nazis das natürlich mit Zuckerbrot und Peitsche taten, das gehört dazu, dass es hier furchtbare Verstrickungen gegeben hat, dass Leute auch mit Lust und Freude ihren Sadismus ausgelebt haben, das ist alles völlig unumstritten. Im Übrigen muss man sagen, dass natürlich nur ganz wenige von den Diplomaten sozusagen sich die Hände buchstäblich blutig gemacht haben. Das waren alles mehr oder weniger Schreibtischtäter.
Scholl: Der Historiker Christian Hacke am vergangenen Montag in der "Welt", der Zeitung, für die Sie auch arbeiten, Herr Stürmer, der Historikerkommission Einseitigkeit vorgeworfen, hier werde zu sehr das Lied des Auftraggebers Joschka Fischer gesungen. Wie bewerten Sie als Historiker die Objektivität der Forschung und Darstellung Ihrer Kollegen?
Stürmer: Also mein Eindruck war eher, dass man sehr vorsichtig war, Sorgfalt hat walten lassen, nicht zu sehr in die Richtung zu gehen, die vielleicht von Außenminister Fischer erwartet wurde. Nein, diese Einseitigkeit halte ich nicht für richtig. Ich würde etwas qualifizieren die Feststellung von Eckart Conze, das Auswärtige Amt ist eine verbrecherische Organisation zu sein, aber da muss man vorsichtig sein: Eine verbrecherische Organisation – ja, wenn man das so sieht, als eine Organisation in einem verbrecherischen Staat, dann bin ich eine Staatsorganisation, und dann bin ich notwendigerweise involviert. Alles andere wäre völlig unrealistisch. Aber das Auswärtige Amt war natürlich nicht eine Organisation zur Verübung von Verbrechen, wie eine Mafia ungeheurer Art. Also da würde ich etwas zur Vorsicht raten, die Formulierungen hier sind sehr genau abzuwägen, und im Allgemeinen ist das diesen Historikern auch gelungen.
Scholl: Der Historiker Michael Stürmer über "Das Amt und die Vergangenheit". Ich danke Ihnen für Ihren Besuch, Herr Stürmer!