Ein folgenreiches Doppelalbum
Zwei LPs, verpackt in eine blütenweiße Hülle: so schlicht und doch so spektakulär: Vor 50 Jahren erschien das "Weiße Album" der Beatles. Ein Höhepunkt in der Geschichte der Band. Inspirationsquelle für viele Musiker – und leider auch für Charles Manson.
Am 22. November 1968 bin ich zwölf Jahre alt und kaufe mir das Weiße Doppelalbum der Beatles. 35 Mark, ein Haufen Geld, mühsam zusammengespart. Es ist mein erstes Doppelalbum, überhaupt das erste Doppelalbum, von dem ich je gehört habe. Ich habe Angst vor diesem Doppelalbum. Werde ich alles kapieren? Wird es mich überfordern? Derart verunsichert trage ich das Album nach Hause.
Ich lebe bei meinen Großeltern, es gibt nur einen Plattenspieler, der steht im Wohnzimmer. Dort sitzt meine Oma und strickt. Sie hasst die Beatles, langhaarige Gammler gehören ins Arbeitslager. Also hören wir das Weiße Album sehr leise, weil diese Musik für meine Oma generell zu laut ist. Ich versuche, das Doppelalbum zu erfassen, zu verstehen, und natürlich gutzufinden. Das gelingt mir nicht, aber meiner Oma gegenüber tue ich so als ob.
Irritierende Klangcollage
Besonders irritiert bin ich von "Revolution No. 9". Acht Minuten Klangcollage, da sind die Beatles so weit weg von ihren Anfängen wie Karl Heinz Stockhausen von Helene Fischer. 50 Jahre vergehen, wirklich verstanden habe ich "Revolution No. 9" immer noch nicht. 50 Jahre vergehen und die Gitarre von George Harrison weint wie eh und je.
Zum 50. Geburtstag des Weißen Albums erscheint eine aufwändige Box mit Kuriositäten und Raritäten, darunter eine neue Songzeile:
"I look from the wings at the play you are staging
While my guitar gently weeps
As I’m sitting here doing nothing but aging
Still my guitar gently weeps."
While my guitar gently weeps
As I’m sitting here doing nothing but aging
Still my guitar gently weeps."
"Während meine Gitarre zärtlich weint, sitze ich hier und tue nichts außer altern", singt George Harrison. Er war oft in Indien und hat fernöstliche Weisheiten aufgesogen. Das Weiße Album hat seine Spuren hinterlassen, auch in Deutschland.
Ja, ist es nicht total crazy, dieses Leben. Wobei: "Ob-La-Di, Ob-La-Da" fand ich schon mit zwölf ziemlich albern, da kannte ich Howard Carpendale noch nicht. Und wußte nicht, dass Paul McCartney hier sein Faible für jamaikanischen Ska zum Ausdruck bringen will.
"Ob-La-Di, Ob-La-Da" im embryonalen Stadium aus der Raritäten-Box. In Jamaika wurde Paul McCartneys Liebe zum Ska erwidert. Unter den vielen Cover-Versionen sticht die von Desmond Dekker heraus. Der jamaikanische Sänger steht Pate für die Figur des Desmond in "Ob-La-Di, Ob-La-Da", und als Desmond Dekker hört, dass Paul McCartney da über einen gewissen Desmond singt, da singt Desmond Dekker das Lied gleich selbst und ändert den Text. Aus Desmond ohne Nachnamen wird bei Desmond Dekker: Desmond Dekker.
Das Weiße Album erscheint 1968, im Jahr der Revolten. Und "Revolution No. 9" ist nicht die einzige Revolution. In ihrem Song "Revolution" singen die Beatles: "Wir alle wollen die Welt verändern, aber wenn du zerstören willst, dann kannst du nicht auf mich zählen."
"You can count me out", singt John Lennon. Aber, wenn man genau hinhört, dann ist da noch ein "in".
"You can count me out", singt John Lennon. Aber, wenn man genau hinhört, dann ist da noch ein "in".
Revolutionäre Gewalt ja oder nein? Lennon lässt die Antwort offen. Für viele 68-er sind die Beatles mit diesem Song erledigt. Eine spektakuläre Antwort formuliert Nina Simone, eine der radikaleren Stimmen des Schwarzen Amerika in ihrem Song "Revolution":
"Ich bin hier um euch von der Zerstörung zu erzählen
von all dem Übel, mit dem es ein Ende haben muss.
Sie werden mir vorwerfen, dass ich Hass predige,
aber das ist der tägliche Kampf ums Überleben.
Ich singe über eine Revolution.
Das ist mehr als bloß Evolution."
von all dem Übel, mit dem es ein Ende haben muss.
Sie werden mir vorwerfen, dass ich Hass predige,
aber das ist der tägliche Kampf ums Überleben.
Ich singe über eine Revolution.
Das ist mehr als bloß Evolution."
Charles Mansons Interpretation
Nina Simone interpretiert den Song der Beatles als Aufruf zur Revolution. Einen Aufruf zum Massenmord hört derweil ein durchgeknallter weißer Landsmann von Simone. Der Beatles-Maniac Charles Manson deutet das Weiße Album als Manifest der Weißen Vorherrschaft: Er träumt von einem sogenannten Rassenkrieg gegen die schwarze Gefahr, vor allem durch die Black Panthers. Mansons Krieg hat einen Namen: "Helter Skelter".
Das Unternehmen Helter Skelter sieht vor, reiche und berühmte "Schweine" zu töten, so Manson. Vor allem die in Hollywood. "Hollywood hatte schon immer Angst", sagt Charles Manson, und dann spricht er sein Codewort, das er den Beatles geklaut hat: "Look out, Helter Skelter."
Im August 1969 setzt die Manson-Bande den Helter Skelter in die Tat um und begeht eine Serie blutiger Morde an Mitgliedern der High Society von Hollywood. Ein Opfer ist die hochschwangere Schauspielerin Sharon Tate. An einem Tatort steht mit dem Blut der Opfer an die Wand geschrieben: Helter Skelter!
Das letzte Wort soll der Erfinder des "Helter Skelter" haben. Auf die ewige Frage, ob das nicht zu viele Songs sind und zu viele Stile auf dem Weißen Album, antwortet Paul McCartney eindeutig: "I'm not a great one for that, maybe it was to many. It was great, it sold, it´s the bloody Beatles White Album. Shut up!"
Das letzte Wort soll der Erfinder des "Helter Skelter" haben. Auf die ewige Frage, ob das nicht zu viele Songs sind und zu viele Stile auf dem Weißen Album, antwortet Paul McCartney eindeutig: "I'm not a great one for that, maybe it was to many. It was great, it sold, it´s the bloody Beatles White Album. Shut up!"