"Das wird noch ein relativ langer Prozess"
Der Türkei- und Nahostexperte Cengiz Günay sieht im angekündigten Rückzug der PKK-Kämpfer aus der Türkei eine Wende im langwierigen Kurdenkonflikt. Zum ersten Mal bekenne sich der türkische Staat offiziell dazu, dass die PKK ein Gesprächspartner sei, sagte der Experte vom Österreichischen Institut für Internationale Politik.
Jan-Christoph Kitzler: Das war gestern endlich mal eine gute Nachricht aus dem Südosten der Türkei: Die PKK, die Arbeiterpartei Kurdistans, hat angekündigt, ihre geschätzten 1.500 bewaffneten Kämpfer Anfang Mai aus der Türkei abzuziehen. Sie sollen sich zurückziehen auf Stützpunkte im Nordirak, und viele sind sich jetzt einig, das ist eine neue Dimension der Annäherung, denn der Konflikt mit den Kurden in Südostanatolien, er tobt nun schon seit fast drei Jahrzehnten, Zehntausende kamen dabei ums Leben, Millionen Menschen wurden zu Flüchtlingen. Bevor wir gleich darüber sprechen, was dieser Schritt wirklich bedeutet, Reinhard Baumgarten über den Kurdenkonflikt, MP3-Audiobringt uns Reinhard Baumgarten, unser Korrespondent in Istanbul, auf den Stand der Dinge (Audio) .
Reinhard Baumgarten war das über den Konflikt zwischen der Türkei und der kurdischen PKK. In den Konflikt kommt Bewegung, denn die PKK hat angekündigt, ihre geschätzt rund 1.500 bewaffneten Kämpfer abzuziehen. Darüber spreche ich jetzt mit Cengiz Günay, er ist Türkei- und Nahost-Experte am Österreichischen Institut für internationale Politik. Schönen guten Morgen nach Wien!
Cengiz Günay: Guten Morgen!
Kitzler: Sind Sie denn eigentlich auch so optimistisch und sagen: Das ist eine neue Dimension im Friedensprozess zwischen der Türkei und der PKK?
Günay: Na ja, sagen wir: Es gibt sicherlich Anlass zur Hoffnung und zum Optimismus. Es ist eine Wende in diesem langjährigen und wirklich schwierigen Konflikt, weil es zum ersten mal direkte Gespräche zwischen – oder sagen wir so, es ist zum ersten Mal öffentlich gemacht worden, dass es Gespräche zwischen der Regierung und der PKK gibt. Es gab wahrscheinlich auch schon vorher Gespräche, wir wissen zumindest von den Oslo-Gesprächen, die vor einigen Jahren stattgefunden haben. Aber es ist zum ersten Mal, dass der türkische Staat sich offiziell dazu bekennt, dass die PKK ein Gesprächspartner ist. Und das ist wohl eine wichtige Wende und wahrscheinlich auch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass es überhaupt zum Frieden kommen kann.
Kitzler: Wie kommt es denn zu dieser Wende? Hängt das vielleicht auch damit zusammen, dass in den kommenden zwei Jahren in der Türkei ein neuer Präsident gewählt wird und ein neues Parlament, und weil Ministerpräsident Erdogan Staatspräsident werden will, will er das Problem jetzt noch schnell in den Griff bekommen?
Günay: Das ist sicherlich eine Dimension, vor allem wird das von der Opposition der Regierung vorgeworfen, beziehungsweise Premierminister Erdogan. Es hat aber sicher auch noch andere Dimensionen. Also es gibt, wie gesagt, die innenpolitische Dimension. Gleichzeitig, also mit dieser anstehenden, mit diesem Wechsel vielleicht zu einem Präsidialsystem, das der Premierminister anstrebt, ist es so, dass in der türkischen Öffentlichkeit sicherlich auch die Stimmung sich verändert hat und jetzt eine größere Bereitschaft dafür da ist, Frieden zu machen.
Das hängt sicherlich auch zusammen mit dem Syrien-Konflikt. Durch den Konflikt in Syrien hat der Kampf zwischen der PKK in der Türkei und der türkischen Armee noch auch eine regionalpolitische Dimension bekommen. Die Türkei fürchtet sehr, dass in Nordsyrien eventuell ein unabhängiger kurdischer Staat entstehen könnte, oder zumindest so etwas, was im Nordirak entstanden ist, nämlich eine kurdische Autonomiebehörde, das ist auch nicht unbedingt im Interesse Ankaras. Und es hat sich auch erwiesen, dass die Lösung des Kurdenkonflikts eine unvermeidliche Voraussetzung dafür ist, für eine angestrebte regionalpolitische größere Rolle der Türkei.
Also, die Türkei muss den Kurdenkonflikt lösen, und die Konjunktur dafür ist auch relativ günstig geworden. Natürlich, wie sie es ja auch am Anfang angesprochen haben, hat das aber auch eine innenpolitische Dimension, die durchaus von der Opposition kritisiert wird, nämlich eben, dass Erdogan sich zum Präsidenten wählen lassen möchte von den Kurden.
Kitzler: Die Kämpfer, die bewaffneten Kämpfer der PKK wollen und sollen sich jetzt zurückziehen, Anfang Mai, in den Nordirak. Sind sie nicht da auch weiterhin ein Sicherheitsproblem, vielleicht sogar noch ein viel größeres, weil sie da schwerer zu kontrollieren sind als in der Türkei selber?
Günay: Na ja, also dass sie auch in der Türkei nicht kontrollierbar waren, hat sich ja gezeigt, sonst hätte dieser Konflikt nicht so lange gedauert. Aber ich denke, es ist eine wichtige Voraussetzung. Es ist ja jetzt noch nicht der Beginn dieses Friedensprozesses, sondern quasi soll das die Bedingungen dafür schaffen. Jetzt wird es erst eigentlich wirklich kompliziert. Es wird natürlich vonseiten der PKK vor allem gefordert, dass ihr Führer Abdullah Öcalan freikommen soll, und da hat schon Premierminister Erdogan gesagt, das ist für ihn eine rote Linie, also über die Freilassung von Öcalan diskutiert er nicht.
Es kommt jetzt natürlich zu Maximalforderungen auf beiden Seiten, und ich bin, sagen wir, vorsichtig, weil ich denke, das wird noch ein relativ langer Prozess, der auch sehr viele Störungen erleben wird. Es sind auf beiden Seiten Personen und Gruppen, die nicht unbedingt so glücklich sind über diesen Prozess, und den sicherlich auch stören werden.
Kitzler: Aber da sind wir natürlich bei der Frage der Zugeständnisse. Also welche Zugeständnisse kann denn eigentlich die türkische Regierung an die Kurden machen, ohne sich den Vorwurf der Schwäche einzuhandeln?
Günay: Eben, das ist schwierig. Also die türkische Regierung wird sicherlich im Bereich der kulturellen Rechte Zugeständnisse machen. Das hat man auch schon in den letzten Monaten gesehen: Es wurde kurdisch als Gerichtssprache zugelassen, es könnte auch zur Zulassung von kurdisch in einem eingeschränkten Bereich als Amtssprache kommen, als Unterrichtssprache, das sind alles auch notwendige Reformen, die ohnehin schon längst anstehen. Richtig schwierig wird es, denke ich, im politischen Bereich, weil die PKK natürlich auch einen Vorteil davon haben muss, an diesem Prozess beteiligt zu sein.
Langfristig müsste das darauf hinauslaufen, dass die PKK auch in das politische System, wenn auch in abgewandelter Form, integrierbar wird. Wie das erfolgen soll, ist noch nicht ganz klar, es gibt auch keinen wirklichen Friedensplan oder keine niedergeschriebenen, kein Protokoll, das das irgendwie festschreiben soll, das macht das Ganze auch sehr schwierig zu analysieren.
Kitzler: Sie haben schon die Rolle von Abdullah Öcalan angesprochen, dem Führer der PKK. Ist der eigentlich mehr als eine Symbolfigur? Seine Freilassung ist ja nicht verhandelbar offensichtlich, nach dem jetzigen Stand der Dinge. Zieht er aus dem Gefängnis heraus die Strippen?
Günay: Offensichtlich, ja. Also Öcalan ist noch die unumstrittene Führungsfigur. Wie sehr er dann tatsächlich die Kontrolle über die gesamte Organisation hat, das werden wir auch in den nächsten Monaten sehen. Bislang scheint es jedenfalls so zu sein. Öcalan ist durch seine Haft ja fast noch mehr zu einer – wie soll ich sagen – symbolischen und mystischen Führungsfigur für die Kurden geworden, weit über den Mitgliederkreis der PKK hinaus. Also er ist sicher, wie gesagt, eine Symbolfigur, aber wie sehr er dann diese symbolische Kraft hat, letztlich zu einer Kontrolle über Kurden an sich? - Also es ist ja nicht…, man darf dann das nicht gleichsetzen: Es sind ja nicht alle Kurden, die in der Türkei leben, automatisch PKK-Anhänger. Soweit man das also in eine politische Kraft unter den Kurden umsetzen kann, das ist wie gesagt noch abzuwarten.
Kitzler: Aber erst mal gibt es die Annäherung zwischen der kurdischen PKK und der Türkei. Das war der Türkei- und Nahost-Experte Cengiz Günay vom Österreichischen Institut für internationale Politik. Vielen Dank und einen schönen Tag!
Günay: Danke, Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Links auf dradio.de:
"Die Mehrheit der Türken will den Frieden mit den Kurden"- Türkei-Experte hält Frieden zwischen PKK und türkischer Regierung für möglich
PKK soll die Waffen niederlegen -Abdullah Öcalan spricht sich für ein Ende der Gewalt aus
Reinhard Baumgarten war das über den Konflikt zwischen der Türkei und der kurdischen PKK. In den Konflikt kommt Bewegung, denn die PKK hat angekündigt, ihre geschätzt rund 1.500 bewaffneten Kämpfer abzuziehen. Darüber spreche ich jetzt mit Cengiz Günay, er ist Türkei- und Nahost-Experte am Österreichischen Institut für internationale Politik. Schönen guten Morgen nach Wien!
Cengiz Günay: Guten Morgen!
Kitzler: Sind Sie denn eigentlich auch so optimistisch und sagen: Das ist eine neue Dimension im Friedensprozess zwischen der Türkei und der PKK?
Günay: Na ja, sagen wir: Es gibt sicherlich Anlass zur Hoffnung und zum Optimismus. Es ist eine Wende in diesem langjährigen und wirklich schwierigen Konflikt, weil es zum ersten mal direkte Gespräche zwischen – oder sagen wir so, es ist zum ersten Mal öffentlich gemacht worden, dass es Gespräche zwischen der Regierung und der PKK gibt. Es gab wahrscheinlich auch schon vorher Gespräche, wir wissen zumindest von den Oslo-Gesprächen, die vor einigen Jahren stattgefunden haben. Aber es ist zum ersten Mal, dass der türkische Staat sich offiziell dazu bekennt, dass die PKK ein Gesprächspartner ist. Und das ist wohl eine wichtige Wende und wahrscheinlich auch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass es überhaupt zum Frieden kommen kann.
Kitzler: Wie kommt es denn zu dieser Wende? Hängt das vielleicht auch damit zusammen, dass in den kommenden zwei Jahren in der Türkei ein neuer Präsident gewählt wird und ein neues Parlament, und weil Ministerpräsident Erdogan Staatspräsident werden will, will er das Problem jetzt noch schnell in den Griff bekommen?
Günay: Das ist sicherlich eine Dimension, vor allem wird das von der Opposition der Regierung vorgeworfen, beziehungsweise Premierminister Erdogan. Es hat aber sicher auch noch andere Dimensionen. Also es gibt, wie gesagt, die innenpolitische Dimension. Gleichzeitig, also mit dieser anstehenden, mit diesem Wechsel vielleicht zu einem Präsidialsystem, das der Premierminister anstrebt, ist es so, dass in der türkischen Öffentlichkeit sicherlich auch die Stimmung sich verändert hat und jetzt eine größere Bereitschaft dafür da ist, Frieden zu machen.
Das hängt sicherlich auch zusammen mit dem Syrien-Konflikt. Durch den Konflikt in Syrien hat der Kampf zwischen der PKK in der Türkei und der türkischen Armee noch auch eine regionalpolitische Dimension bekommen. Die Türkei fürchtet sehr, dass in Nordsyrien eventuell ein unabhängiger kurdischer Staat entstehen könnte, oder zumindest so etwas, was im Nordirak entstanden ist, nämlich eine kurdische Autonomiebehörde, das ist auch nicht unbedingt im Interesse Ankaras. Und es hat sich auch erwiesen, dass die Lösung des Kurdenkonflikts eine unvermeidliche Voraussetzung dafür ist, für eine angestrebte regionalpolitische größere Rolle der Türkei.
Also, die Türkei muss den Kurdenkonflikt lösen, und die Konjunktur dafür ist auch relativ günstig geworden. Natürlich, wie sie es ja auch am Anfang angesprochen haben, hat das aber auch eine innenpolitische Dimension, die durchaus von der Opposition kritisiert wird, nämlich eben, dass Erdogan sich zum Präsidenten wählen lassen möchte von den Kurden.
Kitzler: Die Kämpfer, die bewaffneten Kämpfer der PKK wollen und sollen sich jetzt zurückziehen, Anfang Mai, in den Nordirak. Sind sie nicht da auch weiterhin ein Sicherheitsproblem, vielleicht sogar noch ein viel größeres, weil sie da schwerer zu kontrollieren sind als in der Türkei selber?
Günay: Na ja, also dass sie auch in der Türkei nicht kontrollierbar waren, hat sich ja gezeigt, sonst hätte dieser Konflikt nicht so lange gedauert. Aber ich denke, es ist eine wichtige Voraussetzung. Es ist ja jetzt noch nicht der Beginn dieses Friedensprozesses, sondern quasi soll das die Bedingungen dafür schaffen. Jetzt wird es erst eigentlich wirklich kompliziert. Es wird natürlich vonseiten der PKK vor allem gefordert, dass ihr Führer Abdullah Öcalan freikommen soll, und da hat schon Premierminister Erdogan gesagt, das ist für ihn eine rote Linie, also über die Freilassung von Öcalan diskutiert er nicht.
Es kommt jetzt natürlich zu Maximalforderungen auf beiden Seiten, und ich bin, sagen wir, vorsichtig, weil ich denke, das wird noch ein relativ langer Prozess, der auch sehr viele Störungen erleben wird. Es sind auf beiden Seiten Personen und Gruppen, die nicht unbedingt so glücklich sind über diesen Prozess, und den sicherlich auch stören werden.
Kitzler: Aber da sind wir natürlich bei der Frage der Zugeständnisse. Also welche Zugeständnisse kann denn eigentlich die türkische Regierung an die Kurden machen, ohne sich den Vorwurf der Schwäche einzuhandeln?
Günay: Eben, das ist schwierig. Also die türkische Regierung wird sicherlich im Bereich der kulturellen Rechte Zugeständnisse machen. Das hat man auch schon in den letzten Monaten gesehen: Es wurde kurdisch als Gerichtssprache zugelassen, es könnte auch zur Zulassung von kurdisch in einem eingeschränkten Bereich als Amtssprache kommen, als Unterrichtssprache, das sind alles auch notwendige Reformen, die ohnehin schon längst anstehen. Richtig schwierig wird es, denke ich, im politischen Bereich, weil die PKK natürlich auch einen Vorteil davon haben muss, an diesem Prozess beteiligt zu sein.
Langfristig müsste das darauf hinauslaufen, dass die PKK auch in das politische System, wenn auch in abgewandelter Form, integrierbar wird. Wie das erfolgen soll, ist noch nicht ganz klar, es gibt auch keinen wirklichen Friedensplan oder keine niedergeschriebenen, kein Protokoll, das das irgendwie festschreiben soll, das macht das Ganze auch sehr schwierig zu analysieren.
Kitzler: Sie haben schon die Rolle von Abdullah Öcalan angesprochen, dem Führer der PKK. Ist der eigentlich mehr als eine Symbolfigur? Seine Freilassung ist ja nicht verhandelbar offensichtlich, nach dem jetzigen Stand der Dinge. Zieht er aus dem Gefängnis heraus die Strippen?
Günay: Offensichtlich, ja. Also Öcalan ist noch die unumstrittene Führungsfigur. Wie sehr er dann tatsächlich die Kontrolle über die gesamte Organisation hat, das werden wir auch in den nächsten Monaten sehen. Bislang scheint es jedenfalls so zu sein. Öcalan ist durch seine Haft ja fast noch mehr zu einer – wie soll ich sagen – symbolischen und mystischen Führungsfigur für die Kurden geworden, weit über den Mitgliederkreis der PKK hinaus. Also er ist sicher, wie gesagt, eine Symbolfigur, aber wie sehr er dann diese symbolische Kraft hat, letztlich zu einer Kontrolle über Kurden an sich? - Also es ist ja nicht…, man darf dann das nicht gleichsetzen: Es sind ja nicht alle Kurden, die in der Türkei leben, automatisch PKK-Anhänger. Soweit man das also in eine politische Kraft unter den Kurden umsetzen kann, das ist wie gesagt noch abzuwarten.
Kitzler: Aber erst mal gibt es die Annäherung zwischen der kurdischen PKK und der Türkei. Das war der Türkei- und Nahost-Experte Cengiz Günay vom Österreichischen Institut für internationale Politik. Vielen Dank und einen schönen Tag!
Günay: Danke, Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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"Die Mehrheit der Türken will den Frieden mit den Kurden"- Türkei-Experte hält Frieden zwischen PKK und türkischer Regierung für möglich
PKK soll die Waffen niederlegen -Abdullah Öcalan spricht sich für ein Ende der Gewalt aus