Das Wunder von Riga
Die religiöse Landschaft in Lettlands Hauptstadt wird bunter. Das gilt auch für die jüdische Gemeinde Rigas. Allerdings gehören zur Gemeinde viele Juden, die unterschiedliche Wurzeln haben und sich, ihre Herkunft und ihren Glauben ganz unterschiedlich definieren.
Auf der Bühne des kleinen Theaterraums singt und tobt ein langhaariger Mann, der in einem Stück aus dem zaristischen Russland gut den Rasputin spielen könnte. Psoj Koroljenko singt in rasender Geschwindigkeit, wechselt vom Russischen ins Jiddische, Englische oder Französische, ohne dass ihm irgendeine dieser Sprachen Mühe zu bereiten scheint. Als Klezmer-Sänger ist er schon überall in der westlichen Welt und in Osteuropa aufgetreten.
Die Gäste sitzen an kleinen Tischen, an denen sie während der Vorstellung in Ruhe ihr Bier oder einen Wein trinken können. Die Bedienung kommt, auch wenn es in dem Trubel etwas dauert. Während einige der vornehm gekleideten Herrschaften den rasenden Wüstling auf der Bühne mit sehr skeptischen, bisweilen deutlich irritierten Blicken mustern, sind viele der jungen Besucher begeistert. Nach der fast dreistündigen Show, die Koroljenko trotz seines vollen Einsatzes scheinbar ohne jede Anstrengung überstanden hat, bitten einige junge Männer den "Maestro" respektvoll um Autogramme und wollen sich mit ihm zusammen fotografieren lassen. Koroljenko macht geduldig mit.
So unterschiedlich wie die Gäste des kleinen Theaters so verschieden sind auch die jüdischen Gemeinschaften, die es in Riga inzwischen wieder gibt. An die 9000 Jüdinnen und Juden leben heute wieder in der lettischen Hauptstadt.
Eine große Anziehungskraft haben die sehr aktiven, frommen und sozial engagierten Chabad Lubawitscher entwickelt, die ihre Rabbiner aus den USA und Israel auf Mission nach Osteuropa schicken.
"Ich meine, dass die Lubawitscher in der - sagen wir mal - zivilisierten Welt sehr erfolgreich sind, weil sie viel Geld haben und sie es mit großem Erfolg verwalten. In der ehemaligen Sowjetunion sind sie sehr erfolgreich, weil sie mit ihrem Herzen, mit ihrem tiefen Glauben wie Kommunisten sind."
Vermutet Tzvi Herman Levine, von der sehr frommen, aber eher westlich orientierten jüdischen Gemeinschaft Beith Midrasch.
"Wir nennen die typischen ehemaligen Sowjetbürger Sawok. Das kommt von 'sowjetisch'. Wenn der Sawók etwas kostenlos bekommt ist er zufrieden und genau das nutzen die Lubawitscher. Und wenn es nur ein Tee ist, den sie ausgeben, einfach so. Die geben Dir was auch immer kostenlos. Davon träumt der typische Sawók."
Levine ist 1945 in Riga geboren und aufgewachsen. Seine Eltern waren weltliche deutsche Juden.
"Als ich angefangen habe zu beten und in die Synagoge zu gehen, wollte mein Vater nicht mehr mit mir reden", erinnert sich Levine.
Sein Vater diente während des Zweiten Weltkriegs in der Roten Armee, seine Mutter überlebte in Usbekistan. Die Lubawitscher sieht er als Gäste in Riga:
"Sie tun so, als wären sie die Besitzer aller jüdischen religiösen Bewegungen hier, aber, okay ... vor zehn Jahren habe ich an Rosh Ha-Schana mit lauter Stimme vor dem Lubawitscher Rabbiner hier erklärt: Solange ich in Riga lebe, wirst du niemals der Ober-Rabbiner von Riga. - Warum? Die Lubawitscher sind ohne jede Einladung hierher gekommen. Sie brachten eine andere jüdische Mentalität mit. Ich verstehe das; unter ihnen waren sehr weise Gelehrte. Aber das ist nicht unsere Mentalität."
Entstanden ist die chassidische Lubawitscher Bewegung in den Stetln Osteuropas, eine völlig andere Welt als die Großstädte an der Ostsee.
"Wir Rigaer Juden waren meist Misnagdim, wir waren keine Chassidim. Es gibt da einen Witz und, wie jeder Witz, hat er Körnchen Wahrheit. Genau wie ein Chassid den Allmächtigen liebt, liebt ein Misnag den Schuchan oroch, ein Buch, indem alle religiösen Gesetze verzeichnet sind. Natürlich ist es ein Witz, aber unsere Beziehung zum Allmächtigen ist viel rationaler als die der Chassidim. Ich kann da nichts machen; es ist Geschichte, es ist unsere Mentalität, die vor vielen Generationen entstanden ist."
Auch für den über Jahrhunderte gewachsenen Antisemitismus in Lettland hat Levine eine Erklärung. Die großen Ländereien gehörten Deutschen. Diese setzten sehr oft Juden, die lesen und schreiben konnten, als Verwalter ein. Die meisten lettischen Bauern, die auf den Gütern arbeiteten, waren Analphabeten. Viele erlebten die gebildeteren Juden als Vollstrecker der Gutsherren.
Zum Glück sind diese Zeiten vorbei. Lettland ist frei, die baltendeutschen Großgrundbesitzer verschwunden. Die meisten wurden schon in den 20er Jahren während Lettlands erster Unabhängigkeit enteignet.
Heute fühlen sich die meisten Juden in Lettland akzeptiert.
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Die Gäste sitzen an kleinen Tischen, an denen sie während der Vorstellung in Ruhe ihr Bier oder einen Wein trinken können. Die Bedienung kommt, auch wenn es in dem Trubel etwas dauert. Während einige der vornehm gekleideten Herrschaften den rasenden Wüstling auf der Bühne mit sehr skeptischen, bisweilen deutlich irritierten Blicken mustern, sind viele der jungen Besucher begeistert. Nach der fast dreistündigen Show, die Koroljenko trotz seines vollen Einsatzes scheinbar ohne jede Anstrengung überstanden hat, bitten einige junge Männer den "Maestro" respektvoll um Autogramme und wollen sich mit ihm zusammen fotografieren lassen. Koroljenko macht geduldig mit.
So unterschiedlich wie die Gäste des kleinen Theaters so verschieden sind auch die jüdischen Gemeinschaften, die es in Riga inzwischen wieder gibt. An die 9000 Jüdinnen und Juden leben heute wieder in der lettischen Hauptstadt.
Eine große Anziehungskraft haben die sehr aktiven, frommen und sozial engagierten Chabad Lubawitscher entwickelt, die ihre Rabbiner aus den USA und Israel auf Mission nach Osteuropa schicken.
"Ich meine, dass die Lubawitscher in der - sagen wir mal - zivilisierten Welt sehr erfolgreich sind, weil sie viel Geld haben und sie es mit großem Erfolg verwalten. In der ehemaligen Sowjetunion sind sie sehr erfolgreich, weil sie mit ihrem Herzen, mit ihrem tiefen Glauben wie Kommunisten sind."
Vermutet Tzvi Herman Levine, von der sehr frommen, aber eher westlich orientierten jüdischen Gemeinschaft Beith Midrasch.
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"Als ich angefangen habe zu beten und in die Synagoge zu gehen, wollte mein Vater nicht mehr mit mir reden", erinnert sich Levine.
Sein Vater diente während des Zweiten Weltkriegs in der Roten Armee, seine Mutter überlebte in Usbekistan. Die Lubawitscher sieht er als Gäste in Riga:
"Sie tun so, als wären sie die Besitzer aller jüdischen religiösen Bewegungen hier, aber, okay ... vor zehn Jahren habe ich an Rosh Ha-Schana mit lauter Stimme vor dem Lubawitscher Rabbiner hier erklärt: Solange ich in Riga lebe, wirst du niemals der Ober-Rabbiner von Riga. - Warum? Die Lubawitscher sind ohne jede Einladung hierher gekommen. Sie brachten eine andere jüdische Mentalität mit. Ich verstehe das; unter ihnen waren sehr weise Gelehrte. Aber das ist nicht unsere Mentalität."
Entstanden ist die chassidische Lubawitscher Bewegung in den Stetln Osteuropas, eine völlig andere Welt als die Großstädte an der Ostsee.
"Wir Rigaer Juden waren meist Misnagdim, wir waren keine Chassidim. Es gibt da einen Witz und, wie jeder Witz, hat er Körnchen Wahrheit. Genau wie ein Chassid den Allmächtigen liebt, liebt ein Misnag den Schuchan oroch, ein Buch, indem alle religiösen Gesetze verzeichnet sind. Natürlich ist es ein Witz, aber unsere Beziehung zum Allmächtigen ist viel rationaler als die der Chassidim. Ich kann da nichts machen; es ist Geschichte, es ist unsere Mentalität, die vor vielen Generationen entstanden ist."
Auch für den über Jahrhunderte gewachsenen Antisemitismus in Lettland hat Levine eine Erklärung. Die großen Ländereien gehörten Deutschen. Diese setzten sehr oft Juden, die lesen und schreiben konnten, als Verwalter ein. Die meisten lettischen Bauern, die auf den Gütern arbeiteten, waren Analphabeten. Viele erlebten die gebildeteren Juden als Vollstrecker der Gutsherren.
Zum Glück sind diese Zeiten vorbei. Lettland ist frei, die baltendeutschen Großgrundbesitzer verschwunden. Die meisten wurden schon in den 20er Jahren während Lettlands erster Unabhängigkeit enteignet.
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