"... dass man die Opfer begnadige, nicht die Henker"
Noch heute können mutmaßliche Mörder aus der NS-Zeit angeklagt werden, wie aktuell der Fall des John Demjanjuk zeigt. Möglich ist das aufgrund einer Entscheidung des Deutschen Bundestages vom 3. Juli 1979. Damals wurde mit 255 gegen 222 Stimmen entschieden, dass Mord nicht mehr verjähren kann.
"Mit "Ja" stimmten die Abgeordneten: Benz, Dr. Biedenkopf, Blumenfeld, Gerster, Dr. Jäger, Dr. Schwarz-Schilling, Würzbach ..."
Die namentliche Abstimmung am 3. Juli 1979 beendete die vierte Debatte des deutschen Parlaments über die Verjährung von NS-Verbrechen. Eigens dafür war der in der Praxis sonst übliche Fraktionszwang aufgehoben worden. Vorangegangen war ein langanhaltender Streit: 1960 hatte das Parlament noch darauf verzichtet, die Verjährungsfrist für Totschlag zu verlängern. Doch vor allem unter dem Druck ausländischer Reaktionen wurden 1965 und 1969 wenigstens die Verjährungsfristen für Mord und Völkermord jeweils um einige Jahre verlängert. Mit 255 gegen 222 Stimmen beschloss dann das Parlament 1979 nun die endgültige Aufhebung der Verjährungsfrist für diese schwersten Delikte des Strafgesetzbuches.
"Mit "Nein" stimmten die Abgeordneten: Dr. Blüm, Dr. Dregger, Dr. Jenninger, Graf Stauffenberg, Dr. Mende, Dr. von Weizsäcker ... "
"Irgend einmal wird alles sein, als wäre es nie gewesen. Noch hat das pure Zeitigen der Zeit sein Werk nicht vollbracht. Es gibt Überlebende, die aufschreien, aufschluchzen. Und da sollten andere, die überstanden, entgegen jeder historischen Gerechtigkeit nicht wenigstens erbleichen? Vor solcher Forderung wird jede juristische Argumentation zunichte. Das Unverjährbare kann nicht von der Tafel der Moral gelöscht werden durch parlamentarischen Beschluss. Gegen die nivellierende Zeit ist nicht anzukommen, aber alles Humane fordert nicht Recht, dass es hier nicht geben kann, nur, dass man die Opfer begnadige, nicht die Henker."
In einem seiner letzten Rundfunkbeiträge hatte der durch Freitod aus dem Leben geschiedene Essayist Jean Amery, der Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt hatte, die deutsche Debatte über Verjährung schwerster Verbrechen kommentiert. Der Hauptredner der Gegner einer Aufhebung der Verjährung, der Bundestagsabgeordnete Alois Mertes (CDU/CSU), betonte in seiner über 40 Minuten währenden Rede seine Hauptkritikpunkte: Er befürchtete, die Aufhebung der Verjährung in Deutschland werde den Rechtsfrieden zerstören und gleichzeitig der Resozialisierung von NS-Verbrechern entgegensteuern. Mertes kritisierte aber vor allem, dass die Aufhebung der Verjährung ein Nachgeben gegenüber ausländischem Druck darstelle und Deutschland damit eine rechtliche Sonderstellung in der Welt zugewiesen werde: In vielen europäischen Staaten gälten nämlich recht kurze Verjährungsfristen auch bei Mord:
"Allerdings gilt dort ein Ausnahmerecht gegen die Verjährung von NS-Morden, das sich in der Praxis fast ausschließlich gegen Deutsche richtet und in starkem Maße den Charakter von Siegerrecht trägt."
Die Debatte über Verjährung, die über sieben Stunden dauerte, hatte eine beachtliche praktische Bedeutung. Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel stellte den Bezug zu der Geschichte des SS-Oberscharführers Gustav Wagner her, der gerade in Brasilien aufgespürt worden war - und dessen Auslieferung die Bundesrepublik Deutschland beantragt hatte.
"Der Fall des stellvertretenden KZ-Kommandanten Gustav Wagner, der für die kurze Spanne zwischen dem Frühjahr 1942 bis zum Herbst 1943 150.000fachen Mord im Lager Sobibor zu verantworten haben soll, hat uns erschreckend vor Augen geführt, was es bedeutet, wenn ein solcher Mann infolge Eintritts der Verjährungen, sei es auch nur nach fremdem Recht, nicht mehr verfolgt werden kann und dann seinerseits sogar durch seinen Anwalt noch Schadenersatzansprüche gegen die Bundesrepublik geltend macht!"
Die Abstimmung im Bundestag verlief knapp, Gegner und Befürworter der Aufhebung der Verjährung gab es in allen Fraktionen. Seitdem ist Paragraph 78 Absatz 2 des Strafgesetzbuches in Kraft, der eindeutig bestimmt:
"Verbrechen nach Paragraph 220a (Völkermord) und nach Paragraph 211 (Mord) verjähren nicht."
Die namentliche Abstimmung am 3. Juli 1979 beendete die vierte Debatte des deutschen Parlaments über die Verjährung von NS-Verbrechen. Eigens dafür war der in der Praxis sonst übliche Fraktionszwang aufgehoben worden. Vorangegangen war ein langanhaltender Streit: 1960 hatte das Parlament noch darauf verzichtet, die Verjährungsfrist für Totschlag zu verlängern. Doch vor allem unter dem Druck ausländischer Reaktionen wurden 1965 und 1969 wenigstens die Verjährungsfristen für Mord und Völkermord jeweils um einige Jahre verlängert. Mit 255 gegen 222 Stimmen beschloss dann das Parlament 1979 nun die endgültige Aufhebung der Verjährungsfrist für diese schwersten Delikte des Strafgesetzbuches.
"Mit "Nein" stimmten die Abgeordneten: Dr. Blüm, Dr. Dregger, Dr. Jenninger, Graf Stauffenberg, Dr. Mende, Dr. von Weizsäcker ... "
"Irgend einmal wird alles sein, als wäre es nie gewesen. Noch hat das pure Zeitigen der Zeit sein Werk nicht vollbracht. Es gibt Überlebende, die aufschreien, aufschluchzen. Und da sollten andere, die überstanden, entgegen jeder historischen Gerechtigkeit nicht wenigstens erbleichen? Vor solcher Forderung wird jede juristische Argumentation zunichte. Das Unverjährbare kann nicht von der Tafel der Moral gelöscht werden durch parlamentarischen Beschluss. Gegen die nivellierende Zeit ist nicht anzukommen, aber alles Humane fordert nicht Recht, dass es hier nicht geben kann, nur, dass man die Opfer begnadige, nicht die Henker."
In einem seiner letzten Rundfunkbeiträge hatte der durch Freitod aus dem Leben geschiedene Essayist Jean Amery, der Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt hatte, die deutsche Debatte über Verjährung schwerster Verbrechen kommentiert. Der Hauptredner der Gegner einer Aufhebung der Verjährung, der Bundestagsabgeordnete Alois Mertes (CDU/CSU), betonte in seiner über 40 Minuten währenden Rede seine Hauptkritikpunkte: Er befürchtete, die Aufhebung der Verjährung in Deutschland werde den Rechtsfrieden zerstören und gleichzeitig der Resozialisierung von NS-Verbrechern entgegensteuern. Mertes kritisierte aber vor allem, dass die Aufhebung der Verjährung ein Nachgeben gegenüber ausländischem Druck darstelle und Deutschland damit eine rechtliche Sonderstellung in der Welt zugewiesen werde: In vielen europäischen Staaten gälten nämlich recht kurze Verjährungsfristen auch bei Mord:
"Allerdings gilt dort ein Ausnahmerecht gegen die Verjährung von NS-Morden, das sich in der Praxis fast ausschließlich gegen Deutsche richtet und in starkem Maße den Charakter von Siegerrecht trägt."
Die Debatte über Verjährung, die über sieben Stunden dauerte, hatte eine beachtliche praktische Bedeutung. Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel stellte den Bezug zu der Geschichte des SS-Oberscharführers Gustav Wagner her, der gerade in Brasilien aufgespürt worden war - und dessen Auslieferung die Bundesrepublik Deutschland beantragt hatte.
"Der Fall des stellvertretenden KZ-Kommandanten Gustav Wagner, der für die kurze Spanne zwischen dem Frühjahr 1942 bis zum Herbst 1943 150.000fachen Mord im Lager Sobibor zu verantworten haben soll, hat uns erschreckend vor Augen geführt, was es bedeutet, wenn ein solcher Mann infolge Eintritts der Verjährungen, sei es auch nur nach fremdem Recht, nicht mehr verfolgt werden kann und dann seinerseits sogar durch seinen Anwalt noch Schadenersatzansprüche gegen die Bundesrepublik geltend macht!"
Die Abstimmung im Bundestag verlief knapp, Gegner und Befürworter der Aufhebung der Verjährung gab es in allen Fraktionen. Seitdem ist Paragraph 78 Absatz 2 des Strafgesetzbuches in Kraft, der eindeutig bestimmt:
"Verbrechen nach Paragraph 220a (Völkermord) und nach Paragraph 211 (Mord) verjähren nicht."