Roberto Simanowski ist Kultur- und Medienwissenschaftler und lebt nach Professuren an der Brown University in Providence, der Universität Basel und der City University of Hong Kong als Medienberater und Buchautor in Berlin und Rio de Janeiro. Zu seinen Veröffentlichungen zum Digitalisierungsprozess gehören "Facebook-Gesellschaft" (Matthes & Seitz 2016) und "The Death Algorithm and Other Digital Dilemmas" (MIT Press 2018).
Warum wir fürs Daddeln und Glotzen bezahlt werden sollten
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Daten sind das neue Öl, sagt man. Wen dieser Rohstoff des Informationszeitalters reich machen soll, fragt sich der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski: Immerhin forderten Netzaktivisten, die User für die Datenerzeugung zu bezahlen.
Kennen Sie den Unterschied zwischen einem herumgezappten Abend vor der Glotze im Jahr 1990 und heute? Damals hieß das Zeit vergammeln, heute bedeutet es Arbeit. Oder zumindest Geldverdienen. Also jedenfalls potenziell. Denn jetzt produziert man dabei Information; und wer die zu sammeln und zu analysieren versteht, kann damit richtig viel Geld machen.
Wer verdient an den Daten?
Das ist die Grundregel des Informationszeitalters, in dem Daten das neue Öl sind. Diese viel zitierte Losung stimmt, selbst wenn der Vergleich hinkt. Denn anders als Öl verbrauchen sich Daten nicht durch Nutzung, sondern gewinnen dabei noch an Wert.
Wenn Amazon weiß, welche Filme ich mag und welche nicht, ist das eine wichtige Information für die Organisation des künftigen Angebots. Information, die ich dadurch produziere, dass ich Information konsumiere, in Form von beweglichen Bildern. Also vor der Glotze abhänge, wie das früher hieß.
Einverstanden, es mag übertrieben sein, die Zeit mit Bier und Popcorn auf dem Sofa Arbeit zu nennen. Und es klingt absurd, dafür bezahlt werden zu wollen. Aber darauf zielt die Frage von Netzaktivisten, wie die Nutzer von Dienstleistungen dafür entlohnt werden können, dass sie mit den Daten – die sie durch diese Nutzung generieren – zur Produktentwicklung beisteuern.
Beteiligung am Profit?
Es geht dabei nicht speziell um Amazon oder ums Fernsehen. Es geht um die Daten, die wir beim Autofahren produzieren und die vom Autohersteller, Navi-Unternehmen und Versicherer gleichermaßen begehrt werden. Es geht um die Daten, die unser Smartphone sammelt um große IT-Unternehmen wie Google und Facebook, die auch deswegen so groß sind, weil sie durch unsere Daten so zielgenau Werbung platzieren können. Wäre es angesichts unseres Beitrages zur Wertschöpfung dieser Unternehmen nicht fair, uns an deren Profiterwirtschaftung zu beteiligen? Ja, sagen die Netzaktivisten und schlagen vor, die anfallenden Daten als Privateigentum ihrer Produzenten zu betrachten, das diese nach Belieben verkaufen können. Dann ließe sich tatsächlich auf der Couch Geld verdienen – egal, ob man es nun Arbeit nennt oder nicht.
Verstaatlichung der Daten als solidarisches Modell
Den größten Reibach würden die Kranken machen, deren Daten für medizinische Forschung und Pharmakonzerne hoch interessant sind. Ihre Blutwerte, ihre Essgewohnheiten, ihr Tageablauf: Alles wertvolle Hinweise, um den Ausbruch und die Bekämpfung einer Krankheit zu erkunden. Und je gefährlicher die Krankheit, umso höher die Vergütung. Vorausgesetzt, der Patient verkauft seine Daten exklusiv an den Meistbietenden.
Aber ehe Sie sich jetzt auf die nächste Grippe freuen, sollten Sie wissen, dass andere Vergütungsmodelle eine Verstaatlichung der privaten Daten vorsehen. Die OECD zum Beispiel will die Datensteuer für IT-Unternehmen am Nutzer vorbei direkt in die Kasse seiner Regierung lenken. Ein Update des Solidaritätsmodells, das dem Staat die Verteilung der Steuereinkünfte an die Bedürftigen überlässt. Viel Fernsehen wäre dann auch so etwas wie Nachbarschaftshilfe.
Nicht Daten-Eigentümer, lediglich Zwischenwirt
Google geht noch einen Schritt weiter und betrachtet in einem internen Video mit dem Titel "The Selfish Ledger" den Menschen nicht als Eigentümer, sondern als Zwischenwirt seiner Daten. Demzufolge sind alle ihre Daten der Menschheit zur Optimierung ihrer Selbstbeobachtung schuldig.
Denn so wie die "Gensequenzierung" erlaube auch die "Verhaltendsequenzierung" ein besseres Verständnis des Menschen, zu dem all seine Exemplare beitragen sollten.
Das klingt nach Kommunismus, ist aber nichts anderes als der Versuch, die Vergesellschaftung der Daten zu verhindern. Denn am Ende wird Google – dieser Meister der Verhaltensanalyse – aus den Daten Produkte entwickeln, die es sich teuer bezahlen lässt. Es wird argumentieren, dass es die Infrastruktur dazu bereitstelle, ohne die jene Daten niemals gesammelt und raffiniert werden würden.
Dagegen spräche wiederum die Metapher von den Daten als Öl. Auch das Öl in meinem Grundstück ist nichts wert, wenn es niemand aus dem Boden holt. Trotzdem werde ich am Gewinn beteiligt, wenn jemand Maschinen schickt und das Öl fördert.
Und dabei habe ich weniger für die Existenz des Öls getan, als ich heute für die Existenz meiner Daten tue, wenn ich einfach nur meinen Erledigungen nachgehe oder mal einen ganzen Abend vor der Glotze abhänge.