Daten-Analyse

Spion hinterm Schaufenster

Eine Passantin schaut sich ein Schaufenster an, in dem reduzierte Herrenmode ausgestellt ist.
Nicht mehr unbeobachtet Shoppen: Wenn Ladenbesitzer Wege und Verweildauer ihrer Kunden analysieren © picture alliance / dpa / David Ebener
Von Franz Michael Rohm |
Schaufenster betrachten, in Geschäfte gehen, Einkaufen - geht es nach dem Startup "42reports" sollen Passanten dabei zukünftig beobachtet werden. Eine Software analysiert das Kundenverhalten mittels Sensor und Smartphone-Signalen.
Ein Berliner Startup verkauft eine Software, mit der Einzelhändler ihre Kundenströme messen können.
"Dafür haben wir einen Sensor und eine Software, die bei Kunden physisch im Laden installiert wird, und misst, wie viele Passanten da vorbeigehen, wie viele Besucher reingehen, wie lange die bleiben, wie oft die kommen."
Retail Analytics heißt das Produkt des Berliner Startups 42reports. Seit September bietet das Team um den 26-jährigen BWL-Studenten Christian Wallin eine sensorgestützte Kundenstrommessung an. Dabei werden die Funksignale von Smartphones gemessen.
Kunden und Passten reagieren sehr unterschiedlich auf die neue Technik.
"Das ist doch bestimmt überall so, dass wir registriert werden. Ein Smartphone ist zwar die leichteste Möglichkeit, aber ich denke das ist generell in unserem Alltag so. Ob das von den Amerikanern abgehört wird oder irgendwelchen Geschäften, das ist Hose wie Jacke."
"Oh, find ich nicht gut, mag ich nicht."
"Ich find das unmöglich. Weil die Person, der Mensch, wird dadurch überwacht. Wir wissen ja nicht, wo die Daten hinkommen."
"Mir wäre das egal. Was soll sein. Passiert ja nichts weiter. Das sind ja keine sensiblen Daten."
Das Sammeln der angeblich "unsensiblen“ Daten ist nicht mal teuer: 100 Euro pro Monat kosten Software und Hardware von 42reports. Der WLAN-Router, der im Laden installiert wird, funktioniert dabei wie ein Sensor.
Dieses Betriebssystem nimmt Signale auf von Smartphones, und zwar auf dem Wifi-Frequenzband. Das heißt, wenn das Handy nach WLAN-Signalen sucht, und das tut es in der Regel alle 10 bis 15 Sekunden, dann fangen wir dieses Signal auf. Und können so messen, dass ein Smartphone in der Nähe ist, und über die Signalstärke können wir auch ungefähr erkennen, wie weit es weg ist.
Kunde wird transparenter
Gläsern ist er noch nicht, der Kunde, beziehungsweise der Passant. Aber er wird für Supermarktbesitzer, Café-Betreiber oder Ladengeschäftsvermieter durch Retail Analytics noch transparenter.
"Der Radius von einem Sensor sind so 10 bis 15 Meter. Mit einem Sensor decken wir eine Fläche ab von 100-200 Quadratmetern. Im Geschäft geht das sowohl auf die Besucher, die im Laden sind, es werden aber auch Passanten, die vorbeigehen, erfasst. Sodass man dann auch messen kann, wie die "converger rate", so nennt man das, die eine Kennzahl ist, die darüber Auskunft gibt, wie attraktiv das Schaufenster oder der Laden ist."
Erkannt wird das Smartphone über die sogenannte MAC-id-Adresse. Die hat nichts mit dem Hersteller Apple zu tun, sondern steht für Media Access Control. Durch die MAC-id sind Gerät, und beim Smartphone normalerweise gleichzeitig der Besitzer, identifizierbar.
Allerdings, verspricht Christian Wallin, würden keine personenbezogenen Daten erhoben.
"Die Daten werden direkt auf dem Gerät noch anonymisiert, werden an unseren Web-Server geschickt und aggregiert in Besuche."
Nicht von ungefähr fühlt man sich an die Neugier des Großen Bruders erinnert. Bislang wird niemand gefragt, ob via Smartphone – die bereits heute mehr als 60 Prozent aller Handys ausmachen – sein Bewegungsprofil im Laden oder davor aufgezeichnet werden darf.
Alexander Dix, Berliner Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit, vertritt zu dieser Thematik einen klaren Standpunkt:
"Datenschutzrechtlich (...) muss kein Passant hinnehmen, dass er heimlich beobachtet wird, wie lange er vor einem Schaufenster stehenbleibt."
Der oberste Datenschützer Berlins hat 42reports um detailliertere Informationen gebeten.
"Uns sind schon vor einiger Zeit telefonisch Informationen zugesagt worden, die nicht eingegangen sind. Jetzt haben wir eine Frist gesetzt. Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Das Unternehmen behauptet, es würde keine personenbezogenen Daten erheben. Es wird dort ein bestimmtes Verfahren verwendet, um die MAC-Adresse zu Pseudonymisieren, so heißt das. Aber auch das legitimiert es nicht, dass die Kunden überhaupt keinen Einfluss und keine Einwirkungsmöglichkeit auf diesen Prozess haben."
Kontinuierliche Erhebung der Daten problematisch
Christian Wallin sieht seine Firma "42reports" mit seinem Geschäftsmodell auf der legalen Seite.
"So wie unser Rechtsverständnis ist, befinden wir uns, dadurch dass wir keine personenbezogenen Daten erheben, im Raum der Anonymen Daten, und dort können wir die Daten verarbeiten und müssen nur sicherstellen, dass auch der Kunde keine Chance hat, eine Verbindung herzustellen zwischen unseren Messpunkten und irgendwelchen personenbezogenen Daten wie Kreditkartendaten oder Kundenbindungskarten."
Für Datenschützer Alexander Dix ist insbesondere die kontinuierliche Erhebung der Daten problematisch. Jüngste Studien hätten ergeben, dass bereits durch die Verknüpfung weniger Standortdaten ein Personenbezug hergestellt werden könne.
Voraussichtlich Mitte Januar wird die Entscheidung in Sachen Retail Analytics fallen. Wie die aussehen könnte, beschreibt Alexander Dix folgendermaßen:
"Wenn sich das bestätigt, was wir bisher wissen, dann müssten wir das Verfahren untersagen. Das heißt aber, wenn das Unternehmen nicht bereit ist, das Produkt zu verändern, müssten wir jeden einzelnen Ladenbesitzer, der es schon einsetzt, müssten wir dem das verbieten."
Bislang arbeiten rund ein Dutzend Händler mit Retail Analytics. Wer sie sind, ist Betriebsgeheimnis. Im Verbotsfall wollen Christian Wallin und sein Team zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen einbauen. Auch die wird der Datenschutzbeauftragte genauestens prüfen.
Die technischen Fortschritte im IT Bereich sind rasend schnell, wir müssen uns darauf einstellen.
"Wahnsinn, kann ich gar nicht glauben, dass es das wirklich gibt. Was da heute alles möglich ist. Das ist unglaublich."
Wer zum Beispiel nicht über sein Smartphone verraten möchte, wie er sich vor oder in einem Geschäft bewegt, dem bleibt zukünftig vielleicht nur noch eine Option: Beim Einkaufen das Smartphone einfach ausschalten.
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