Datenabfall in Noten
Hans Platzgumer und Didi Neidhart gehen hart mit dem Vertrieb von Musik über das Internet ins Gericht. Hier würde sich die "Geiz-ist-geil-Mentalität" im Feld der Kunst austoben. Die Menschen nähmen sich auch nicht mehr die Zeit, sich mit der Musik wirklich auseinanderzusetzen.
"Papa, wie gefällt Dir das?" Ein Elfjähriger klickt auf dem Handy einen Song an, den er für 99 Cent runtergeladen hat. Der Titel und der Klang sind unzumutbar - Datenmüll, wie er millionenfach von diversen Internet-Anbietern im Netz abgeladen wird. Das augenzwinkernde Entsetzen des Vaters in einem alltäglichen Generationenkonflikt mündet hier im Nachdenken darüber, wie der digitalisierte Überfluss die Entwertung von Musik vorantreibt und manifestiert. "Music is the nigger of the World" lautet die These: Der einzelne Song ist ein Wegwerf-Produkt, das angeklickt und wie Millionen anderer Titel im Netz in Sekundenschnelle wieder von der Festplatte gelöscht werden kann - mit folgenschweren Auswirkungen nicht nur für den Konsumenten, sondern auch für die Produktion von Musik.
Die beiden österreichischen Autoren wissen, wovon sie reden. Hans Platzgumer ist Musiker, Komponist, Schriftsteller und Produzent. Seit seinem 14. Lebensjahr hat er in diversen Punk-und Rock-Bands gespielt, später Gitarre und Elektro-Akustik studiert, u.a. mit den Goldenen Zitronen und mit Tocotronic gearbeitet. Didi Neidhart ist seit drei Jahrzehnten DJ und Forscher in Sachen Pop-Musik, Chefredakteur des Musik-Journals Skug. Die beiden nähern sich ihrem Gegenstand auf vielerlei Wegen: musikjournalistisch, historisch, soziologisch, ökonomisch. Ihr interdisziplinärer Ansatz blickt weit über den Tellerrand:
"Immer spiegelt Musik eine Epoche wider, reagiert auf Gegebenheiten, gedeiht oder verkommt mit ihren zeitgeschichtlichen Umständen. (..) Für die heutige Zeit heißt das: Ihre Zeit ist rasend, ihr Ort der virtuelle Raum. Sie ist eingebettet in eine von globalisierter Ökonomie dominierte Gesellschaft, deren "Geiz ist geil" und "Take-the money and run"-Mottos sich als Weltverständnis eingebrannt haben. Sie wird von Menschen gemacht, von Menschen gehört, die keine Zeit dafür haben, sich mit ihr auseinanderzusetzen."
Trotz ihrer Kritik an der Heilslehre vom digitalen Fortschritt verklären die Autoren nicht die Vergangenheit. Sie zeigen vielmehr kenntnisreich an vielen Beispielen, dass Pop auch früher knallharter Kalkulation entsprang - beim Label Motown ebenso wie in der Produktion von Songs der 80er Jahre. Umgekehrt liefern Platzgumer und Neidhart aktuelle Beispiele für die positive Umwidmung des Begriffs Müll. Es sind häufig Interpreten aus der sogenannten Peripherie, wie etwa afrikanische Bands, die mit Elektromüll aus Europa neue Sounds kreieren - und das nicht am Rechner, wie mittlerweile die überwiegende Zahl europäischer und amerikanischer Musik-Schöpfer.
Aber nicht die Mittel sind entscheidend. Es geht um einen bewussteren Umgang mit den Klängen. Dieser dichte und sehr engagierte Essay ist ein Plädoyer für die anhaltende Neugier auf Musik. Denn, so die Autoren:
"Es gibt tolle Pop-Musik, auch im 21.Jahrhundert. Songs, die es nicht verdient haben, als Müll deklariert zu werden."
Die Interpreten dieser Titel werden namentlich genannt - konkret und kenntnisreich und beseelt von einem einzigartigen Medium.
Besprochen von Olga Hochweis
Hans Platzgumer, Didi Neidhart: "Musik ist Müll"
Essay
Limbus Verlag, Innsbruck, 2012
128 Seiten, 10 Euro
Die beiden österreichischen Autoren wissen, wovon sie reden. Hans Platzgumer ist Musiker, Komponist, Schriftsteller und Produzent. Seit seinem 14. Lebensjahr hat er in diversen Punk-und Rock-Bands gespielt, später Gitarre und Elektro-Akustik studiert, u.a. mit den Goldenen Zitronen und mit Tocotronic gearbeitet. Didi Neidhart ist seit drei Jahrzehnten DJ und Forscher in Sachen Pop-Musik, Chefredakteur des Musik-Journals Skug. Die beiden nähern sich ihrem Gegenstand auf vielerlei Wegen: musikjournalistisch, historisch, soziologisch, ökonomisch. Ihr interdisziplinärer Ansatz blickt weit über den Tellerrand:
"Immer spiegelt Musik eine Epoche wider, reagiert auf Gegebenheiten, gedeiht oder verkommt mit ihren zeitgeschichtlichen Umständen. (..) Für die heutige Zeit heißt das: Ihre Zeit ist rasend, ihr Ort der virtuelle Raum. Sie ist eingebettet in eine von globalisierter Ökonomie dominierte Gesellschaft, deren "Geiz ist geil" und "Take-the money and run"-Mottos sich als Weltverständnis eingebrannt haben. Sie wird von Menschen gemacht, von Menschen gehört, die keine Zeit dafür haben, sich mit ihr auseinanderzusetzen."
Trotz ihrer Kritik an der Heilslehre vom digitalen Fortschritt verklären die Autoren nicht die Vergangenheit. Sie zeigen vielmehr kenntnisreich an vielen Beispielen, dass Pop auch früher knallharter Kalkulation entsprang - beim Label Motown ebenso wie in der Produktion von Songs der 80er Jahre. Umgekehrt liefern Platzgumer und Neidhart aktuelle Beispiele für die positive Umwidmung des Begriffs Müll. Es sind häufig Interpreten aus der sogenannten Peripherie, wie etwa afrikanische Bands, die mit Elektromüll aus Europa neue Sounds kreieren - und das nicht am Rechner, wie mittlerweile die überwiegende Zahl europäischer und amerikanischer Musik-Schöpfer.
Aber nicht die Mittel sind entscheidend. Es geht um einen bewussteren Umgang mit den Klängen. Dieser dichte und sehr engagierte Essay ist ein Plädoyer für die anhaltende Neugier auf Musik. Denn, so die Autoren:
"Es gibt tolle Pop-Musik, auch im 21.Jahrhundert. Songs, die es nicht verdient haben, als Müll deklariert zu werden."
Die Interpreten dieser Titel werden namentlich genannt - konkret und kenntnisreich und beseelt von einem einzigartigen Medium.
Besprochen von Olga Hochweis
Hans Platzgumer, Didi Neidhart: "Musik ist Müll"
Essay
Limbus Verlag, Innsbruck, 2012
128 Seiten, 10 Euro