Datenbank "Frozen Ark"

Tiere retten im Eis

Großaufnahme einer Elefantenmutter mit ihrem Kind
Aussterbende Art: um 1900 gab es 10 Millionen Elefanten, heute sind es noch 600.000. © picture alliance / dpa / Thomas Schulze
Moderation: Christopher Ricke |
Seit rund 20 Jahren wird das Erbgut bedrohter Arten von Wissenschaftlern des internationalen Projekts "Frozen Ark" in Flüssigstickstoff eingefroren, um die Lebewesen zu einem späteren Zeitpunkt nachzüchten zu können.
Christopher Ricke: In den 60er-Jahren, in meinem Kinderzimmer, da standen im Bücherregal zwei Bücher, die waren besonders abgegriffen: Das eine war "Mumin", und das andere war "Urmel aus dem Eis". Dieses Buch über den kleinen sprechenden Dinosaurier, der bei dem Naturkundeprofessor Habakuk Tibatong aufwächst, der Jahrtausende eingefroren in seinem Ei überstand. Das hat sich Max Kruse ausgedacht, und er hat uns auch mal erzählt, wie er damals auf diese Idee kam:
„Und dann kam ich auf die Idee, was ich zum Abendbrot machen wollte, kaufte Forelle, tiefgefrorene, und dann habe ich mir gedacht, ja, wenn nun ein Ei aus der Urzeit tiefgefroren sich erhalten hat – der Gedanke der Konservierung war das Wichtige dabei. Das war die Kernidee, und dann habe ich halt das andere drumherum gesponnen."
Ricke: Gar nicht blöd, die Idee, inzwischen funktioniert das auch, nur andersherum: Man holt die Sachen nicht aus der Urzeit, sondern man rettet sie aus der Gegenwart. Weltweit bemühen sich Wissenschaftler, Erbgut aussterbender Tiere zu retten. Es gibt eine Art Tiefkühl-Arche-Noah, knapp 200 Grad minus sind da drin. Da werden Eizellen, Spermien, Gewebeproben aufbewahrt. Und mit dem Kapitän der Arche Noah spreche ich jetzt, es ist Professor Jörns Fickel, er leitet die Abteilung Evolutionsgenetik am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin. Einen schönen guten Morgen wünsche ich!
Jörns Fickel: Einen wunderschönen guten Morgen. Ach, ich bin natürlich nicht der Kapitän. Die sitzen in Nottingham.
Ricke: Es gibt diese Arche auf mehreren Inseln, sozusagen, einmal in London, einmal in Berlin. Wo kümmern sich denn noch Forscher drum?
Fickel: Das ist ein Konsortium, das besteht aus 22 Institutionen. Da ist Australien mit dabei, Nordamerika mit dabei, viele Institutionen aus Europa und eben unter anderem das Institut für Zoo- und Wildtierforschung, dem ich angehöre.
Ricke: Die Idee kam ja tatsächlich vor zehn Jahren – nein, vor zehn Jahren wurde sie umgesetzt in Großbritannien. Ist es inzwischen ein großes und bedeutendes Projekt geworden?
Fickel: Es ist ein sehr großes und sehr bedeutendes Projekt geworden. Es begann Ende der 90er-Jahre – ich könnte jetzt nicht genau die Jahreszahl sagen, '95, '96 so – dass einzelne Institutionen begonnen haben, eben genetisches Material, also Zellen oder Eizellen, Spermien von vom Aussterben bedrohten Tierarten zu sammeln. Und die haben sich dann zusammengeschlossen, und die Federführung, also sprich der Unterhalt der Datenbank, wo man dann einträgt, was man so hat, das erfolgt von Nottingham aus.
Ricke: Wo kommt denn dieses Material her, das Sie einfrieren? Und, vor allen Dingen, wie wählen Sie aus, was es wert ist, aufgehoben zu werden?
Fickel: Was ist wert, aufgehoben zu werden? Na, prinzipiell ist alles wert, aufgehoben zu werden. Man muss natürlich berücksichtigen, dass man nicht unbegrenzte Lagermöglichkeiten hat, also konzentriert man sich vorrangig erst mal auf die vom Aussterben bedrohten Tiere. Momentan sind in der Datenbank ungefähr 48.000, 49.000 Proben, die von ungefähr 5.500 vom Aussterben bedrohten Tierarten sind. Da sind natürlich auch nicht vom Aussterben bedrohte Tierarten dabei. Die Auswahl – oder wie kommt man an Material, war ja der erste Teil der Frage: Das ist natürlich von Expeditionen, aber natürlich stellen auch Zoos, wenn Tiere versterben, Material zur Verfügung, das wir dann erhalten, sodass man also die Uteri, sprich die Eizellen entnehmen kann oder eben Spermien, und die dann eben einfriert.
Ricke: Wenn es jetzt bei Ihnen auf einmal brennen würde: Welche Probe von welchem Tier würden Sie da als erste retten?
Fickel: Da kann man natürlich keine Auswahl treffen, da kann man nur Brandschutzvorsorge treffen, würde ich sagen. Und die haben wir natürlich getroffen. Flüssiger Stickstoff ist glücklicherweise nicht so einfach zum Oxidieren zu bringen. Man muss einfach versuchen, diesen großen Ark auch auf mehrere Institute zu verteilen für den Fall, dass irgendwo mal eine Havarie – es muss ja nicht unbedingt ein Brand sein, es kann ja auch mal der Stickstoff zu Ende gehen oder Strom ausfallen oder wie auch immer – dass man einfach sozusagen Backups hat. Und das wird natürlich auch getan.
Ricke: Man spricht ja über große Zeiträume. Wenn man so etwas für die Ewigkeit vielleicht nicht, aber doch für die Zukunft aufheben will, wie lange, glauben Sie, werden Sie und Ihre Nachfolger und Ihre Nach-Nachfolger denn immer für ordentlich Stickstoff sorgen können? All dieses Material aufheben – wird das irgendwann schlecht?
Fickel: Das weiß man eigentlich gar nicht so ganz genau. Momentan sagen Schätzungen, also einfach, weil man schon so altes Material mal wieder aufgetaut hat, dass man Zellen – also jetzt nicht unbedingt Eizellen und Spermien, sondern auch so ganz normale Körperzellen, die enthalten ja auch das genetische Material – ungefähr hundert Jahre so in flüssigem Stickstoff aufbewahren kann, dass sie hinterher noch lebensfähig sind. Bei DNA, also dem Erbmaterial, wenn man das schon isoliert hat aus diesen Zellen, dann ist die Zeitspanne deutlich größer. Man weiß auch nicht, wie lang, aber man geht von mehreren hundert bis tausend Jahren aus.
Ricke: Es gibt einmal sozusagen das Aufheben von Spermien und Eizellen, da kann man vielleicht etwas daraus züchten. Es gibt Genmaterial, und es geht um einzelne Zellen. Ist die Klontechnologie für Sie etwas, worauf Sie setzen?
Fickel: Die Klontechnologie steht da natürlich dahinter. Ich persönlich habe da ein etwas gespaltenes Verhältnis dazu, weil ich immer denke, wenn man das so in den Vordergrund spielt – das ist so, wenn wir mal im biblischen Sinne denken: Wir haben ja eine Arche, also brauchen wir keinen Damm bauen. Ich bin sozusagen eher dafür, die Tierarten, die eben noch nicht ausgestorben sind, aber möglicherweise kurz vorm Ausstehen stehen, dass man etwas für deren Erhalt tut. Diese Frozen Ark ist sozusagen nur last resort oder das allerallerletzte Backup. Wenn man aber das Habitat erhalten kann, wo eben vom Aussterben bedrohte Tierarten momentan existieren noch, dann braucht man die Frozen Ark letztendlich gar nicht. Und das wäre dann natürlich der Idealfall.
Ricke: Man könnte es natürlich auch fast schon philosophisch angehen und sagen, mein Gott, es ist doch Evolution, auch wenn ein paar Tiere durch die Schuld der Menschen vielleicht ausgerottet werden – im Prinzip ist die Evolution doch drauf eingerichtet, dass Arten vergehen und auch Arten wieder entstehen?
Fickel: Absolut. Absolut, da muss ich Ihnen recht geben oder möchte ich Ihnen auch gerne recht geben. Allerdings ist der Mensch, na, wie wollen wir es vorsichtig formulieren – der beschleunigt diesen Vorgang recht drastisch, und auch der Mensch profitiert ja im weiteren Sinne davon, dass wir intakte Ökosysteme haben. Die sorgen schließlich dafür, dass unser Getreide wächst. Und demzufolge muss man eben auch für intakte Ökosysteme sorgen. Und da spielt eben jede dieser Tierarten ihre eigene, von uns sehr häufig noch überhaupt gar nicht verstandene Rolle. Und insofern, wenn der Mensch diesen Aussterbeprozess drastisch beschleunigt, dann wissen wir gar nicht, ob wir uns da nicht ordentlich ins eigene Fleisch schneiden.
Ricke: Sind wir also da durchaus in der Verantwortung?
Fickel: Absolut! Absolut.
Ricke: Professor Jörns Fickel. Er leitet die Abteilung Evolutionsgenetik am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin. Ein letztes noch, Herr Fickel – Wilderer jagen Tiere, Sie stellen den Super-Kühlschrank dagegen – wer wird gewinnen?
Fickel: Momentan sieht es leider so aus, als wäre der Sieg aufseiten der Wilderer.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.