Datenschützer zur DSGVO

"Aus sinnvollem Gesetz ein Bürokratiemonster gemacht"

06:36 Minuten
Der Abschnitt "meine Daten" einer Musterdatenschutzerklärung für Vereine wird von roten Einsen und Nullen hervorgehoben, die auf einem Bildschirm hinter dem Papier zu sehen sind.
Die DSGVO bedeutet für Unternehmen und Internetnutzer einen ziemlichen Aufwand. © picture alliance / Sebastian Gollnow/dpa
Thilo Weichert im Gespräch mit Ute Welty |
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Seit vor einem Jahr die Datenschutzgrundverordnung in Kraft trat, müssen Verbraucher im Netz ständig langen Erklärungen zur Datenverwendung zustimmen. Das nervt! Dennoch sei die Richtlinie im Prinzip sinnvoll, meint der Datenschützer Thilo Weichert.
Ute Welty: Im Verlaufe des vergangenen Jahres werden auch Sie irgendwo und irgendwann mit der Datenschutzgrundverordnung konfrontiert worden sein, die am 25. Mai 2018 in Kraft trat. In der Arztpraxis oder im Verein haben Sie zustimmen müssen, dass Ihre Daten gespeichert, verarbeitet und genutzt werden dürfen. Mein persönliches Highlight war ein sechsseitiges Schreiben eines Versicherungsdienstleisters, damit man mir weiterhin eine E-Mail schreiben kann. Befürworter der Datenschutzgrundverordnung ist Thilo Weichert. Der ehemalige Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein sitzt heute im Vorstand der Deutschen Vereinigung für Datenschutz. Guten Morgen, Herr Weichert!
Thilo Weichert: Ich grüße Sie.
Welty: Muss das denn wirklich sein, sechs Seiten für eine E-Mail?
Weichert: Absolut nicht. Also da wird von vielen wirklich ein Bürokratiemonster aus einem sinnvollen Gesetz gemacht, nur, ja, einmal vielleicht auch, um das Gesetz zu diskreditieren, aber insbesondere, um auf der sicheren Seite zu sein und um bloß keine Abmahnung zu bekommen oder irgendwelche Bußgelder, die erheblich höher sind als in der Vergangenheit. Also ich denke, man kann das alles sehr, sehr vernünftig auch weiterhin praktizieren, und so viel hat sich jetzt bezüglich der gesetzlichen, materiellen Regelung, also was erlaubt ist und was nicht erlaubt ist, gar nicht geändert.

Gleiche Technik erfordert gleiche Regeln

Welty: Aber die Datenschutzgrundverordnung unterscheidet überhaupt nicht zwischen einem Verein mit 100 Menschen und einem Konzern mit 10.000 Beschäftigten. Das kann doch nicht gerecht sein.
Weichert: Die Gerechtigkeit ergibt sich dann bei den Bußgeldern, die eben dann bei einem Konzern wie Google oder Facebook dann vier Prozent des globalen Umsatzes angehen, und das kann selbst einer Firma wie Facebook oder Google sehr, sehr wehtun. Was die Regelungen angeht und auch, was die Datenverarbeitung angeht, macht es tatsächlich keinen Unterschied, ob da jetzt ein kleiner Verein oder ein riesiges Unternehmen unterwegs ist.
Und das ist auch sinnvoll, weil ein Hacker im Prinzip, also eine einzige Person im Prinzip genau den gleichen Schaden anrichten kann im internationalen, globalen Netz und bei einer Massendatenverarbeitung wie ein großes Unternehmen. Also insofern müssen hier wirklich auch gleiche Regeln gelten, weil eben wir die gleiche Technik anwenden und die Gefahren für die Menschen auch identisch sind.

Zuckerbergs Lob ist ein "Witz"

Welty: Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat Europa gelobt für die Datenschutzgrundverordnung. Ist das der Zeitpunkt, wo man wirklich misstrauisch werden sollte?
Weichert: Also das Lob von Mark Zuckerberg, das ist absolut vergiftet, oder man kann auch sagen, das ist ein Witz. Es war wirklich Facebook, es waren Google und es waren andere IT-Unternehmen aus den USA, die gekämpft haben gegen die Datenschutzgrundverordnung wie nichts Gutes, so lange sie noch nicht verabschiedet war. Nachdem sie jetzt hier existiert, versuchen die, gute Miene zum bösen Spiel zu machen - also aus ihrer Sicht bösen Spiel.
Und die haben natürlich, also insbesondere Zuckerberg und Facebook haben ein riesiges Problem, Akzeptanzproblem – wegen der vielen Pannen, Ärger, Verstöße, Cambridge Analytica, Daten absaugen, auswerten für irgendwelche Wahlen, Brexit oder Präsidentschaftswahlen in einer Art und Weise, die jetzt wirklich nicht mehr akzeptabel ist. Und die tun jetzt so, als wollten sie reguliert werden, tatsächlich wollen die eben weiterhin ihre Milliarden verdienen, indem sie datenschutzrechtliche Regelungen verletzen, und das tun sie auch weiterhin.
Welty: Glauben Sie, dass wirklich alle wissen, dass sie von der Datenschutzgrundverordnung profitieren? Gibt es da so eine Art Imageproblem?
Weichert: Das ist definitiv der Fall, weil eben sehr viele mit irgendwelchen Google-Anforderungen im Internet traktiert werden, die gar nichts…
Welty: Ja, man klickt ja mehr Sachen weg, als dass man tatsächlich was liest.

Wo noch Handlungsbedarf besteht

Weichert: Genau, und das sind Sachen, die haben mit der Datenschutzgrundverordnung gar nichts zu tun, da gibt es eine Extra-Richtlinie, die jetzt gerade auch überarbeitet werden sollte und die schon lange eben auf der Tagesordnung steht, ohne verabschiedet zu sein. Also da gibt es wirklich ein ganz großes Vermittlungs- oder auch ein Wissensproblem, dass eben diejenigen ausnutzen, die mit dem Datenschutz nichts an den Hacken haben, aber die eben versuchen, den Datenschutz zu diskreditieren, um dann unter Umständen mit Datenschutzverstößen ihr gutes Geld zu verdienen.
Welty: In welchen Bereichen müsste die Richtlinie fortentwickelt werden?
Weichert: Also ich habe gerade schon die Telekommunikation angesprochen, auch die Vernetzung im Internet, da gibt es ein großes Defizit, das schon seit Jahren besteht. Die Kommission der Europäischen Union, das Parlament haben da entsprechende Vorschläge gemacht, die aber vom Rat seit zwei Jahren liegen gelassen werden.
Welty: Warum das?
Weichert: Das ist die sogenannte E-Privacy-Verordnung, wo es also um Telekommunikationsdatenschutz geht. Also wenn die Metadaten oder die Verbindungsdaten ausgewertet werden, zum Beispiel von Facebook oder von Google, dann läuft das nicht über die Datenschutzgrundverordnung, sondern über diese Richtlinie bisher, und in Zukunft durch die E-Privacy-Verordnung. Dann gibt es auch große Defizite beim Umsetzen der Verordnung, also der Datenschutzgrundverordnung, wegen der sogenannten Öffnungsklauseln, die konnten ja nicht alles regeln in Europa und haben deswegen dem Bundes- oder dem nationalen Gesetzgeber eben Spielräume überlassen, und die hat auch Deutschland bisher nicht ansatzweise genutzt, zum Beispiel beim Beschäftigtendatenschutz, wo in der Zwischenzeit immer noch alles unreguliert ist.

"Eine Frage, wie man erreicht werden möchte"

Welty: Aber der Name darf weiter an der Haustür an der Klingel stehen?
Weichert: Ja, das war also ein Witz aus meiner Sicht, der in Wien, in Österreich dann vielleicht auch etwas ernster genommen wurde. Natürlich, das ist jedem seine eigene Entscheidung, was er an seine Haustür schreibt und an seine Klingel und an seinen Briefkasten. Das ist eine freie Entscheidung des Betroffenen und wenn er XYZ schreibt oder ob er eben Thilo Weichert an die Haustür schreibt, das ist nur eine Frage, wie erreicht man werden möchte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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