Datenschutz ist kein Biedermeier
Digitalisierung und Vernetzung verändern die Gesellschaft radikal. Wie widersinnig wäre es, neue Spielräume nutzen zu wollen, sich aber vor der Mühe zu drücken, sie zu gestalten. Nur weil viele sich im Netz exhibitionieren, ist die Privatsphäre nicht abgeschrieben.
Das Unternehmen Sun Microsystems gibt es schon seit Jahren nicht mehr. Eine Aussage des Sun-Firmenchefs Scott McNealy aus dem Jahr 1999 ist aber noch heute aktuell. "Sie haben ohnehin null Prozent Privatsphäre mehr", sagte er mit Blick auf die boomende Internettechnik, durch die Sun damals gut verdiente. "Also finden Sie sich damit ab."
Die Privatsphäre ist in der Folgezeit ebenso wie der Datenschutz oft totgesagt worden – vor allem von Menschen, die durch das Sammeln von Daten reich wurden. Der ehemalige Google-Chef Eric Schmidt oder Facebook-Gründer Marc Zuckerberg etwa erklären immer wieder, dass der Datenschutz von gestern und überflüssig sei.
Nun werden diese Thesen auch in Deutschland nachgeplappert: Von "Post Privacy-Aktivisten", die sich über Webangebote wie die Seite "Datenschutzkritische Spackeria" oder die Seite "I am Open" Gehör verschaffen. Das Konzept der Post Privacy stellt sich eine Gesellschaft vor, welche die Privatsphäre hinter sich gelassen hat.
Und fügt sich nicht wirklich die Technologie in Form von Computern und Smartphones immer tiefer in unseren Alltag ein? Verändern sich dadurch nicht tatsächlich Konventionen, also auch Datenschutz und Privatsphäre? Während beispielsweise in den 80-ern große Teile der Gesellschaft gegen die Volkszählung protestierten, verursacht der noch viel größere Zensus 2011 keine großen Erregungswellen in einer Gesellschaft, die sich zum Großteil offen über Privates in sozialen Netzwerken austauscht.
Da klingt es erst einmal schlüssig, dass eine Vertreterin der Post Privacy-Bewegung erklärt, Privatsphäre sei "sowas von Eighties". Andere Webpublizisten setzen Privatheit mit dem Biedermeier gleich. Sie bringe nur "lahme Kunst, Spießbürgertum, kurzum Stillstand". Diese Haltung hat Vorteile. Sich davon zu verabschieden, dass Persönliches geschützt werden muss, klingt cool. Und es ist bequem. So kann man ohne Reue alle Segnungen des Informationszeitalters voll ausnutzen.
Tatsächlich aber ist es eine fatalistische Haltung. Sie überhöht die technische Entwicklung, indem sie ihr zubilligt, auf natürliche Weise zwangsläufig zu sein. Gleichzeitig redet sie klein, dass es Menschen möglich ist, Spielregeln des Zusammenlebens zu gestalten. Zudem paart sie Technologiegläubigkeit mit einer gehörigen Portion Naivität.
"Es gibt keine graue Eminenz, keinen gottverdammten BigBrother, der uns 24/7 überwacht und kontrolliert. Und wenn schon… was haben wir zu verbergen?", fragt sich ein Post-Privacy-Protagonist. Das allerdings kann nur jemand fragen, der von Kindesbeinen an das Glück hatte, in einer reichen Demokratie zu leben. Nicht nur in den Ohren von Menschen, die in Ostdeutschland vor der Wende gelebt haben, klingen solche Aussagen weltfremd.
Was hier als zeitgemäße Einstellung verkauft wird, ist in Wirklichkeit eine Kapitulation: vor der Komplexität der technischen Entwicklungen und vor der Heterogenität der Gesellschaft, auf die sie treffen. Mitmachen oder von gestern sein – das ist angeblich alternativlos. Nein, es ist einfach bequem, bewusst unangenehme Realitäten auszublenden. Fairerweise sollten jene, die ihre Privatheit als altmodisch hinter sich lassen wollen, akzeptieren, dass nicht alle, welche etwas gegen die totale Transparenz haben, Spießer oder Maschinenstürmer sind. Und dass eben nicht alles, was technisch geht, zwangsläufig auch kommen wird oder gemacht werden muss.
Digitalisierung und Vernetzung verändern die Gesellschaft zugegebenermaßen radikal. Wie widersinnig wäre es, neue, größere Spielräume nutzen zu wollen, sich aber vor der Mühe zu drücken, sie auch zu gestalten. Nur weil viele sich im Netz exhibitionieren, ist doch die Privatsphäre noch nicht abgeschrieben. Im Gegenteil. Es geht jetzt erst los. Effektive Datenschutzregelungen, die auch jenseits von nationalen Grenzen für eine vernetzte Gesellschaft funktionieren, wollen entwickelt werden. Das ist eine viel zu wichtige Aufgabe, als das man schon vorab kapitulieren sollte. Finden Sie sich damit ab, Mister McNealy, Mister Schmidt und Mister Zuckerberg.
Lars Reppesgaard, Jahrgang 1969, ist freier Wirtschaftsjournalist und Autor des 2008 erschienen Buches "Das Google-Imperium". Nach dem Studium arbeitete er vier Jahre lang als Reporter und Moderator beim Hörfunk von Radio Bremen. Seit dem Jahr 2000 lebt er in Hamburg und schreibt für Wirtschaftsmedien wie das "Handelsblatt", die "Financial Times Deutschland" oder die "Wirtschaftswoche".
Die Privatsphäre ist in der Folgezeit ebenso wie der Datenschutz oft totgesagt worden – vor allem von Menschen, die durch das Sammeln von Daten reich wurden. Der ehemalige Google-Chef Eric Schmidt oder Facebook-Gründer Marc Zuckerberg etwa erklären immer wieder, dass der Datenschutz von gestern und überflüssig sei.
Nun werden diese Thesen auch in Deutschland nachgeplappert: Von "Post Privacy-Aktivisten", die sich über Webangebote wie die Seite "Datenschutzkritische Spackeria" oder die Seite "I am Open" Gehör verschaffen. Das Konzept der Post Privacy stellt sich eine Gesellschaft vor, welche die Privatsphäre hinter sich gelassen hat.
Und fügt sich nicht wirklich die Technologie in Form von Computern und Smartphones immer tiefer in unseren Alltag ein? Verändern sich dadurch nicht tatsächlich Konventionen, also auch Datenschutz und Privatsphäre? Während beispielsweise in den 80-ern große Teile der Gesellschaft gegen die Volkszählung protestierten, verursacht der noch viel größere Zensus 2011 keine großen Erregungswellen in einer Gesellschaft, die sich zum Großteil offen über Privates in sozialen Netzwerken austauscht.
Da klingt es erst einmal schlüssig, dass eine Vertreterin der Post Privacy-Bewegung erklärt, Privatsphäre sei "sowas von Eighties". Andere Webpublizisten setzen Privatheit mit dem Biedermeier gleich. Sie bringe nur "lahme Kunst, Spießbürgertum, kurzum Stillstand". Diese Haltung hat Vorteile. Sich davon zu verabschieden, dass Persönliches geschützt werden muss, klingt cool. Und es ist bequem. So kann man ohne Reue alle Segnungen des Informationszeitalters voll ausnutzen.
Tatsächlich aber ist es eine fatalistische Haltung. Sie überhöht die technische Entwicklung, indem sie ihr zubilligt, auf natürliche Weise zwangsläufig zu sein. Gleichzeitig redet sie klein, dass es Menschen möglich ist, Spielregeln des Zusammenlebens zu gestalten. Zudem paart sie Technologiegläubigkeit mit einer gehörigen Portion Naivität.
"Es gibt keine graue Eminenz, keinen gottverdammten BigBrother, der uns 24/7 überwacht und kontrolliert. Und wenn schon… was haben wir zu verbergen?", fragt sich ein Post-Privacy-Protagonist. Das allerdings kann nur jemand fragen, der von Kindesbeinen an das Glück hatte, in einer reichen Demokratie zu leben. Nicht nur in den Ohren von Menschen, die in Ostdeutschland vor der Wende gelebt haben, klingen solche Aussagen weltfremd.
Was hier als zeitgemäße Einstellung verkauft wird, ist in Wirklichkeit eine Kapitulation: vor der Komplexität der technischen Entwicklungen und vor der Heterogenität der Gesellschaft, auf die sie treffen. Mitmachen oder von gestern sein – das ist angeblich alternativlos. Nein, es ist einfach bequem, bewusst unangenehme Realitäten auszublenden. Fairerweise sollten jene, die ihre Privatheit als altmodisch hinter sich lassen wollen, akzeptieren, dass nicht alle, welche etwas gegen die totale Transparenz haben, Spießer oder Maschinenstürmer sind. Und dass eben nicht alles, was technisch geht, zwangsläufig auch kommen wird oder gemacht werden muss.
Digitalisierung und Vernetzung verändern die Gesellschaft zugegebenermaßen radikal. Wie widersinnig wäre es, neue, größere Spielräume nutzen zu wollen, sich aber vor der Mühe zu drücken, sie auch zu gestalten. Nur weil viele sich im Netz exhibitionieren, ist doch die Privatsphäre noch nicht abgeschrieben. Im Gegenteil. Es geht jetzt erst los. Effektive Datenschutzregelungen, die auch jenseits von nationalen Grenzen für eine vernetzte Gesellschaft funktionieren, wollen entwickelt werden. Das ist eine viel zu wichtige Aufgabe, als das man schon vorab kapitulieren sollte. Finden Sie sich damit ab, Mister McNealy, Mister Schmidt und Mister Zuckerberg.
Lars Reppesgaard, Jahrgang 1969, ist freier Wirtschaftsjournalist und Autor des 2008 erschienen Buches "Das Google-Imperium". Nach dem Studium arbeitete er vier Jahre lang als Reporter und Moderator beim Hörfunk von Radio Bremen. Seit dem Jahr 2000 lebt er in Hamburg und schreibt für Wirtschaftsmedien wie das "Handelsblatt", die "Financial Times Deutschland" oder die "Wirtschaftswoche".