Anlasslose dauernde Überwachung "unverhältnismäßig"
Nach den Anschlägen von Paris fordern Politiker wieder einmal besseren Zugriff auf die Telekommunikationsdaten der Bürger. Dem Datenschutzbeauftragten der Telekom geht das zu weit: Die jetzigen Möglichkeiten reichten aus.
Es dürfe keine verschlüsselte und verdeckte Kommunikation für Terroristen geben. Mit diesem Argument forderten Politiker wie Barack Obama und David Cameron nach dem Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" besseren staatlichen Zugriff, auch auf verschlüsselte Telekommunikationsdaten. Claus-Dieter Ulmer, Datenschutzbeauftragter der Deutschen Telekom, hält die bisherige gesetzliche Regelung für ausreichend. Auf richterliche Anordnung und bei Vorliegen eines besonderen Verdachts müsse man den staatlichen Strafverfolgungsbehörden Zugang zu den Daten gewähren. "Das wäre dann auch so, wenn wir Verschlüsselungsmöglichkeiten anbieten würden."
Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Wie viel Privatsphäre kann und darf bleiben in Zeiten des Terrors? Seit Paris, seit dem Angriff auf "Charlie Hebdo" ist diese Debatte wieder da, wieder laut, prominent angeführt von Barack Obama wie auch David Cameron. Beide Regierungschefs haben nach dem Anschlag offen gefordert, dass es keine verschlüsselte und verdeckte Kommunikation für Terroristen geben darf.
Das klingt erst mal selbstverständlich, aber beim zweiten Gedanken wird schnell klar, was das bedeutet: E-Mail-Anbieter, WhatsApp, Facebook – alle müssten, sofern vorhanden, ihre Verschlüsselung offenlegen, Zugriffsmöglichkeiten schaffen für staatliche Stellen, kurzum, der Türöffner sein für den gläsernen Bürger. Wie steht der größte deutsche Telekommunikationsanbieter dazu? Das wollten wir wissen, und ich freue mich, dass wir jetzt den Datenschutzbeauftragten der Deutschen Telekom am unverschlüsselten Telefon begrüßen können, Klaus Dieter Ulmer. Guten Morgen!
Claus-Dieter Ulmer: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Zugriff auch auf verschlüsselte Daten zu Zwecken der Terrorbekämpfung – wie stehen Sie dazu?
Ulmer: Das ist ein ganz schwieriger Bereich. Sie haben es gerade schon angesprochen, dass hier zwei Interessen natürlich im Widerspruch stehen. Einmal das Sicherheitsinteresse des Staates, das ganz klar auch anzuerkennen ist, auf der anderen Seite aber natürlich auch das Interesse der Bürger an unbeobachteter Kommunikation und an dem Recht, unbeachtet auch miteinander kommunizieren zu dürfen.
Derzeitige Zugriffsmöglichkeiten sind "bislang ausreichend"
Frenzel: Wo und wie ziehen Sie da die Grenzen?
Ulmer: Die Grenzen müssen in der Austarierung dieses Verhältnisses gefunden werden. Da ist zum einen mal die Frage da, was sind eigentlich sinnvolle Maßnahmen, um Sicherheitsinteressen umzusetzen. Das ist also die Frage, wie viel Zugriff brauche ich überhaupt auf Kommunikation, um daraus wertvolle Aspekte ableiten zu können? Auf der anderen Seite haben wir die Grundrechte in Deutschland aus Artikel eins und zwei, die es zu bewahren gilt. Und das Telekommunikationsgeheimnis, das dem entgegen steht. Also muss hier sehr genau abgewogen werden, an welcher Ecke hier die Grenze zu ziehen ist.
Frenzel: Wenn wir mal diesen ganz konkreten Vorschlag nehmen, dass staatliche Stellen, dass Polizeibehörden, Geheimdienste Ihre Verschlüsselungstechnologien offengelegt kriegen, dass sie also wissen, wie man in Ihre Daten reinkommt. Wäre das zu weit, würde das zu weit gehen aus Ihrer Sicht?
Ulmer: Aus meiner persönlichen Auffassung wäre eine anlasslose dauernde Überwachung in so einem Fall unverhältnismäßig. Natürlich muss der Staat darauf gucken, dass er den gesetzlichen Vorbehalt richtig ausfüllt. Und wir haben ja heute schon Zugriffsmöglichkeiten in Fällen von Verdachtsmomenten bei besonders schweren Straftaten, die nach unserer Meinung auch bislang ausreichend sind.
Frenzel: Wie gehen Sie denn um mit der Vermutung, die ja vielleicht gar nicht so fern liegt, dass, je besser ein Unternehmen Verschlüsselung anbietet, auch umso attraktiver beispielsweise für Straftäter, möglicherweise sogar für Terroristen ist?
Ulmer: Ja, das ist ein Punkt, der immer mitspielt. Wir müssen natürlich sehen, dass das Verwenden von solchen Lösungen im Strafumfeld, zumindest in dem Umfeld, über das wir hier gerade sprechen, einen relativ geringen Anteil hat. Da werden auch andere technische Möglichkeiten, über Satellitentelefone und anderes, genutzt. Auf der anderen Seite, wie gesagt, haben wir ja im Moment schon die Möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden, in bestimmten Fällen auch Zugriff zu nehmen. Wir haben dann auch die Möglichkeiten, dass Verkehre dann auf Anordnung der Gerichte dann auch ausgeleitet werden. Aber das muss eigentlich auch reichen. Mir ist noch kein Fall bekannt, in dem durch dauernde Überwachung schwere terroristische Straftaten verhindert wurden.
Telekom hat "bislang immer nur auf gesetzlicher Grundlage Auskünfte gegeben"
Frenzel: Wir schauen ja jetzt gerade in die Zukunft. Wir könnten aber auch genausogut in die Vergangenheit gucken und dann vielleicht feststellen, dass es manchmal gar nicht unbedingt die Rechtslage ist, sondern einfach der staatliche Druck, der auch ein Unternehmen wie Sie dann dazu bringt, Dinge zu tun, die man vielleicht gar nicht tun sollte. Ich denke da an den Fall, der auch gerade von dem NSA-Untersuchungsausschuss gelandet ist, wo Mitarbeiter der Telekom zwischen 2004 und 2008 Daten von dem Sternpunkt, von dem Knotenpunkt in Frankfurt weitergegeben haben sollen an den BND auf staatlichen Druck hin, ohne eigentlich eine richtige Grundlage dafür zu haben. Können Sie sich diesem Druck eigentlich entziehen?
Ulmer: Wir haben bislang immer nur auf gesetzlicher Grundlage Auskünfte gegeben an staatliche Behörden. Wir haben natürlich auch eine gesetzliche Grundlage für den BND, das G10-Gesetz, was ihn dazu berechtigt, solche Verlangen an uns zu stellen. In dem fraglichen Fall ging es nicht um Verkehre von Deutschland ins Ausland, sondern es ging um sogenannten Transitverkehr, der von einem Ausland in das andere Ausland geleitet wird, auf den die deutschen Gesetze grundsätzlich keine Anwendung finden, auf die der BND auch hätte zugreifen können durch eine sogenannte heimliche Maßnahme. In dem Fall haben die Kollegen damals, und ich meine auch zu Recht, gesagt, es ist besser, wenn wir uns mit einbringen, um im Prinzip hier datenschutzgerecht das Thema umsetzen zu können, bevor Maßnahmen ergriffen werden, die wir nicht kennen.
Frenzel: Der Chaos Computer Club, der fordert ein Verbot unverschlüsselter Kommunikation. Wenn es denn käme, würde Ihnen ein solches Verbot helfen, staatliche Anfragen nach Eingriffen in die Kommunikationsfreiheit abzuwehren?
Ulmer: Ein Verbot unverschlüsselter Kommunikation – natürlich hilft so ein Angebot. Auf der anderen Seite ist natürlich die Rechtslage heute schon so, dass wir den staatlichen Strafverfolgungsbehörden zum Beispiel Zugang gewähren müssen, wenn ein besonderer Verdacht vorliegt und ein richterlicher Beschluss vorliegt. Das wäre dann auch so, wenn wir Verschlüsselungsmöglichkeiten anbieten würden. Insofern ist das natürlich dann nur ein relativer Schutz. Der hilft aber natürlich gegenüber dritten Angreifern, zum Beispiel anderen Geheimdiensten aus anderen Ländern oder Angriffen, die sonst im Internet durch sogenannte Hacker zum Beispiel stattfinden.
Größte Gefahr: Datensammelnde Unternehmen
Frenzel: Vor wem müssen sich denn eigentlich die Bürgerinnen und Bürger aus Ihrer Sicht die meisten Sorgen machen? Wir haben jetzt natürlich viel über staatliche Eingriffe geredet. Wo ist denn die große Unsicherheit im Internet?
Ulmer: Die große Unsicherheit im Internet nach den Veröffentlichungen von Herrn Snowden, durch die ja jetzt die gesamten Geheimdienstaktivitäten aufgearbeitet werden, sehe ich in dem Bereich: Was passiert eigentlich im Unternehmensumfeld, vor allem bei den großen Internetprovidern, mit meinen Daten? Welche Profile werden da angelegt? Was passiert mit diesen Profilen, und welche Auswirkungen kann das für mich in der Zukunft haben?
Frenzel: Sagt Claus-Dieter Ulmer, Konzernbeauftragter für den Datenschutz bei der Deutschen Telekom. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Ulmer: Danke Ihnen! Tschüss.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.