Datengutachten stärkt Rechte der EU-Bürger
Der Generalanwalt des EuGH, Yves Bot, hat den Datenschutz in den USA für unzureichend erklärt. Damit strafe er auch die EU-Kommission ab, findet die Politologin Jeanette Hofmann. Diese hätte das Datenschutzabkommen mit den USA spätestens seit den Snowden-Enthüllungen für Makulatur erklären müssen.
Die Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann bewertet das Gutachten des Europäischen Gerichtshofs zur mangelnden Sicherheit persönlicher Daten von europäischen Bürgern in den USA positiv.
Die aus dem Gutachten hervorgegangene Schlussbetrachtung von Generalanwalt Yves Bot stärke die Grundrechte der EU-Bürger, sagte Hofmann im Deutschlandradio Kultur. Er verweigere sich einer pragmatischen Betrachtung und sage damit: "Das entspricht nicht dem, was die Europäische Grundrechtscharta aussagt."
Mit dieser Aussage strafe er auch die EU-Kommission ab und halte ihr einen Spiegel ihres Handelns vor, äußerte Hofmann. Bot sage auch: "Ihr hättet eigentlich schon nach den Enthüllungen von Snowden das 'Safe-Harbor-Abkommen' in seiner derzeitigen Form aussetzen müssen." Spätestens mit diesen Enthüllungen sei klar geworden, dass dieses Abkommen "Makulatur" sei: "Weil eben der europäische Datenschutz massiv durch den amerikanischen Geheimdienst verletzt wird."
Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs, Yves Bot, hat am 23.9.2015 ein Gutachten vorgelegt. Darin wird eine Entscheidung der EU-Kommission aus dem Jahr 2000 für ungültig erklärt. Damals war das Datenschutz-Niveau der USA noch als ausreichend eingestuft worden. Das abschließende Urteil des EuGH in Bezug auf die Sicherheit persönlicher Daten von europäischen Bürgern in den USA wird erst in einigen Monaten erwartet.
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Wer privat feststellt, persönliche Daten seien in den USA nicht so sicher wie in Europa, der wird weder auf Widerspruch noch auf großes Erstaunen stoßen. Gestern hat das aber der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs Yves Bot als Fazit seines Gutachtens öffentlich getan, und bei ihm ist weder mit dem einen noch dem anderen zu rechnen. Einzelheiten von Kai Küstner.
Jeanette Hofmann ist Gründungsrektorin des von Google initiierten Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft und Leiterin der Projektgruppe Politikfeld Internet am Wissenschaftszentrum in Berlin, und mit ihr wollen wir darüber jetzt reden. Schönen guten Morgen, Frau Hofmann!
Jeanette Hofmann: Guten Morgen!
Kassel: Ist das Ansichtssache, ob die USA ein Safe Harbor sind im Zusammenhang mit den Daten, oder muss man jetzt nach dieser Äußerung sagen, jetzt ist klar, sie sind es nicht?
Hofmann: Also ich würde mal sagen, dass schon lange Zeit große Zweifel daran bestehen, ob das Safe-Harbor-Abkommen in seiner derzeitigen Form angemessen ist. Die EU versucht ja auch schon seit einer Weile, das neu zu verhandeln. Auch das kann man so interpretieren, dass es große Schwächen in seiner derzeitigen Form hat. Insofern ist es hier nicht Ansichtssache.
Kassel: Nun geht es ja um mehr als nur um Facebook, auch wenn wir am Ende noch gehört haben, das ist eigentlich zurückzuführen, was jetzt gemacht wird, auf eine Klage eines Österreichers, der sich mit der Datensammelwut von Facebook beschäftigt hat. Wenn nun dieser Datenaustausch zwischen der EU und den USA nicht mehr stattfinden kann aufgrund dieser neuen Stellungnahme jetzt, was würde das auch heißen für den offiziellen Datenaustausch, zum Beispiel was Passagierlisten angeht?
Hofmann: Erst mal muss man sagen, das war der Schlussantrag des Generalanwalts, und nicht immer ist es so, dass der Europäische Gerichtshof diesem Schlussantrag auch folgt. Es gibt ganz prominente Fälle, zum Beispiel beim sogenannten Recht auf Vergessen, also einem Urteil aus dem vergangenen Jahr, wo der Schlussantrag anders ausgefallen ist als der Urteilsspruch des Gerichts. Insofern muss man da vorsichtig sein. Man kann nicht eindeutig davon ausgehen.
Aber praktisch ist es natürlich so, dass in drei Viertel aller Fälle das Gericht dem folgt. Wenn das so ist, dann müssten faktisch alle Datentransfers, die durch das Safe-Harbor-Abkommen gedeckt sind, eingestellt und die Bedingungen dafür neu ausgehandelt werden.
Die Möglichkeiten der US-Firmen
Kassel: Das wäre wahrscheinlich eine Sache, die dann wieder Jahre dauert, oder?
Hofmann: Na, es gibt verschiedene Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Die US-Firmen, die das betrifft – es betrifft im Übrigen nicht alle -, weil manche haben bereits für sich Sonderregelungen aufgestellt, zu denen gehört etwa eBay. Nicht alle Firmen also betrifft es. Aber sie haben verschiedene Möglichkeiten, darauf zu reagieren: Sie könnten zum Beispiel ihre Daten nicht mehr in den USA speichern, sondern in Europa.
Aber dennoch muss man sehen, dass für die Firmen die Lage deshalb schwierig wird, weil sie mit konfligierenden politischen Regelungen konfrontiert sind. Es ist ja so, dass die Europäer sagen, Daten dürfen aus Europa nur heraustransferiert werden, wenn die Datenschutzregelungen woanders unserem Niveau entsprechen. Während die US-Regierung für sich beansprucht, dass alle Daten, die von US-Firmen erhoben, gespeichert und verarbeitet werden, den US-Regelungen unterliegen. Und die lauten nun mal ganz anders als die europäischen.
Die US-Regierung muss nun handeln
Kassel: Aber nehmen wir an, das Gericht würde am Ende dem Antrag des Generalanwalts folgen, wo, in welchem Spielfeld läge dann der Ball? Weil so wie ich Sie jetzt verstanden habe, Frau Hofmann, könnten ja eigentlich Google, Microsoft, AOL, wer auch immer, selber gar nichts tun, sondern die Administration in Washington müsste reagieren.
Hofmann: Also die US-Regierungen sind gezwungen, was zu tun, aber die Bedingungen für ihr Handeln, die sind eben so widersprüchlich. Wir haben eine ganz ähnliche Konstellation bei der Neuaushandlung der Europäischen Datenschutzverordnung – auch da ist es so, dass die Regelungen, die für die Datenproduktion, -speicherung und -verarbeitung in Europa geschaffen werden, dem widersprechen, was amerikanische Unternehmen tun sollen gemäß der amerikanischen Rechtslage. Also auch da ist es sozusagen ein Kampf der Giganten, wo unklar ist, wie das genau ausgeht.
Kassel: Aber es geht ja letzten Endes auch um das Verhalten von Geheimdiensten. Diese ganze Klage des Österreichers ging ja los, als die NSA-Affäre ans Tageslicht kam. Und da haben ja auch die ganzen Firmen in den USA total widersprüchliche Dinge erzählt. Zuerst hieß es nein, wir haben nichts weitergegeben, dann hieß es, außer im Rahmen der rechtlichen Vorgaben. Dann wissen wir auch nicht, was die Geheimdienste sich einfach genommen haben, ohne die Konzerne zu fragen. Ist das denn wirklich was, was jetzt ein Generalanwalt eines europäischen Gerichts einfach so klären kann?
Die EU-Kommission wird "abgewatscht"
Hofmann: Ich finde das Faszinierende an dieser Schlussbetrachtung, dass der Generalanwalt die Grundrechte der EU-Bürger so stark macht in diesem Zusammenhang und sich einer pragmatischen Betrachtung schlicht verweigert und sagt: Das entspricht nicht dem, was die europäische Grundrechtscharta aussagt. Und das finde ich erstens völlig angemessen. Und zweitens watscht er damit natürlich auch die EU-Kommission ab, weil er ihr einen Spiegel vor ihr Handeln hält und sagt: Ihr hättet eigentlich schon nach den Enthüllungen von Snowden das Safe-Harbor-Abkommen in seiner derzeitigen Form aussetzen müssen. Weil spätestens seitdem klar ist, dass es Makulatur ist, weil eben der europäische Datenschutz massiv durch den amerikanischen Geheimdienst verletzt wird.
Kassel: Welche Folgen hat es, wenn der Generalanwalt des höchsten EU-Gerichts in einem Gutachten feststellt, persönliche Daten seien in den USA eben nicht sicher, das Ganze seit kein Safe Harbor, darüber sprachen wir mit Jeanette Hofmann vom Wissenschaftszentrum Berlin. Herzlichen Dank für das Gespräch und noch einen schönen Tag!
Hofmann: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.