Datenspeicherung

Netzaktivist kritisiert Koalitionsvertrag

Eigentlich könnte die Bundesregierung die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung einfach ignorieren, schlägt Netzaktivist Markus Beckedahl. Schließlich verfahre sie mit anderen EU-Vorgaben ebenso. Und: Bislang passiert das auch, weil sich die Liberalen gegen die Datensammelei wehren. Doch trotz großer Widerstände innerhalb der SPD haben sich Union und SPD auf die Durchsetzung der Richtlinie geeinigt. Für Beckedahl ist das unnötig: "Da könnte man dann auch die Kostenrechnung aufstellen, ob uns das unsere Grundrechte nicht wert wären."
Ulrike Timm: Jetzt haben wir eine Koalitionsvereinbarung und CDU und SPD haben in schöner Einmütigkeit beschlossen, dass wir auch die Vorratsdatenspeicherung wieder bekommen. Kritiker sehen darin einen Generalverdacht gegen jeden einzelnen Bürger. Darüber sprechen wir gleich mit Markus Beckedahl.
Vorher beschreibt Falk Steiner den Stand der Dinge.
Timm: Sie kommt wieder, die Vorratsdatenspeicherung. Und wie er das findet, frage ich jetzt Markus Beckedahl vom Blog netzpolitik.org. Schönen guten Morgen!
Markus Beckedahl: Guten Morgen!
Timm: Herr Beckedahl, alle Verbindungen werden erst mal gespeichert werden, aber dass man sie dann tatsächlich abruft, ist sicher unwahrscheinlich. Es muss ein Richter genehmigen oder es muss akute Gefahr bestehen für Leib und Leben. Das klingt doch erst mal ganz vernünftig, oder?
Beckedahl: In der Theorie klingt das vernünftig, in der Praxis haben wir leider in Deutschland die Situation, dass unser Justizsystem so überlastet ist, dass sehr häufig oder fast schon in der Regel eine detaillierte Einzelfallprüfung für diese grundrechtsverletzende oder -einschränkende Maßnahme vor Gericht nicht erfolgt.
Timm: Aber erst mal, ob es nun gefragt wird oder nicht – wenn ich eine Freundin anrufe, dann weiß die Bundesregierung das für ein halbes Jahr, oder?
Beckedahl: Dann weiß das erst mal Ihr Telekommunikationsunternehmen, wo Sie Ihren Vertrag haben und was die Daten speichert. Frau Merkel wird das nicht wissen, aber wir wissen zum Beispiel nicht, ob der Bundesnachrichtendienst nicht Zugriff darauf hat, oder ob die NSA, der amerikanische Geheimdienst, nicht in unseren Infrastrukturen drin ist und diese Daten einfach abzieht, wie das beispielsweise in Belgien mit einem großen Provider dort erfolgt ist, um auf die Daten des Europaparlaments, in der EU-Kommission zuzugreifen.
Timm: Na ja, es sind ja schon Hürden eingebaut. Also, der Bundesnachrichtendienst darf sich ja für mich erst dann interessieren, wenn ich straffällig geworden bin und, ich glaube, auch eine hohe Gefängnisstrafe zu erwarten habe. Wenn ich das nicht hab, ist ihm das wahrscheinlich egal.
Beckedahl: Beim Bundesnachrichtendienst ist es noch mal eine andere Sache. Also sagen wir mal, beim Bundeskriminalamt und bei der normalen Polizei gibt es die Hürde, dass es eine schwere Straftat sein muss. Schwere Straftat klingt erst mal nach Gewaltverbrechen oder sonst wie, ist aber im Endeffekt, was keine Bagatellstrafe ist. Also man könnte schon fast sagen wahrscheinlich, Raub ist schon eine schwere Straftat. Unterscheiden tut man das von der schwersten Straftat oder etwas gegen Leib und sonst wie, also wo Menschen tatsächlich getötet werden.
Timm: Wir haben ja gerade durch den NSA-Skandal erfahren, wie viel man sammeln und horten kann. Und das hat wirklich alle aufgerührt, egal, ob man das nun liest oder nicht, wie viel Millionen und Abermillionen Daten da anfallen. Wem könnte denn die Vorratsdatenspeicherung tatsächlich schaden, unabhängig von harmlosen Telefongesprächen, die man weiter führen wird?
Sogar Machtverhältnisse in Parteien können deutlich werden
Beckedahl: Na, stellen Sie sich mal vor, Sie haben irgendeine Krankheit, die Sie Ihrem sozialen Umfeld nicht mitteilen möchten, und Sie informieren sich über das Netz auf Informationsseiten. Sie haben vielleicht Aids und rufen bei der Aidshilfe an – das kann alles auf Basis dieser Verbindungsdaten erkannt werden. Es können auch sehr detaillierte soziale Netzwerke erkannt werden – mit wem kommunizieren Sie wie häufig in welche Richtung? Mit wem kommunizieren Ihre Kommunikationspartner auch wieder? Also, wenn man beispielsweise über unser politisches System eine Vorratsdatenspeicherung laufen lassen würde, ausgehend von Frau Merkel, dann könnte man sehr schnell die Machtverhältnisse in unseren Parteien und Fraktionen sehr detailliert erkennen, und das macht wahrscheinlich die NSA, wenn sie die Telefonnummer von Angela Merkel in ihr System eingibt, und über drei Ebenen, also wer ist ihr direkter Kommunikationspartner, wer ist der Kommunikationspartner des Kommunikationspartners, und wer ist der weitere Kommunikationspartner, eigentlich mal fast alle unsere Politiker abdecken kann.
Timm: Sammeln müssen die Daten die Telekommunikationsunternehmen, das ist praktisch der große Sack, in den diese Daten erst mal kommen. Wacht da eigentlich jemand drüber? Ist das gesichert, dass sie die tatsächlich nicht weiterverkaufen. Im Prinzip können sie es ja tun.
Beckedahl: Weiterverkaufen dürfen sie es nicht. Im Koalitionsvertrag steht der eine Satz drin, dass diese Daten selbstverständlich nur in Deutschland oder auf deutschen Servern gespeichert werden dürften. Damit möchte man wohl Vorurteilen vorbeugen, dass, wenn man Sachen in Großbritannien auf einem Server abspeichert, dass dort dann sofort der britische Geheimdienst drauf zugreifen könnte, was wahrscheinlich auch sehr wahrscheinlich ist. Aber wir können nicht verhindern, dass nicht interessierte Geheimdienste auf deutsche Server zugreifen. Also, ich habe eben schon das Beispiel gebracht: Der britische Geheimdienst hat sich zusammen mit der NSA, dem amerikanischen Geheimdienst, in den größten belgischen Provider reingehackt, um darüber dann unsere EU-Institutionen abzuhören. Das kann auch in Deutschland möglich sein, möglicherweise haben wir das nur noch nicht erfahren.
Timm: Sagt uns Markus Beckedahl von netzpolitik.org. Wir sprechen über die Vorratsdatenspeicherung – mit der großen Koalition kommt auch sie zurück. Herr Beckedahl, wenn die Bundesregierung in spe damit aber ganz klar EU-Recht umsetzt, ist sie dann überhaupt die richtige Adresse für Ihre Kritik?
Beckedahl: Ja, natürlich! EU-Recht sollte umgesetzt werden, muss aber nicht umgesetzt werden. Seit 2010, seitdem das Bundesverfassungsgericht diese Vorratsdatenspeicherung als damaliges Gesetz erst mal für verfassungswidrig erklärte, haben wir keine Vorratsdatenspeicherung, und das war eine politische Frage. Die FDP, die mal Koalitionspartner war, hat sich dagegen gesträubt, hat das Ganze blockiert, und das könnte auch so Jahre weiterlaufen. Es gibt viele andere EU-Richtlinien, die ebenfalls nicht umgesetzt werden, weil die Bundesregierung der Meinung ist, dass dann eigene Interessen davon betroffen sind und dass man damit nicht mehr einverstanden ist, oder eine Richtlinie auch für veraltet hält.
Timm: Na gut, aber wenn die kommende Regierung das nicht umsetzt, muss sie an Brüssel Strafe zahlen – auch nicht so prickelnd.
Beckedahl: Na ja, also erst mal: So hoch sind diese Strafen nicht, wenn man sie auf alle Bürger verteilt. Da könnte man auch die Kostenrechnung aufstellen, ob uns irgendwie diese Maßnahme, oder ob uns unsere Grundrechte das denn nicht wert wären. Und bei anderen Richtlinien gehen wir auch das Risiko ein, dass wir womöglich eine Strafe zahlen müssen.
Eine grundrechtsfreundlichere, kleine Partei am Kabinettstisch wäre gut
Timm: Herr Beckedahl, vermissen Sie eigentlich die FDP? Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat sich gegen die Vorratsdatenspeicherung immer schön in die Quere gelegt.
Beckedahl: Ich vermisse vielleicht eine eher grundrechtsfreundlichere, kleinere Partei am Kabinettstisch. Das ist ja nicht nur die FDP, die sich gegen die Vorratsdatenspeicherung und mehr Überwachung ausgesprochen hat. Das sind auch die Linken, das sind auch die Grünen. Bei einer großen Koalition hat man leider immer den Effekt, dass vor allen Dingen die Innen- und Rechtspolitiker ein großes Bündnis schmieden, die gerne mehr Befugnisse für Sicherheitsbehörden haben wollen, die gerne dann auch Grundrechte überschreiten. In der letzten großen Koalition kam ja die Vorratsdatenspeicherung und die Onlinedurchsuchung neben vielen anderen Überwachungsgesetzgebungen, die größtenteils vom Bundesverfassungsgericht dann wieder einkassiert worden sind. Und ich befürchte, dass wir diese Effekte in den nächsten Jahren auch wieder erleben.
Timm: Nun gibt es ja in Ihrem Sinne ein bedingtes Problembewusstsein in der wahrscheinlich kommenden Koalition. Es heißt, sie werde darauf hinwirken, dass die EU beschließen möge, die Daten nur noch drei statt sechs Monate zu speichern. Zweimal Konjunktiv – was sagt uns das?
Beckedahl: Das sagt uns, dass man das eventuell mal machen könnte, und das ist vielleicht auch das Zugeständnis an die SPD, die mit diesem Kompromiss ganz klar ihren eigenen Bundesparteitagsbeschluss aus dem Jahr 2012 verletzt, wo die SPD damals gesagt hat, Vorratsdatenspeicherung, wenn, dann nur drei Monate lang. Und wenn, dann nur ohne Standortdaten, also wo waren Sie, als Ihr Handy klingelte. Das soll jetzt wieder aufgenommen und gespeichert werden. Und dieser Kompromiss ist eindeutig die CDU-Linie. Und dann hat man noch diesen Konjunktiv eingebaut, dass man ja eventuell mal, wenn man Lust hat, auf EU-Ebene, wenn es Mehrheiten dafür gibt, auch mal die Richtlinie auf drei Monate heruntersenken könnte. Aber, sagen wir mal, das Kalkül dahinter ist zu sagen, drei Monate Grundrechtseinschränkungen sind doch viel freiheitlicher als sechs Monate Grundrechtseinschränkung. Also für uns ist beides eine Grundrechtseinschränkung, ob drei oder sechs Monate.
Timm: Letztlich steht die Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung ja immer für den dauernden Spagat zwischen dem Recht auf Freiheit und dem Recht auf Sicherheit. Nun haben Sie schon gesagt, dass das Recht auf Freiheit Ihnen in dieser kommenden Koalition ein bisschen abgeschmiert scheint – wer setzt sich denn überhaupt noch dafür ein?
Beckedahl: Also wir haben noch Oppositionsparteien …
Timm: Die sind klein!
Beckedahl: Ja. Die sind natürlich klein. Wir haben viele Bürgerrechts- und Menschenrechtsorganisationen, aber eigentlich sollte sich jeder einzelne Bürger für seine Freiheit engagieren, vor allen Dingen, wo wir in den letzten Monaten gehört haben, dass eigentlich unser komplettes Onlineleben überwacht werden soll, wenn es nicht schon überwacht wird. Entweder wir nehmen das hin und akzeptieren, dass wir zukünftig in Unfreiheit leben wollen, dann können wir auch unsere Demokratie halbwegs abschaffen, oder wir gehen auf die Straße, wir engagieren uns dafür, dass wir auch im digitalen Zeitalter unsere Privatsphäre, unsere Grundrechte erhalten.
Timm: Meint Markus Beckedahl. Er betreibt den Blog netzpolitik.org. Herr Beckedahl, vielen Dank für das Gespräch!
Beckedahl: Danke Ihnen!
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