Datenspuren im Netz

Wir sind zu bequem, uns selbst zu schützen

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Illustration eines Gehirns auf einem Computerchip vor bläulichem Hintergrund.
Mit hoher Treffsicherheit erlauben Likes auch Rückschlüsse auf unsere Hautfarbe, unsere sexuelle Orientierung und unsere politische Überzeugung. © imago / fStop Images / Malte Müller
Überlegungen von Bijan Moini · 07.07.2021
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Niemand würde Tagebücher freiwillig Fremden überlassen. Facebook und Co. geben wir aber bedenkenlos unsere Daten. Dabei sind sie in ihrer Summe auch persönlich. Der Politikwissenschaftler Bijan Moini warnt vor unserer Gleichgültigkeit und Faulheit.
Wir sind sehr viel durchschaubarer, als wir denken. Mit nur 300 Likes, die wir gedankenlos für Fotos, Artikel oder Videos verteilen, kann Facebook uns besser einschätzen als unsere Ehepartner. Schon 150 Likes genügen dem Konzern, um unsere Familienmitglieder zu übertrumpfen, 70 um unsere Freundinnen und zehn um unsere Kollegen zu schlagen.
Das haben Studien der Universitäten Cambridge und Stanford gezeigt. Mit hoher Treffsicherheit erlauben Likes auch Schlüsse auf unsere Hautfarbe, unsere sexuelle Orientierung, unsere politische Überzeugung, ja selbst auf unseren Gemütszustand. Jede noch so simple Tätigkeit im Netz legt eine Datenspur, die tief in unser Innerstes hineinführt.

Dass sich so viel so leicht über uns ermitteln lässt, macht uns empfänglich für Manipulationen. Wir greifen zu Produkten und machen uns Meinungen zu eigen, an die wir noch nie einen Gedanken verschwendet haben. Und Instagram, YouTube oder TikTok rauben uns noch das letzte Sandkorn aus der Uhr. Wir mutieren zu Objekten digitaler Fürsten.
Wie konnte es soweit kommen? Warum haben wir nicht widerstanden? Der erste Grund dafür ist, dass wir die Tragweite des Datenteilens ignorieren. Wir bemühen uns nicht um Verständnis von der digitalen Welt. Davon, was vor sich geht, wenn wir eine Website öffnen oder eine App benutzen, welche Daten, wo gespeichert werden, wer auf sie zugreift. Dabei sind all das keine Geheimnisse, im Gegenteil.

Verhalten von Rauchern und Datenignoranten ist vergleichbar

Es ist ein wenig wie mit dem Rauchen: Die Menschen wussten zunächst nichts von seinen grauenhaften Folgen. Doch als sie bekannt wurden, wuchsen nicht die Widerstände, sondern die Ausreden. Eine der Ausreden der Digitalisierten ist der Mangel an Alternativen. Aber es gibt sie, auch jenseits des Verzichts: Statt Google gibt es DuckDuckGo, statt WhatsApp Threema oder Signal, statt Amazon diverse andere Online-Shops und den stationären Handel.
Wir könnten viele Internetseiten auf funktionale Cookies beschränken, statt mit einem Klick alle zuzulassen und damit unsere Ausforschung erst zu ermöglichen. Wir könnten auch im Privatmodus surfen, jeder Browser hat eine entsprechende Funktion, die unsere gröbsten Spuren verwischt.

Ignoranz, Faulheit und Eitelkeit verhindern Selbstschutz

Wir nutzen diese Alternativen aber nicht. Und zwar, weil wir zu faul sind. Das ist der zweite Grund für den Verlust unserer Selbstbestimmung. Das Tagebuch können wir im Schrank verschließen, im digitalen Zeitalter ist Selbstschutz komplizierter. Es ist zu mühsam, sich in einer neuen App zurechtzufinden. Und Google ist (und klingt) eleganter als die Konkurrenz. Doch es liegt an uns, die Alternativen groß zu machen! Vor Facebook gab es MySpace, vor Google Lycos, dazwischen beides. Wir entschieden, wer gewinnt. Das kann sich wiederholen.

Selbstinitiative statt warten auf gesetzliche Regelungen

Dazu müssen wir jedoch mehr aus uns herausprügeln als nur den Schweinehund. Schützend vor ihm steht nämlich unsere Eitelkeit. Sie ist der dritte Grund für den Kontrollverlust. Niemand gesteht sich gerne ein, dass Facebook auf der Grundlage von ein paar Likes seine Überzeugungen beeinflusst. Oder dass er nicht aus freien Stücken auf ein Youtube-Video klickt, sondern sich von Triggerwörtern oder -bildern dazu verleiten lässt. Oder dass personalisierte Werbung seinen Bedarf nicht befriedigt, sondern erst schafft.
Doch wer noch nie auf den Knochen klickte, den ihm ein Algorithmus vor den Cursor schmiss, der werfe die erste Tastatur. Jeder ist manipulierbar. Wir könnten so viel tun, um unsere Würde auch im digitalen Raum zu wahren. Stattdessen rufen wir nach Regulierung. Sie ist nötig, keine Frage. Doch bis sie wirklich greift, müssen wir uns selber schützen. Indem wir uns schlaumachen, aus dem Trott herauskommen und uns eingestehen, dass wir verletzlich sind.

Bijan Moini ist Rechtsanwalt und Politologe und koordiniert seit 2018 Verfassungsklagen der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Er studierte in München und Paris und promovierte bei Hans-Jürgen Papier. Nach dem Referendariat in Berlin und Hongkong arbeitete er drei Jahre für eine Wirtschaftskanzlei. Dann kündigte er, um ein Buch zu schreiben. 2019 erschien bei Atrium sein inzwischen mehrfach preisgekrönter Roman "Der Würfel". Am 1. September 2021 erscheint bei Hoffmann und Campe sein neues Buch "Unser gutes Recht. Was hinter den Gesetzen steckt".

© Thomas Schaeffer
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