Zehn Jahre Tinder

Wisch und weg

17:11 Minuten
Ein Tisch mit einem Magazin, einem Stift, einer Briller und einem Smartphone auf dem Tinder zu sehen ist.
Gehört für viele zum Frühstück wie die Zeitung oder der Kaffee: Online-Dating mit Apps wie Tinder. © IMAGO / NurPhoto / IMAGO / Nikolas Kokovlis
Andrea Newerla im Gespräch mit Vera Linß und Tim Wiese |
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Eine Wischbewegung auf dem Smartphone und schon kann das Profilfoto der Anfang vom Ende der Partnersuche sein. Seit zehn Jahren gibt es Tinder und die App hat für eine Revolution auf dem Dating-Markt gesorgt. Was macht das mit der Gesellschaft?
"Man kann schon fast sagen: Flirt-Apps dominieren das Dating in der westlichen Welt", sagt Henning Wiechers von "Singlebörsen-Vergleich". Seit knapp 20 Jahren beobachtet er die Szene, die sich immer weiter ausdifferenziert hat. Insgesamt gibt es drei große Segmente.
Die klassischen Kontaktanzeigen, bei denen man ein Inserat im Netz hat, auf das sich alle Interessierten melden können. Dann gibt es sogenannte Matchmaking-Anbieter, die bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel Akademiker, miteinander vernetzen. Tinder und seine Konkurrenten wie Bumble und Lovoo fallen in das dritte Segment – Online-Dating-Apps, bei denen man erst miteinander schreibt, wenn beide Personen Interesse anmelden. Dort sind laut Wiechers vor allem Singles in ihren Zwanzigern unterwegs.

Algorithmus der Liebe

Die Online-Dating Apps versuchen den Erfolg auf Dates durch Algorithmen und andere Techniken zu erhöhen, erklärt die Wirtschaftspsychologin Wera Aretz von der Fresenius Hochschule Köln: 
"Dieser Algorithmus wird auf Basis sehr unterschiedlicher Daten gefüttert. Also das Verhalten auf der Plattform und aber auch Daten, die aufgrund von Selbstauskünften entstehen. Und das können natürlich so etwas sein wie Fotos oder Angaben, die man auf dem Profil gemacht hat. Interessen, Hobbys, Lebensstil, Werte und so weiter."
Der größte Anbieter auf dem Markt ist die Match-Group, der Portale wie Tinder, Hinge, OK Cupid und Neu.de gehören. Platz Zwei geht an den Konkurrenten Bumble, dem außerdem die App Badoo gehört.

Neue Beziehungsformen entdecken

Für die Soziologin Andrea Newerla haben diese Apps die Dating-Welt geradezu revolutioniert. Gerade, weil sie nicht nur für die Suche nach der klassischen romantischen Zweierbeziehung, sondern auch für andere intime Beziehungsformen genutzt werden können. Diese erhalten durch Tinder und Co. eine ganz neue Sichtbarkeit. Gleichzeitig kann das jedoch auch zu neuen Problemen führen, wenn beide Seiten ihre Intentionen und Wünsche an eine Beziehung nicht von vornherein deutlich kommunizieren.
In vielen Apps ist es deshalb mittlerweile möglich, in seinem Profil anzugeben, ob man an eine Langzeitbeziehung, kurzen romantischen Eskapaden, Freundschaft oder auch einfach nur Sex interessiert ist.

Dates als Massenware

Newerla glaubt, dass das zu einem anderen gesellschaftlichen Umgang mit sogenannten Seitensprüngen führt:
"Wenn wir Statistiken angucken, dann geht jede dritte Frau und jeder vierte Mann in romantischen Liebesbeziehungen irgendwann fremd. Das ist ein Fakt in unserer Gesellschaft. Und ich sehe da eine Entwicklung in Richtung: Wollen wir nicht einfach unsere Beziehung öffnen? Wollen wir uns nicht sexuelle Abenteuer mit anderen erlauben? Und ich glaube, dass das auch damit zusammenhängt, dass es sichtbar geworden ist durch Dating-Apps."
Einerseits bieten die Dating-Plattformen also ein großes Möglichkeitsfeld, verschiedene Vorstellungen und Konzepte auszuleben. Doch die einfache Bedienbarkeit und Unverbindlichkeit der Apps hat, kann auch zu frustrierenden Erlebnissen führen, sagt Newerla:
"Weil Menschen nicht sich genug Zeit nehmen, sich kennenzulernen. Weil gerade das Dating-App-basierte Dating sehr schnell ist und Menschen nicht so konzentriert eine Person Daten. Manche betreiben Parallel-Dating. Manche organisieren sich direkt auf Toilette ein neues Date, weil es langweilig ist und so weiter."

Dating im Kapitalismus

Hinter Apps wie Tinder und Bumble stehen Unternehmen, die Geld verdienen wollen. Dieses Profitdenken spiegelt sich auch im Design der Apps wieder, so Newerla. Das Swipe-Prinzip, mit dem man sich durch potenzielle Partnerinnen und Partner wischt, enthält Gamification-Komponenten und nach jedem erfolgreichen Match fühlt man Anerkennung – beides Elemente mit großen Suchtfaktoren. 
Gleichzeitig stehen die Apps mit der Idee „Aus Liebe Geld zu machen“ nicht alleine da, gibt Newerla zu bedenken:
"Wenn man in die Geschichte des Datings guckt, gab es ähnliche Entwicklungen, zum Beispiel mit Bars vor hundert Jahren. In einer kapitalistischen Gesellschaft sind diese Räume auch kommerzialisiert."
Genau wie Bars ursprünglich Single-Treffs waren, aber sich irgendwann als Ort des sozialen Miteinanders etablierten, könnten sich auch Dating-Apps ändern. Eine Entwicklung, deren Grundzüge sich bereits jetzt erkennen lassen, weil immer mehr Menschen nicht nur romantische oder sexuelle Beziehungen auf den Plattformen suchen, sondern sie auch für das Finden neuer Freunde nutzen. Am Ende könnten Tinder und Co. also die digitale Version von Bars werden: ein Ort des sozialen Miteinanders.
(Dörte Hinrichs / hte)

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