Wenn das Volk mal Theater macht
"Ein Quell von Lumperei und Freiheit" nannte ihn einst der Philosoph Ernst Bloch: den "Datterich". Der "Datterich" ist Geschichtenerzähler und die Schöpfung eines Dichters. Vor allem aber ist der "Datterich" ein Kultstück, das nun eine neue Blüte erlebt.
- "Dürft ich ihne froge, mit wem ich die Ehre hab?"
- "Mein Name ist Datterich."
- "Mein Name ist Datterich.“
- "Mein Name ist Datterich."
- "Mein Name ist Datterich.“
Auf Darmstädter Straßen bekommen Menschen den Text des Theaterstücks "Datterich“ von Ernst Elias Niebergall in die Hand gedrückt. Das Stück ist in der Darmstädter Mundart geschrieben. Das Kamerateam bittet die Passanten, daraus etwas vorzulesen. So mancher ist beim ersten Blick auf den Text irritiert:
- "Darmstädterisch auch noch. Das ist nicht mal Frankfurterisch."
- "Ja, eben, das ist der Datterich."
- "Sollen wir es mal versuchen, jetzt?"
- "Ja, wir können es auch ein paarmal wiederholen."
- "Ein Moment, das Mikro aus dem Bild raus“
Die Kamera läuft. Die Menschen beginnen, auf der Straße Szenen aus dem Darmstädter Mundart-Stück zu lesen.
- "Ja, eben, das ist der Datterich."
- "Sollen wir es mal versuchen, jetzt?"
- "Ja, wir können es auch ein paarmal wiederholen."
- "Ein Moment, das Mikro aus dem Bild raus“
Die Kamera läuft. Die Menschen beginnen, auf der Straße Szenen aus dem Darmstädter Mundart-Stück zu lesen.
- "Mein Name ist Datterich."
- "Früher hatt´ ich eine Stelle im Finanzwesen.“
- "Früher hatt´ ich eine Stelle im Finanzwesen.“
Der "Datterich“ ist ein gerissener Schnorrer. Ein versoffener ehemaliger Finanzbeamter des Großherzogtums Hessen-Darmstadt in der Biedermeier-Zeit. Er erzählt in den Weinlokalen in Darmstadt und Umgebung Geschichten, um sich damit den nächsten Schoppen Rotwein zu beschaffen, ohne zu bezahlen. Denn die Lebenskunst beginnt für den "Datterich“ dort, wo man den Genuss findet, auch wenn man ihn sich eigentlich nicht leisten kann.
- "Bezahlen, wenn man Geld hat...."
- "...das ist keine Kunst."
- "Aber bezahlen, wenn man keins hat..."
- "...das ist die Kunst, mein lieber Mann."
- "Die muss ich erst noch lernen.“
- "...das ist keine Kunst."
- "Aber bezahlen, wenn man keins hat..."
- "...das ist die Kunst, mein lieber Mann."
- "Die muss ich erst noch lernen.“
"Das ist glaube ich seine große Kunst, dass er die Menschen rund um sich rum bei Laune hält. Auch wenn sie eine Stinkwut auf ihn haben, am Ende gewinnt er doch immer wieder. Sei es ein Lächeln oder sei es einen Schoppen“, sagt Piet Tränklein, der den südhessischen "Datterich“ ins Schwäbische übersetzt hat. Während der "langen Nacht des Datterich" am 13. Juni wird Tränklein das Stück gemeinsam mit Klaus Kraft im schwäbisch-hessischen Dialog präsentieren:"Zahle, wenn man Geld hat, dasch ist koi Kunscht, aber zahlen, wenn man koins hat, desch isch a Kunscht."
In fünfzig Jahren sind wir alle Türken
Die kurzen Videofilme mit den Szenen aus dem "Datterich" sind ein Projekt der "Datterologischen Gesellschaft". Das ist ein Verein, der sich seit 2012 zum Ziel gesetzt hat – so wörtlich – die „wissenschaftliche und künstlerische, systematische und ironische Erforschung des Phänomens Datterich“ zu betreiben. Jonas Zipf, Schauspieldirektor am Staatstheater Darmstadt, ist Mitglied der Datterologischen Gesellschaft.
Die Wissenschaft vom Datterich – das ist die Datterologie – die ist mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Und die heben wir jetzt die letzten drei Jahre betrieben. Und das erste Ergebnis ist dieses Festival.
Veli und Erkan Taspinar steuern ihr Saz-Spiel und ihren Gesang zum Datterich-Festival bei. Sie musizieren in einem nagelneuen, deutsch-türkischen Theaterstück. Die aktuelle Gesellschaftssatire greift ein historisches Thema des Original- "Datterich“ auf und spinnt den Faden weiter. Beim fröhlichen Zechen in den Darmstädter Biedermeier- Kneipen zu Beginn der 1840er Jahre unterhält man sich nämlich auch über die Frage, ob es dem Osmanischen Reich bald gelingen wird, Wien zu erobern und sich im Abendland festzusetzen. Man witzelt darüber, dass in 50 Jahren möglicherweise auch die Südhessen Türken sein werden und man dann ja leider keinen Wein mehr trinken dürfe.
- "In fuffzig Jahr sind wer alle Derke."
- "In fuffzig Jahr sind wir alle Derke.“
- "In fuffzig Jahr sind wir alle Derke.“
In fünfzig Jahren sind wir alle Türken - die Darmstädter Autorin Gaby Zillich hat das Thema für ihre aktuelle Satire zum Datterich-Festival aufgenommen. Reichlich deutsch-türkische Klischees und Ressentiments werden durch den Kakao gezogen. Mit einer türkisch-deutsch-dänischen Laiengruppe übt Zillich das Stück in einem Darmstädter Migrantenzentrum ein:
"Und wir orientieren und an der Historie. Das bedeutet, wir marschieren – also die türkische Gesellschaft marschiert im Janitscharenschritt, im Janitscharenmarsch – wir üben es mit Musik gleich, jetzt erstmal trocken, den Schritt – ein nach Europa.. So beginnt diese Szene.“
Die Multi-Kulti-Satire wird im Rahmen des "Datterich-Festivals“ am 13. Juni Premiere haben. Rund sechzig Institutionen und Bürgergruppen der Stadt organisieren an diesem Tag Aufführungen, Lesungen und Musikveranstaltungen. Im Zentrum steht jedoch der Original-"Datterich“ von Niebergall: "Es ist eine tolle Komödie. Und das ist auch etwas, was ganz wichtig ist, auch ein treibender Punkt bei dem Festival zu sagen: Dieses tolle Stück gehört weiter in die Stadt getragen und publiziert und gelesen und drüber gelacht und aufgeführt.“
Sagt Silke Peters, Co-Kuratorin des Datterich-Festivals. Das bereits erwähnte Videoprojekt ist dabei ein Weg, das Stück aus dem Vormärz wieder ins kollektive Bewusstsein der Darmstädter zu rücken. Gösta Gantner, einer der Initiatoren des Filmprojektes: "Was für uns ganz zentral ist bei der Beschäftigung mit dem Stück ist natürlich der Dialekt. Der ist sperrisch. Entschuldigung, jetzt falle ich selbst schon in den Dialekt, der ist sperrig. (lachen) Der ist sperrig. Der ist für viele schwer verständlich und insbesondere die jüngeren Generationen haben keinen positiven Bezug oftmals mehr zu ihm. Und insofern haben wir gesagt, wenn wir dieses Stück in gewisser Weise wieder zugänglich machen wollen, müssen wir es selbst lesen lassen. Denn in der lesenden Auseinandersetzung mit dem Datterich entfaltet er erst seine ganze Kraft.“
- "Jawohl."
- "Jawohl."
- "Die Morgenstunde hat Gold im Munde."
- "Die Morgenstunde hat Gold im Munde."
- "Jawohl."
- "Die Morgenstunde hat Gold im Munde."
- "Die Morgenstunde hat Gold im Munde."
"Wir haben am Ende wahrscheinlich zwölf verschiedene Szenen aus diesem Stück auf Video, die jeweils etwa von zehn bis 15 Leuten gelesen werden und dann im Sinne einer kleinen Collage zusammengeschnitten werden. Die wichtigsten Szenen, viele Menschen, die man kennt in dieser Stadt, aber auch viele Menschen, die wir auf der Straße angesprochen haben, ihnen das Buch in die Hand gedrückt haben und dann geht es los. Und dann sieht man, was solch eine Mundartkomödie wie der Datterich kann." Die zentrale Figur in Niebergalls Theaterstück soll durch eine Person inspiriert worden sein, die es in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in den Darmstädter Kneipen angeblich wirklich gegeben hat. Peter Benz, ehemaliger Darmstädter Oberbürgermeister und Kenner der Literatur des Vormärz: "Dass Niebergall diesen Finanzbeamten genommen hat, der wohl Alkoholiker gewesen ist und sich dann durchs Leben geschlagen hat – später soll er ja wieder eingestellt worden sein - weist natürlich darauf hin, dass er sich ganz bewusst einen ehemaligen Beamten genommen hat des Großherzogtums. Und damit auch diese Rolle der Beamten lächerlich gemacht hat, in dem er diesen Beamten zum Outcast werden ließ."
Ernst Elias Niebergall, der Schöpfer der Außenseiterfigur „Datterich“, hatte zeitweise Studienverbot an der Uni Gießen, weil er der hessischen Obrigkeit als politisch gefährlich galt. Derselbe studentische Polizeispitzel, der Georg Büchner als Aufrührer und Verfasser des „Hessischen Landboten“ an die Polizei meldete, schwärzte auch Niebergall Ende der 1830er Jahre an, weil dieser zu einer verbotenen republikanischen Studentenverbindung gehörte:
Es gibt einen studentischen Verräter, einen Kollegen gewissermaßen, der den Büchner verraten hat, Klemm hieß der. Und der wohl auch Niebergall wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Burschenschaft angehängt hatte. Das ist aus den Untersuchungsakten hervorgegangen, wonach eben Klemm der Verräter beider war.
Die hessischen Formen von "Schnell" und "Gaul" sorgen für Verwirrung
In Büchners Komödie "Leonce und Lena“ mit den fiktiven Königreichen Pipi und Popo sowie im "Datterich“ und in einem zweiten Lustspiel Niebergalls zeigen sich für den Literaturexperten Peter Benz sprachliche und politische Parallelen. Es geht jeweils um Satire, die sich gegen die politische Enge der Biedermeier-Zeit im Großherzogtum Hessen-Darmstadt richtet: "Bei dem einen hat sich dieser Widerspruchsgeist in seinen Dramen gezeigt, auch in „Leonce und Lena“ auf diese humorvoll-ironische Weise. Und bei Niebergall hat sich das gezeigt in seinen beiden Lustspielen. Also beide haben – kann man so formulieren, die gleiche Richtung. Diese Darmstädter Gesellschaft aufs Korn zu nehmen.“
- "So isses, mit allem."
- "So isses, mit allem."
- "So isses, mit allem."
- "So isses, mit allem."
- "So isses, mit allem."
Zu Beginn der 1840er Jahre rüsten die europäischen Fürsten kräftig auf. Nicht nur, weil man mal wieder die Türken vor Wien fürchtet, sondern mehr noch den direkten Nachbarn. Im Falle der deutschen Kleinstaaten insbesondere Frankreich- auch die dortige Kavallerie, an der man aber auch gerne verdient. Darüber spotten die Figuren im „Datterich“. Die Franzosen kaufen Pferde – im südhessischen Idiom sind das die "Geil“ - im hessischen Vogelsberg. Der König von Württemberg schickt wiederum Leute per "Express" nach Persien, um dort Pferde zu kaufen. Absurdes Rüstungstheater. In der Darmstädter Mundart klingt das dann so:
- "Ferner – alles riest."
- "Die Franzosen haben Geil im Vogelsberg gekaaft."
-"Und der Keenig von Würtembersch schickt express Leit nach Persie, das se Geil hole.“
- "Die Franzosen haben Geil im Vogelsberg gekaaft."
-"Und der Keenig von Würtembersch schickt express Leit nach Persie, das se Geil hole.“
Immer wieder tauchen in den Dialogen der Komödie Anspielungen auf die muffigen politischen Verhältnisse kurz vor der Revolution von 1848 auf. Man macht sich etwa lustig über Geldsammlungen für das nationalistische Hermannsdenkmal, das im Teutoburger Wald errichtet werden soll. Mitte des 19. Jahrhunderts das größte Denkmal-Projekt der Welt. Damit soll der Sieg der Germanen gegen die Römer in der sogenannten „Schlacht im Teutoburger Wald“ vor 2000 Jahren gegen den „Erzfeind“ Frankreich instrumentalisiert werden. Auch der Darmstädter Großherzog spendet für das geplante Riesen-Denkmal, das später auch die Nazis zu einer ihrer Kultstätten machen.
- "So isses, mit allem."
- "So isses, mit allem."
- "So isses, mit allem."
- "So isses, mit allem."
- "So isses, mit allem."
Jonas Zipf, Schauspieldirektor am Staatstheater Darmstadt und einer der Kuratoren des „Datterich-Festivals“ vom 4. bis zum 14 Juni:
"Volkstheater heißt immer, dass es auch subversiv ist, heißt immer, dass es auch politisch wird. Heißt immer auch, dass Themen benannt werden, die auch wehtun dürfen. Dass Finger auf Wunden gelegt werden, dass es nicht nur schenkelklopfend und lustig zugeht. Und das steckt auch in diesem Stück, auch in dieser Tradition, auch in Südhessen, die aber auch verloren geht. Das kennt man heute allenfalls noch aus Bayern, wenn man an Gerhard Polt und Biermösl Blosn denkt oder manchmal in Österreich. Das subversive Element, das kritische, das auch im Volkstheater steckt, ist hier in Hessen ein bisschen verloren gegangen. Mit Mundart verbindet man heute bestenfalls Comedy. Und das inhaltlich politische, das ist uns auch ein Anliegen, dass das wieder herausgekitzelt wird.“
- "Aha, die Morgenvisite."
- "Aha."
- "Aha, die Morgenvisite."
- "Herein."
- "Schönen guten Morgen. Wie ist das Befinden?"
- "Schlecht, sehr schlecht.“
- "Aha."
- "Aha, die Morgenvisite."
- "Herein."
- "Schönen guten Morgen. Wie ist das Befinden?"
- "Schlecht, sehr schlecht.“
Kurator Jonas Zipf will mit dem „Datterich-Festival“ auch verhindern, dass das Stück verstaubt: "Der Datterich ist mehr zu einem Nostalgie-Träger geworden, anstatt dass er noch lebendige Stadtkultur wäre. Und wir finden, es wäre an der Zeit, diese Tradition, dieses Kulturgut neu zu beleben und breiter aufzustellen und auch Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen, die in den letzten Jahren nicht mehr so viel mit diesem tollen Stück zu tun hatten.“
Das gelingt eindrucksvoll vor allem mit der „Langen Nacht des Datterich“ am 13. Juni. Rund 60 Bürgergruppen werden sich an diesem Tag mit Aktionen rund um das Niebergall – Stück beteiligen. Piet Tränklein gehört mit seiner schwäbischen Fassung des „Datterich“ dazu:
"Also im Datterich gibt es einen Rambass, das ist ein fürchterlich sauer Wein, den bezeichne ich auf Schwäbisch dann als saumäßigen Rachenputzer. Dann wird der Rotwein aus Assmannshausen, der Assmannshäuser natürlich zum Trollinger. Das Kanapeé ist das Cheselong im Schwäbischen. Der Kopf wird zum Meggel, das Maul wird im Schwäbischen zur Gosch oder zum Rüssel.“
Der ehemalige Darmstädter Oberbürgermeister Peter Benz gibt zu: Er war am Anfang skeptisch, ob das Konzept des Datterich-Festivals aufgeht. Dass sich am Ende rund sechzig Bürgergruppen daran beteiligen, einem Mundart-Stück aus dem 19. Jahrhundert neues Leben einzuhauchen, hat Benz überrascht. Er erinnert daran, dass der „Datterich“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast vergessen war. Es dauert bis zum 1. Weltkrieg, bis das Stück von 1841 wiederentdeckt wird: "Erst 1915 erscheint der Datterich auf der Darmstädter Bühne. Und legt da gleich einen Siegeszug hin. Er wird in Berlin gezeigt. In Berlin! Mit hessischem Dialekt. Was eine grandiose Geschichte gewesen ist, worüber dann Alfred Kerr dann geschrieben hat und begeistert gewesen ist."
Alfred Kerr. Der Berliner "Tagesspiegel“ schrieb über ihn: "Vor 1933 gab es in Deutschland kaum einen an Theater und Literatur Interessierten, der den Namen Alfred Kerr nicht kannte. Kerr – viel gelesen, viel gerühmt und viel befeindet – war der bekannteste, der sprachmächtigste von allen, die über das Theater, über dramatische Literatur und Fragen des politischen Alltags schrieben.18 Jahre lang erschienen seine Rezensionen und Kommentare im Berliner 'Tag', von 1919 bis 1933 dann im „Berliner Tageblatt“. Die von Theodor Fontane eingeleitete Entwicklung Berlins zur Hauptstadt der Kritik erreichte mit ihm ihren Höhepunkt."
Und dieser Kerr ist vom Darmstädter "Datterich" begeistert. Peter Benz: "Und dieser Datterich von Niebergall, der stößt in eine Zeit, die durch den Expressionismus und durch den geistigen Aufbruch schon während des 1. Weltkrieges gekennzeichnet war. Nicht umsonst kümmert sich sofort Edschmidt darum.“
Kasimir Edschmidt. Ein expressionistischer Schriftsteller, dessen Bücher die Nazis verbrannten. Doch der „Datterich“ hat noch weitere Verehrer, weiß Peter Benz: "Nicht umsonst Schiebelhuth. Nicht umsonst Karls Wolfskehl, der ja anschließend von den Nazis vertrieben worden ist.“
Hans Schiebelhuth. Darmstädter Übersetzer der Romane des US-Schriftstellers Thomas Wolfe. Karl Wolfskehl, Mitglied des George-Kreises, der vor den Nazis nach Amerika floh, wo Schiebelhuth schon war.
- "Und eben auch Ernst Bloch.“
- "Er ist ein Quell von Lumperei und Freiheit, der durch lauter Muff fließt“, schreibt Ernst Bloch über den "Datterich“.
- "Und nicht umsonst wurde der „Datterich“ in das Lustspiel-Lexikon Anfang der 20er Jahre aufgenommen. (…) Das lag in der Luft. Diese Kritik an der bürgerlichen, damals spießbürgerlichen Gesellschaft lag ja auch nach dem 1. Weltkrieg in der Luft.“
- "Er ist ein Quell von Lumperei und Freiheit, der durch lauter Muff fließt“, schreibt Ernst Bloch über den "Datterich“.
- "Und nicht umsonst wurde der „Datterich“ in das Lustspiel-Lexikon Anfang der 20er Jahre aufgenommen. (…) Das lag in der Luft. Diese Kritik an der bürgerlichen, damals spießbürgerlichen Gesellschaft lag ja auch nach dem 1. Weltkrieg in der Luft.“
Darmstadt – das Griechenland Hessens
Der "Datterich“ ist der Anti-Spießer. Einer, der sich auch von seinen finanziellen Schulden nicht die Lebenslust nehmen lässt. Das Thema "Schulden“ ist ein Top-Thema des Datterich-Festivals. Jonas Zipf, Schauspieldirektor des Darmstädter Staatstheaters: "Es geht wirklich darum (…) eine relativ globale Frage an dieses Thema zu stellen. Also: Wieviel hängt das Thema Schulden mit dem Thema Schuld zusammen. Und das nicht nur etymologisch. Das ist eine ganz einfache Frage, die sich mit dem Datterich verknüpft: Warum gelingt es manchen Leuten, Geschichten zu erzählen und um diesen Punkt des Zurückzahlens der Schulden herum zu kommen. Und da kommen wir auch auf die Ebene von ganzen Staaten oder systemrelevanten Unternehmen und Banken. Und anderen gelingt das nicht, die ihre Geschichte nicht so gut erzählen können.“
Klaus Kraft erklärt: "Er ist halt aalglatt. Und es ist schwer, ihn zu fassen. Eben durch seinen Charme, den er da an den Tag legt. Das merkt man auch in anderen Szenen, wo er mit der Bedienung da antändelt, mit dem Lisettche."
Jonas Zipf sieht in der Figur des ein wenig aus der Bahn geratenen Darmstädter Finanzbeamten der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert in gewisser Weise einen Vorläufer des heutigen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis.
"Natürlich gibt es solche Leute und Darmstadt wimmelt nur so von solchen Leuten. Darmstadt hat eine gewisse lokale Tradition des Vagantentums. Michael von zur Mühlen sagt bei seinem Projekt „Schulden“: Darmstadt, das ist das Griechenland Hessens. Die verschuldetste Kommune. Obwohl ja eigentlich Geld da ist, es ist ja keine arme Stadt – auch da gibt es eine Parallele.“
Darmstadt – das Griechenland Hessens. Mag sein. Doch man trifft dort auch deutsch-türkische "Datteriche", die Burcu heißen, 16 Jahre alt sind und "null Bock“ auf Schule haben. Deshalb kriegen sie Stress mit ihren Eltern, wie einst der Original-"Datterich" mit der Obrigkeit. So will es Gabi Zillich in ihrer Gesellschaftssatire
(Mutter) "Was willst Du dann?“
Burcu: "Ich will meine Ruhe haben. Niemanden, der mir sagt, was ich zu tun oder zu lassen habe. Ich will leben, wie es mir gefällt. Dieses ganze kapitalistische System ist nur dazu da, Menschen auszubeuten. Damit die sich das gefallen lassen, erfinden sie angebliche moralische Gründe und gehen dabei aber total unmoralisch vor.“
Vater: "Dieses sogenannte kapitalistische System hat dich aber bis jetzt ganz gut ernährt. Oder?“
Mutter: "Lass mal. Burcu, hast Du den irgendeinen Alternativplan?“
Mutter: "Lass mal. Burcu, hast Du den irgendeinen Alternativplan?“
Die rebellische Burcu hat durchaus Ideen – welche, kann man sich am 13. Juni beim "Datterich-Festival“ in Darmstadt ansehen. Wie so vieles mehr, wenn das Volk mal Theater macht, gibt es einiges zu entdecken. Versprochen.
"Der Darmstädter Geist ist tatsächlich subversiv und selbstironisch. Das gehört auch zu dieser Stadt, das macht sie lebendig.“
Und was die Kritik an den Spießbürgern angeht – selbstverständlich ist nur die Vergangenheit gemeint. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.