Dauerdaddeln war gestern

Von Michael Engel · 09.08.2010
Sport und gemeinsames Kochen statt Online-Spiele: Eine Kinderklinik in Hannover bietet als erstes Krankenhaus in Deutschland eine stationäre Therapie gegen Computerabhängigkeit an.
Die Station heißt "Teen Spirit Island" und sieht auch so aus – wie eine inspirierende Insel. Der separate Flachbau ist knallbunt. Mit Graffiti versteht sich. Ein hoher Zaun versperrt den Blick für Neugierige.

"Es ist eine offene Abteilung, eine offene Station. Wir haben einen Zaun darum, weil wir wissen müssen, wer auf dem Gelände ist und die Jugendlichen nicht einfach frei herauskommen sollen, sondern uns Bescheid sagen sollen, wenn sie die Station verlassen wollen."

Wenn Dr. Christoph Möller auf dem Weg zu "Teen Spirit Island" ist, kommt er an einem Gartenteich vorbei. Mit Goldfischen, Springbrunnen, dazu ein Minipark zum Meditieren. Ein paar Schritte noch, dann steht der Kinderpsychologe in der Eingangstür:

Im Foyer dröhnt Musik vom MP3-Player. Sessel stehen herum, mitten drin ein Billardtisch zum Zeitvertreib. Gerade schlurft "Donnie" herein – voll bepackt mit Einkaufstüten. Der junge Mann ist einer von vier Patienten, die derzeit wegen einer "Computersucht" behandelt werden:

"Wir waren beim 'Lidl', und dann haben wir vorher halt das Rezept rausgesucht und alles davon eingekauft. Was haben wir denn alles eingekauft? Tomaten, Butter, Parmesan, Gemüse, Schinken und die Lasagneblätter oder Nudelblätter – wie sie heißen – ja ..."

Einmal in der Woche ist Kochen angesagt: Heute gibt es "Lasagne mit Gemüse", danach "frittierte Griesklößchen im Kokosmantel mit Erdbeeren". Doch es geht nicht allein ums Kochen.

Klinikmitarbeiterin Gunda Lauckner: "... und sie lernen auch ein soziales Miteinander. Also wie wird ein Tisch gedeckt? Was für Tischgespräche wird’s geben? Die Erwachsenen fragen dann immer: Oh, wer hat denn das gemacht? Und das schmeckt besonders gut oder was auch immer . Ja also, die bekommen darüber auch viel Zuwendung und Lob."

Zuwendung und Lob – genau das waren Dinge, die viele Jugendliche daheim nicht kannten, erklärt Dr. Christoph Möller – Facharzt für Kinder und Jugendpsychiatrie

"Und diese Jugendlichen erleben manchmal im Internet, dass sie plötzlich in Chatforen Zugang zu anderen Jugendlichen oder Menschen haben, dass sie beim Onlinespiel plötzlich erfolgreich sind, ein wichtiger Teil einer Gilde sind, ohne sie läuft nichts. Und somit ist für manche Jugendliche das virtuelle Leben reizvoller als das reale Leben."

...am Ende waren es 14 Stunden täglich, die Jannik vor dem Computer saß. Ein bisschen YouTube, Chatten, Computerspiele – eben alles, was das Internet hergab. Mit schwerwiegenden Folgen: Die Fachoberschule in Uelzen wurde "gecancelt". Freunde wimmelte der er ab.
"Also, es fängt an - meiner Meinung nach - wenn man anfängt, das reale Le-ben zu meiden, indem man sich an den PC setzt, um nicht in der realen Welt zu sein. Und wenn man anfängt, irgendwelche Verabredungen abzusagen, weil man keine Lust hat, sich nach draußen zu bewegen. Ich würde sagen, dann fängt es an gefährlich zu werden."

Mittlerweile kennt er die Gefahr, die vom Computer ausgeht. Durch Gruppengespräche. Einzeltherapie. Heute weiß er wieder, dass es jenseits des Computers noch eine Welt gibt, die besser ist als die virtuelle. Dr. Christoph Möller über die erfolgreiche Therapie:

"Nun der Jugendliche lernt morgens überhaupt erst mal aufzustehen, sich zu waschen, zu frühstücken. Die Jugendlichen gehen morgens joggen, also sie kommen in Bewegung. Es gibt vielfältige Angebote wie zum Beispiel das Werkprojekt, wo man mit den Händen etwas sinnvolles tut und im wahrsten Sinne des Wortes begreift, neben vielen gruppentherapeutischen Angeboten, wo der Jugendliche im Miteinander sich auseinandersetzt, sich mit seiner problematischen Familiengeschichte auseinandersetzt, sich aber auch im Miteinander als bedeutungsvoll und wertvoll erleben kann."

Die Chancen für einen erfolgreichen Verlauf der Behandlung beziffert der Psychotherapeut mit 80 Prozent. Langzeitdaten gibt es allerdings noch keine. Jannik jedenfalls hat "Teen Spirit Island" gut getan.

"Ich habe in den letzten vier Monaten sehr, sehr viel Sport gemacht. Ich habe, als ich computerabhängig war, und auch davor schon habe ich sehr lange keinen Sport mehr gemacht. Und jetzt hier endlich mal wieder angefangen, gesehen, dass Sport richtig Spaß macht. Ich bin endlich mal wieder in meinem Leben ehrgeizig, ich bin irgendwie aktiver geworden."

Seit vier Monaten lebt der junge Mann in der Klinik. Zwei Monate noch, dann kann der 18-Jährige die einzigartige Station verlassen. An den Rechner darf er schon. Der Computer steht sogar in seinem Zimmer.

"Es ist schwierig. Man hat ständig Angst abzurutschen irgendwie. Nur dummerweise leben wir in einer Welt, in der es nicht mehr ohne Computer geht. Ich muss Bewerbungen am PC schreiben, ich muss mein Internet-Banking weitermachen, ich muss meine eMails kontrollieren, ich bestelle noch Sachen über’s Internet. Ganz ohne geht’s halt nicht, und die totale PC-Abstinenz ist auch nicht das Ziel der Therapie, sondern der geregelte Umgang."

Links bei dradio.de:

Präventionskampagne gegen Computer-Abhängigkeit

Therapie gehen Internet- und Computerspielsucht