Khouloud Daibes, diplomatische Vertreterin der Palästinenser in Berlin
Shimon Stein, ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland, Senior Fellow am Institut für Nationale Sicherheit in Tel Aviv
Andreas Nick, CDU-MdB, Nahost-Experte und Mitglied im Auswärtigen
Ausschuss des Bundestages
Peter Lintl, Nahost-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik
Der Nahe Osten vor einer neuen (Un-)Ordnung?
53:33 Minuten
Die angekündigte israelische Annexion von Teilen des palästinensischen Gebiets blieb aus. Zunächst. Die UNO warnt vor möglichen "Schockwellen", die für Jahrzehnte andauern würden. Deutschland hat eine Vermittlerrolle - keine leichte Aufgabe.
Die Bundesregierung befindet sich wegen des zufälligen Zusammenfallens der turnusmäßigen halbjährigen EU-Präsidentschaft mit dem monatlich wechselnden Vorsitz des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in einer Schlüsselrolle beim Nahostkonflikt. Es ist keine leichte Rolle.
Einerseits hat die Lage in Nahost vor dem Hintergrund der Coronakrise nicht allerhöchste Priorität. Gleichzeitig ist die Situation nicht zuletzt wegen der Annexionspläne Israels wieder einmal explosiv.
Sollte Israel die beschlossene Annexion von 30 Prozent des Westjordanlandes umsetzen, dürfte das sowohl unter den EU-Ländern als auch im UNO-Sicherheitsrat erhebliche Konflikte nach sich ziehen. Berlin könnte sich aufgrund seiner Position durch den Doppelvorsitz nicht unter dem Radar bewegen. Deutschland müsste sich stattdessen offensiv um den Ausgleich sehr unterschiedlicher Interessen bemühen.
Deutschland in der Zwickmühle
Dabei befindet sich Deutschland selbst in einer Zwickmühle: Es fühlt sich einerseits historisch Israel besonders verpflichtet. Andererseits verstieße die angekündigte Annexion von palästinensischen Gebieten aus deutscher Sicht gegen das Völkerrecht, dem man sich ebenfalls verpflichtet fühlt.
Sanktionen jedenfalls gegen Israel schlössen sich aus deutscher Sicht aus, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Nick, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages.
Allerdings würde eine Annexion durchaus "negative Auswirkungen" auf die Zusammenarbeit haben. Sie sei ein "klarer Verstoß gegen internationales Recht" und wäre ein "Gefahr für die Sicherheit" - sowohl für Israel, als auch für die gesamte Region.
Unterschiedliche Meinungen in der EU
Innerhalb der EU gehen die Meinungen ebenfalls auseinander - zwischen einer Gruppe der unerschütterlichen Unterstützer Israels, die jede Überlegung von Strafmaßnahmen gegen Tel Aviv rigoros ablehnen. Und es gibt eine Gruppe, die scharfe Reaktionen fordert. In jedem Fall müsse sich die EU beim Thema Nahost "sichtbarer machen", fordert der Nahost-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Peter Lintl.
Die Palästinenser haben kürzlich zum ersten Mal seit 2014 angeboten, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Gleichzeitig lehnen sie die Annexionspläne des israelischen Regierungschefs Netanjahu klar ab. Unter anderem steht die Drohung im Raum im Falle des Falles mit der 1993 von der palästinensischen Führung Anerkennung des Existenzrechts Israel abzurücken.
Die Leiterin der Palästinensische Mission in Berlin, Khouloud Daibes, spricht von einem "Bruch des Völkerrechts" durch die israelische Regierung. Zwar seien die betreffenden palästinensischen Gebiete de facto schon annektiert. Aber mit einer Annexion "de jure" sei die international verabredete Zweistaatenlösung tot. Sie beklagte die "Tatenlosigkeit" der Weltgemeinschaft.
Offenbar kein grünes Licht von Trump
Vieles, wenn nicht alles hängt jetzt in erster Linie von Washington ab. Die geplante Annexion wäre ohne die im Januar verkündeten Pläne von US-Präsident Trump für die Region, die das ausdrücklich vorsieht, nicht denkbar gewesen. Zum Vollzug gab es aber jetzt offenbar noch kein grünes Licht aus dem Weißen Haus.
Ohne die Zustimmung aus Washington wird sich der israelische Premier Netanjahu "nicht bewegen", glaubt der ehemalige Botschafter Israels in Deutschland, Shimon Stein. Er selbst halte Netanjahus Vorhaben für "falsch" und auch nicht im Sicherheitsinteresse seines Landes. Die EU würde von Israelis im Nahostkonflikt nicht als ehrlicher Makler wahrgenommen, sondern man misstraue den meisten Europäern als "unausgewogen" pro-palästinensisch.
Die arabischen Nachbarn verhalten sich bisher auffallend ruhig. Viele wollen es sich weder mit Israel verderben, mit dem man einen gemeinsamen Feind hat: Iran. Noch ist jedem in der Region daran gelegen, dass es tatsächlich einen palästinensischen Staat geben soll, was - in geschrumpfter Form - auch Trumps Nahostpläne vorsehen.
(AnRi)