Erheblicher Flurschaden
Der Asylstreit der deutschen Regierungsparteien hat Stimmungsbilder erzeugt, die einen nachhaltigen Schaden anrichten, meint unsere Hauptstadtkorrespondentin Gudula Geuther. Der Kompromiss, den die Koalition geschlossen hat, sei alles andere als ein großer Wurf.
Man kann einige Leute einige Zeit täuschen, aber nicht ständig alle, soll Winston Churchill gesagt haben. Horst Seehofer erlebt das gerade. Er hat einfache Antworten versprochen, die Zurückweisung an der Grenze, Transitzentren, Abschottung. Gefordert hatte er das lange, als quasi-Oppositionspolitiker vom Münchner Spielfeldrand aus. Als verantwortlicher Bundesinnenminister aber muss er nun die harsche Begegnung mit der Realität ertragen.
Er muss ertragen, dass er mit nationalbezogenen Österreichern, Ungarn, vielleicht auch Italienern Einstellungen teilen mag – dass es aber Deutschland und Bayern nichts nützt, wenn dann auch der Österreicher zuerst an Österreich, der Ungar zuerst an Ungarn, der Italiener zuerst an Italien denkt.
Was Seehofer erreicht hat, ist praktisch nichts
Was Horst Seehofer in der Realität erreicht hat, ist im Vergleich zu den Ankündigungen praktisch nichts. Einige wenige Menschen werden von der Grenze zum Flughafen gefahren werden, um dann anderswo ihr Asylverfahren zu durchlaufen, andere werden im Gegenzug nach Deutschland kommen. Und das nicht etwa, weil Seehofer von Angela Merkel oder Andrea Nahles gebremst worden wäre – er selbst konnte sich bei seinem Besuch in Wien nicht durchsetzen – weil Österreich natürlich keine Lust hat, die aufzunehmen, die Deutschland nicht haben will.
Der Innenminister selbst rechtfertigt das magere Ergebnis: Es gehe nicht um Zahlen, es gehe um Recht und Ordnung. Aber auch das ist falsch. Selbst wenn es zu den angestrebten Vereinbarungen mit anderen Ländern kommt, entsprechen sie gerade nicht europäischem Recht.
Die brachiale Gewalt, mit der Seehofer seine Position trotzdem durchgedrückt hat, hat ihn endgültig in der Bundesregierung isoliert, in der Union, in der eigenen CSU. Wer Horst Seehofer in den vergangenen Tagen im Bundestag sitzen sah, müde, trotzig, blass, konnte einen Innenminister sehen, der – kaum ernannt - keinen Spaß mehr an seinem Amt hat.
Fortschreitende Entfremdung zwischen CDU und CSU
Freilich ist Horst Seehofer nicht der Verlierer dieser Auseinandersetzung, er ist einer von vielen. Der Streit, der ja nicht von ihm allein befeuert wurde, hat die schon länger fortschreitende Entfremdung zwischen CDU und CSU in einem Maß befördert, von dem sich die Union nur schwer erholen wird.
Der Ansehensverlust, den Kanzlerin Angela Merkel und die Bundesregierung erleiden, dürfte Spiegel des Ansehensverlustes der politischen Klasse sein. Auch die SPD konnte nur verlieren. Zwar ist es ihr gelungen, sich als zähe Kämpferin zu präsentieren. Aber: Sie macht die Zurückweisungen ebenso mit wie Schnellverfahren, bei denen praktisch kein Rechtsschutz möglich ist.
Sie gibt damit den parteiinternen Kritikern recht, die schon beim Eintritt in die Große Koalition gewarnt hatten, durch den Zwang zu stetigen schmerzhaften Kompromissen würde noch mehr an Profil verlorengehen.
Verrohung, die sich in Worten niederschlägt
Leider ist es mit dem Schaden für Politiker und Parteien nicht getan. Die aggressive Art, in der Horst Seehofer, Alexander Dobrindt und Markus Söder das Thema Asyl gesetzt haben, hat zu einer Art gesellschaftlicher Retraumatisierung geführt. Als wären die Zahlen der Ankommenden derzeit nicht gut zu bewältigen, als gäbe es nicht gute Nachrichten von Arbeitsmarktintegration und öffentlicher Sicherheit, werden Ängste geschürt, fühlt man sich an die Überforderungsdiskussionen von 2016 erinnert – mit allem, was damit einhergeht.
Da ist die Verrohung, die sich in Worten niederschlägt: Da ist von "Asyltourismus" die Rede, da werden Seenotretter zum "Shuttleservice" erklärt, so wie schon vorher rechtsstaatliche Verfahren zur "Anti-Abschiebe-Industrie". Das sind Stimmungsbilder, die nachhaltigen Schaden anrichten können.
Der Kompromiss ist nicht gut, aber eine Chance
Zu Recht warnt Bundesjustizministerin Katarina Barley im Bundestag – durchaus auch mit Bezug zur ganz aktuellen Debatte: Etwas Positives wie der Rechtsschutz soll plötzlich einen negativen Beigeschmack bekommen, etwas sein, das lästig fällt. Das ist unerhört. Und doch mag sich mancher daran gewöhnen und schließlich glauben, das sei normal. Der Kompromiss, den die Koalition geschlossen hat, ist nicht gut. Aber es ist ein Kompromiss. Er böte die Chance, jetzt zur Regierungsarbeit zurückzukehren.
Horst Seehofer kündigt anderes an. Dem Spiegel sagt er, wenn es keine Erfolge gebe, gehe es wieder von vorne los. Da ist er wieder, der quasi-Oppositionspolitiker. Nur steht der nicht mehr am Spielfeldrand. Da steht jetzt die AfD und kann sich freuen.