Meister der elektronischen Schwermut
Daughter - unter diesem Namen wurden drei junge Londoner Musikstudenten im Jahr 2013 zu einem Hype der britischen Independent-Szene. Nun erscheint das zweite Album "Not to disappear". Es ist deutlich experimenteller.
Es wabert, pulsiert, hallt an allen Ecken und Enden auf dem neuen Album von Daughter. Elektronische Beats treffen auf sphärische Synthesizer, düstere Klangwände schwellen an - und über allem thront die Stimme von Sängerin Elena Tonra. Daughter wurden mit kargen, folkigen Songs bekannt - auf ihrem neuen Album haben sie jetzt aber moderne, elektronische Sounds für sich entdeckt.
"Ich glaube unser neues Album ist experimenteller. Die Bandbreite an unterschiedlichen Klängen ist größer, wir haben im Studio viel herumgespielt, haben zum Beispiel abgedrehte Synthesizer benutzt. Außerdem liegt viel weniger Hall auf meiner Stimme. Früher habe ich meinen Gesang immer hinter möglichst viel Hall versteckt. Dieses Mal klingt die Stimme viel nackter. Die Musik dazu ist sehr warm - und es war cool, mit diesem Kontrast zu experimentieren.
Den Sommer in New York zu verbringen, das war vor allem sehr heiß! Wir sind nun wirklich keine Sommer-Menschen - ich fühle mich meistens eher wie ein Vampir. Und es war wirklich interessant, diese ständige Sonnen-Einstrahlung zu erleben. Das ist auch bei den Aufnahmen durchgesickert - die klingen so sommerlich, wie wir eben sein können!"
Elena Tonra singt von Einsamkeit und unglücklichen Beziehungen
Ob das neue Daughter-Album nun wirklich sonnig oder sogar sommerlich klingt, das ist Ansichtssache. Zumindest in den Texten herrscht Melancholie: Elena Tonra singt von Einsamkeit, unglücklichen Beziehungen und immer wieder auch von ihrem engsten familiären Umfeld. Im Song "Doing the Right Thing" erzählt sie von ihrer Großmutter, die seit Jahren an Demenz erkrankt ist.
"Ich hatte gar nicht vor, einen Song über Demenz zu schreiben – es ist einfach so passiert! Aber dann flossen die Worte einfach so aus meinem Hirn und ich merkte, wie traurig ich war. In dem Song versuche ich, mich in meine Großmutter hineinzuversetzen, zu verstehen, wie sie sich fühlt! Das ist sehr traurig und beängstigend - aber so sind die Dinge eben."
"Not to Dissappear" - mit ihrem zweiten Album wehren sich Daughter gegen das eigene Verschwinden; dagegen, als bloßes "one hit wonder" abgestempelt zu werden. Die drei Musiker suchen nach neuen Klangfarben, verlaufen sich dabei aber manchmal im großen Gewaber. Manches wirkt noch zu beliebig, so als hätten Daughter über die Freude am Experimentieren vergessen, wirklich starke Songs zu schreiben.
In der Tradition von Londoner Künstlern wie James Blake oder The XX
Aber vor allem die persönlichen Texte und die gefühlvolle Stimme von Elena Tonra schaffen eine Intimität, die auch über schwächere Passagen des Albums hinwegtröstet. Mit dem sogenannten "Indie-Folk" ihres Debüt-Albums hat das alles übrigens nicht mehr viel zu tun - Daughter stehen mittlerweile eher in der Tradition von Londoner Künstlern wie James Blake oder The XX. Melancholische twenty-somethings und Meister der elektronischen Schwermut.
"Ich frage mich, wie es wäre, sich mit The XX oder James Blake zusammen zu setzen und sie zu fragen: 'Hey, was habt ihr eigentlich so gehört, als ihr 15 wart?' Vielleicht würden wir feststellen, dass wir alle einen ganz ähnlichen Geschmack haben. Aber es ist schön, dass wir musikalisch alle in so einer "verträumten Ecke" gesehen werden. Es muss da einen kleinen Funken Gemeinsamkeit zwischen uns geben, eine emotionale Verbundenheit. Vielleicht sind wir ja wirklich verwandte Seelen!"