Dave Goulson: "Stumme Erde. Warum wir die Insekten retten müssen"
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Die wahren Herrscher unserer Zukunft
05:43 Minuten
Dave Goulson
Aus dem Englischen Sabine Hübner
Stumme Erde. Warum wir die Insekten retten müssenHanser, München 2022367 Seiten
25,00 Euro
Ohne Insekten wäre die Erde stumm. Mehr noch: Es käme zu Hungersnöten und Artensterben. Und so setzt sich der prominente Insektenforscher wortgewaltig für ihren Schutz ein – begeistert, kämpferisch und faktenreich.
Denkt man nur an Schmetterlinge und Libellen, Glühwürmchen oder Honigbienen, kann man Daves Goulsons Faszination für Insekten durchaus nachvollziehen. Wie aus einer unscheinbaren Raupe ein farbenprächtiger Schmetterling schlüpft, ist in der Tat ein staunenswertes Wunder.
Doch bei wenig sympathischen Insekten wie Wespen und Mücken fällt dahingegen Begeisterung schwer. Dabei erfüllen sie alle wichtige Aufgaben. So legen einige Wespenarten ihre Eier in gefräßige Gemüseraupen. Ihre geschlüpften Kinder fressen allmählich den Wirt auf und halten so den Raupenbefall in Schach.
Von Wespen und Bombardierkäfern
Die Insektenwelt, das beweist Goulson in seinem Buch an zahlreichen Beispielen, steckt voller Überraschungen. Da gibt es den Bombardierkäfer, der im Gefahrenfall in einer Explosionskammer im Hinterleib ein heißes, ätzendes Giftgas mischt, das dann mit lautem Knall geschossartig in Richtung eines Angreifers zischt.
Jedem seiner 26 Buchkapitel hat Goulson ein knapp einseitiges Kurzporträt eines Insekts mit besonderen Fähigkeiten angefügt. Und: Seine Begeisterung ist ansteckend.
Begeistert und fachkundig
Faktenreich und leicht verständlich erklärt Dave Goulson im ersten Teil des Buches die Nützlichkeit der Insekten, ihre Bedeutung im Ökosystem der Erde und ihre Lebensberechtigung.
Im zweiten und dritten Teil berichtet er ausführlich über ihren dramatischen Rückgang und erklärt die Ursachen für das Insektensterben. Im vierten entwirft er eine apokalyptische Welt ohne Insekten, um im fünften Vorschläge zu ihrer Rettung zu machen.
Forschungslücken thematisiert
Dave Goulson ist ein kritischer Wissenschaftler. Er meidet pauschale Verurteilungen. Er stützt sein Urteil auf nachprüfbare, auch eigene Forschungsergebnisse, verschweigt aber nicht, dass die Insektenforschung große Wissenslücken aufweist.
Eindeutig beweisen lässt sich allerdings, dass Pestizide, Mittel wie Glyphosat oder Neonicotinoide, nicht nur Schädlinge töten, sondern auch zahlreiche Nützlinge wie die Honigbienen. Auch der Einsatz von Kunstdünger in der intensiven Landwirtschaft schädigt viele Insektenarten. Die Stickstoffüberdüngung der gesamten Landschaft verdrängt Blumen, die nährstoffarme Böden lieben. Sie fehlen den Insekten als Nahrung.
Wenig erforscht ist, wie sich invasive Arten, Elektrosmog und Klimawandel auf die Insektenwelt auswirken. „Wir wissen nicht einmal genau“, schreibt Goulson, „was wir alles nicht wissen“. Diese Ehrlichkeit zeichnet sein Buch immer wieder aus.
Keine Zukunft ohne Insekten
Wie eine Zukunft ohne Insekten aussehen würde, beschreibt er im vierten Kapitel: ein Horrorszenario. Dann steht uns eine Welt bevor, in der wegen mangelnder Insektenanzahl keine Bestäubung der Pflanzen mehr stattfindet und so Hungersnöte die Menschheit drastisch reduzieren. Eine Welt, in der Singvögel so gut wie ausgestorben sind und es kein Grillenzirpen mehr gibt. Eine stumme Welt also.
Verbunden mit dieser Warnung sind praxisnahe Tipps, wie jede*r persönlich und als Gesellschaft das Insektensterben stoppen kann. Naturnaher Schulunterricht ist da ebenso wichtig wie politische Arbeit in Umweltverbänden. Goulsons durchaus pragmatischen Vorschläge reichen von ökologischer Landwirtschaft bis zum Schrebergartenanbau, von der Begrünung der Städte mit Blühstreifen bis zur Reduktion des Fleischverbrauchs.
Jeder, so der Biologe, kann zur Veränderung beitragen. Sein Buch ist also nicht nur Weckruf, sondern auch eine gute Anleitung zur Eigeninitiative. Und auch wenn das für zahlreiche zum Thema Insektensterben erschienene Bücher gilt, Dave Goulson besticht doch wieder einmal mit seiner Begeisterung und seinem Wissen.