Dave Haslam und der Hacienda-Club in Manchester

"Den Machern ging es vor allem darum, anders zu sein"

Hauptbühne des Hacienda-Clubs in in rotes Licht getaucht.
Dave Haslam und der Hacienda-Club in Manchester: "Im Techno dagegen ging es um Farbe." © Peter J Walsh / PYMCA / picture alliance / dpa
Dave Haslam im Gespräch mit Martin Böttcher |
Dave Haslam war von 1986 bis zum Ende des Clubs 1997 Resident-DJ im legendären Hacienda-Club in Manchester. Eigentümer war die Band New Order. Der Club und die Stadt seien auch wegen dieser Besitzer so avantgardistisch gewesen, sagt Haslam.
Martin Böttcher: 1986 ging es für Sie in der Hacienda los. Sie wurden einer der bekanntesten DJs der 80er, ein ungewöhnlicher Weg für jemanden, der aus einer strengen Methodistenfamilie kommt und auf eine renommierte Boys School, also eine reine Jungenschule, ging. Wie kamen Sie denn in Kontakt mit der Musik- und Partyszene in Manchester?
Dave Haslam: Als es 1980 Zeit war, mir eine Universität auszusuchen, kam nur Manchester in Frage, die Stadt meiner Lieblingsbands. Ich war mir damals sicher, dass Joy Division, The Buzzcocks und The Fall dort wie Könige durch die Straßen getragen werden. Aber als ich ankam, musste ich feststellen, dass die Szene ziemlich überschaubar war – aber immerhin auch durchlässig, so dass ich schnell Teil von ihr wurde. 1983 habe ich dann mein eigenes Fanzine gegründet. Das hat mich bekannt gemacht – und die Leute fingen an, meinem Spürsinn zu vertrauen.

Der Faktor New Order

Böttcher: Sie haben den zweiten Sommer der Liebe unmittelbar miterlebt. Wenn wir jetzt darüber sprechen, fühlt es sich an wie ein wirklich entscheidender, sogar lebensverändernder Moment der Popkultur. Aber war das bei Ihnen in Großbritannien wirklich so bedeutend und so farbenfroh, wie es jetzt, zwanzig Jahre später, erscheint?
Haslam: Wenn man sich die DJ-Szene anguckt, dann handelt es sich mehr um eine Evolution, das Ergebnis einer ständigen Weiterentwicklung. Ich habe in der Hacienda aufgelegt, einem Club, der zum Teil der Band New Order gehörte. New Order wiederum waren bekannt für ihre elektronische Experimentierlust. Als wir dann angefangen haben, Techno aufzulegen, war das also nicht unbedingt eine total neue Sache.
Tatsächlich waren viele der Techno-Pioniere in Detroit ihrerseits schon große Fans von New Order und anderen Elektro-Acts aus Europa. Man kann also nicht von einer großen Revolution sprechen, zumindest nicht, was die Musik anging. Ich glaube, wir haben eher eine kulturelle Revolution erlebt. Manchester, überhaupt ganz England, war Mitte der 80er-Jahre ein trostloser Fleck Erde. Bands wie die Smiths haben die post-industrielle Tristesse ja in ihren Songs sehr überzeugend reflektiert.
Im Techno dagegen ging es um Farbe. Die Leute haben bunte Klamotten angezogen, sind in den Club gegangen anstatt Konzerte zu besuchen. Und DJs wurden auf einmal so wichtig wie Bands. Ende 1988 war die Szene dann längst schon auf Ecstasy. Das hat das Ganze noch mal auf ein anderes Niveau gehoben, und es war Teil des kulturellen Wandels.

Hacienda-Club war seiner Zeit voraus

Böttcher: Ja, die Drogen, die kommen ja da immer wieder ins Spiel. In Ihrem neuen Buch, da schreiben Sie, die Hacienda war ihrer Zeit voraus. Was machte denn diesen Club, in dem Sie Resident-DJ wurden, so avantgardistisch.
Haslam: Ich glaube, das hatte damit zu tun, dass der Laden zum Teil New Order und zum Teil Factory gehörte. Deren Wurzeln lagen im Punk. Als das Label Factory zehn Jahre zuvor gegründet wurde, ging es den Machern vor allem darum, anders zu sein. Niemand bei Factory wollte Musik vertreiben, die man schon mal gehört hatte. Und so war es auch später für uns in der Hacienda wichtig, anders zu sein, Neues ausprobieren – und vielleicht auch mal die Nerven unserer Gäste zu strapazieren.
Wir fühlten uns ermutigt, Pioniere zu sein, man hat uns regelrecht gebeten, Tracks zu spielen, an die sich das Radio und MTV nicht rantrauten. Und natürlich haben wir auch Musik gespielt, die überhaupt kein Echo fand. Aber das war egal. Denn wir haben eben auch Tracks gespielt, die die Leute bewegt haben, die sie sonst nirgendwo hören konnten.
Und als wir dann 1988 Acid House gespielt haben – und zwar in Verbindung mit Hip-Hop und Techno – wir hatten einfach nichts, woran wir uns hätten orientieren müssen oder können. Wir waren anders. Und dass wir noch nicht die Kommunikationsmittel von heute hatten, hat uns auch geholfen. Denn so konnten wir Underground und Geheimtipp bleiben, selbst als irgendwann jeden Abend 1000 Leute in den Club kamen. So konnte eine ganz eigene Szene entstehen.
Böttcher: Die Zeit damals, 1988, jedenfalls in Großbritannien, war von zwei neuen Soundrichtungen bestimmt. Zum einen die aus den USA, vor allem aus Chicago kommende Acid House Music, zum anderen vom sogenannten Manchester Sound, das waren Band wie die Happy Mondays und die Stone Roses, die ihre Gitarren mit einer Art Dance Beat unterlegten. Ähnliches versuchten ja auch New Order, wenn auch mit anderem Ergebnis. Was hatte denn Acid House mit dem Madchester-Sound zu tun? Können wir das noch einmal kurz auseinander dividieren?
Haslam: Ich glaube, man muss da etwas weiter zurückgehen in der Geschichte, zu anderen Manchester-Bands wie den Sex Pistols. Schon die haben nicht einfach Platten gekauft und konsumiert, sie haben ihre eigene Musik gegründet. Bei den Buzzcocks genauso. Das Gleiche, als 1980 junge Engländer amerikanischen Acid House gehört haben. Die haben sich das angehört und etwas Eigenes draus gemacht. A Guy Called Gerald ist da ein gutes Beispiel. Aber auch die Rockbands jener Jahre ließen sich inspirieren von den Rhythmen und Vibes der Dance Music.
Anstatt dass Bands wie die Stone Roses oder die Happy Mondays also weiter auf der Trennung von Rock und Dance Music bestanden hätten, fingen sie damit an, die beiden Genres miteinander zu verbinden. Das hat nicht nur der elektronischen Musik gutgetan, es war auf hilfreich für den Rock: Es hat nämlich die Hörgewohnheiten von Rockfans total verändert. Das hat dann auch überhaupt erst Bands wie The Prodigy ermöglicht, die sich Mitte der 90er an diesem Cross-over versucht haben.
Und dann im Ausland... Zum ersten Mal in Deutschland war ich 1991, auf einer Tour, die Rough Trade organisiert hatte. Ich erinnere mich noch daran, wie ich in Hamburg aufgelegt habe. Die Leute kannten das gar nicht, dass ein DJ Rock und Dance Music an einem Abend auflegen kann. Viele hat das verwirrt. Manchmal war es echt schwer, Menschen außerhalb von Großbritannien beizubringen, worum es uns ging. Oft hat das aber auch geklappt, und oft hat es den Leuten auch gefallen.
Böttcher: Wenn Sie noch mal zurückgucken, 1997 hat die Hacienda, wo Sie lange Zeit Resident-DJ waren, geschlossen. Welchen Song würden Sie denn als den Song der Hacienda beschreiben?
Haslam: Ich glaube, das wäre "Voodoo Ray" von A Guy Called Gerald. An dem Track lässt sich gut erkennen, wie wir Musik verstanden haben.
Es ging uns nicht nur darum, was in den vier Wänden des Clubs abging. Die Leute haben die Musik, die wir gemacht haben, aber auch die Hacienda-Haltung an sich, mitgenommen in ihre Wohnungen und in ihren Alltag. Dass wir alle Leute akzeptiert haben, das Utopische Moment, an dem wir alle gearbeitet haben – das klingt in dem Track an.
Und die kreativen Clubbesucher haben diesen Geist in ihrer eigenen Kunst weiterverarbeitet. Leute, die bei uns A Guy Called Gerald gehört haben, haben den Track zu Hause gehört, ihren Computer angemacht und ihre eigene Version davon erstellt. Und das ist doch total charakteristisch für Popkultur ganz allgemein: der Kosument wird zum Produzenten. Ohne Hacienda wäre das weitaus weniger oft passiert. Deshalb steht der Track sinnbildlich für das, was wir versucht haben, mit dem Club zu erreichen.

Dave Haslam: "Sonic Youth Slept On My Floor: Music, Manchester, and More: A Memoir"
Englisch
Constable, 2018
352 Seiten

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