David Albahari: Heute ist Mittwoch
Aus dem Serbischen von Mirjana und Klaus Wittmann
Frankfurt am Main, Schöffling & Co Verlag, 2020
200 Seiten, 22,00 Euro
Das Groteske menschlicher Existenz
05:40 Minuten
In "Heute ist Mittwoch" von David Albahari geht es um einen Mann, der unter Tito für den Kommunismus folterte und dann selbst den politischen Säuberungen zum Opfer fiel. Auch als er dement wird, bleibt er eine Herausforderung für seine Kinder.
Dieses Buch hat keine Geschichte, es ist Geschichte. Wie so oft in den Romanen David Albaharis, des 1948 im ehemaligen Jugoslawien geborenen Schriftstellers und Übersetzers, sprechen ein paar Menschen miteinander, gegeneinander oder nur für sich - doch damit exemplarisch für andere, die keine Stimme haben. In allem, was gesagt wird, meist innerhalb einer Familie, spiegeln sich gesellschaftliche und politische Zusammenhänge. Das Persönliche steht zwar bei Albahari im Mittelpunkt, doch wer genau hinhört, erfährt alles über die Welt.
Für den Kommunismus Titos gefoltert und gemordet
So auch in seinem neuen Roman. Die Schar der Protagonisten ist überschaubar: ein Vater, sein Sohn, seine Tochter, sein Arzt. Der Vater gehört zu denen, die im Nachkriegsjugoslawien einst selbstgewiß und gewaltsam den Kommunismus durchsetzten. Er war einer, der als junger Aktivist im Namen der Partei gegen Großbauern und Kirchenvertreter vorging, der Menschen demütigte, folterte und ermordete. Er war auch einer, der von der Revolution gefressen wurde, als Tito seine Partei drastisch von Stalin-Anhängern, den "Kominformisten", säuberte. Tausende wurden liquidiert, Tausende kamen in Gefängnisse und Arbeitslager, Tausende verleugneten sich in der neuen politischen Situation.
Der Vater des Erzählers hat Zwangsarbeit im Umerziehungslager überlebt. Und ist inzwischen alt und krank, Witwer und Pflegefall. Er hat fortschreitend Parkinson und damit einhergehend zunehmende Demenz. Mit Unterstützung seines Sohnes unternimmt er täglich Spaziergänge, deren Radius immer geringer wird.
Der eigene Vater ein selbstgefälliges Monster?
Das Krankheitsbild prägt den Stil des Erzählens. Es gibt Wiederholungen, Lücken, Rhythmusstörungen. Kunstvoll und gnadenlos macht Albahari deutlich, dass jedes Heute von Vergangenheit bestimmt ist. Das gilt auch für die beiden erwachsenen Kinder des alten Mannes. Die Tochter hasst ihren Vater, der Sohn will ihn verstehen. Letztlich auch, um sich selbst zu entlasten. Denn wie kommt man damit klar, dass der eigene Vater ein selbstgefälliges Monster war, ein Denunziant selbst derer, die ihm halfen? Der nicht nur sogenannte Klassenfeinde, sondern auch die eigene Frau quälte. Und der jetzt Angst hat, von ehemaligen Opfern erkannt zu werden und selbst hilfsbedürftig ist.
Dialoge voller Reflexionen und poetisch klarer Bilder
In einer präzisen, in ihrer Zartheit mitunter überraschenden Sprache, in Dialogen voller Reflexionen und poetisch klarer Bilder schildert Albahari, wie der Sohn beharrlich das Gespräch mit dem Vater sucht, irgendwo zwischen Nähe, Verachtung und Verzweiflung. Wenn der Vater störrisch ohne Hilfe den Spaziergang fortsetzen will und aufgrund seiner Krankheit stürzt, kann der Sohn seine Lachanfälle nicht unterdrücken. Albahari hat ein ausgeprägtes Gefühl für das Hand-in-Hand von Tragik und Groteske der menschlichen Existenz. Sein Roman ist eine Erkundung des Menschen, seiner Bedeutungslosigkeit und Verantwortung. Ein Kommentar zu Geschichte und Politik, Liebe und Verrat. Ein weises, leidvolles Buch, das keine Erlösung bereit hält.