"Ich wünschte, ich wäre niemals high gewesen"
Es ist ein Wunder, dass er so alt geworden ist: David Crosby, Gründungsmitglied der Byrds und von Crosby, Stills, Nash & Young. Am 14. August wird er 75 Jahre alt, er raucht kein Pot mehr und ist geistig top-fit. Ein Besuch in Kalifornien.
"Es ist ein ruhiger Ort. Ich glaube nicht, dass ich noch in der Stadt leben könnte."
Der Begriff "ruhig" ist wörtlich zu nehmen: Santa Ynez, im bergigen Hinterland von Santa Barbara, drei Autostunden von Los Angeles, ist eine Ansammlung von weitverstreuten Farmen, die sich auf Pferdezucht, Weinbau und Bio-Gemüse spezialisieren. Ein bisschen Hippie- und Aussteigermäßig, wie das Anwesen von David Crosby und Ehefrau Jane Dance, das dezent abgerockt wirkt. Pool und Garten sind ungepflegt, die Einrichtung stammt aus den 80-ern, und auch der Hausherr ist alles andere als frisch: Ein kleiner, rundlicher Mann mit weißem Schnäuzer, korrespondierendem Resthaar, blasser Haut und vielen blauen Flecken, der alles andere als gesund wirkt. Tatsächlich muss er das Gespräch nach einer halben Stunde unterbrechen:
"Können wir kurz pausieren? Ich muss meinen Blutzuckerspiegel pushen."
Ein kranker Mann
Was geschlagene 40 Minuten dauert, in denen Crosby eine Schüssel Joghurt mit Blaubeeren mixt und verspeist, keinen Ton sagt und ins Nichts starrt. Eine beklemmende Situation, die zeigt, dass er ein kranker Mann ist, der mit Herz- und Leberproblemen sowie Diabetes kämpft. Und der, so gibt er offen zu, selbst nicht weiß, warum er seine Exzesse überlebt hat.
"Das habe ich mich immer wieder gefragt. Einfach, weil es keinen Sinn macht. Ich habe tatsächlich überlebt, während es andere − mit weitaus mehr Talent − nicht geschafft haben. Da stellt sich die Frage: Warum ich, der keine Ahnung hatte, worauf er sich da einlässt? Ich habe Drogen benutzt, um emotionale Tiefschläge zu überspielen. Aber sie waren verheerend. Sie haben mich an dem gehindert, wofür ich hier bin: nämlich Musik zu machen."
Neun Monate im Gefängnis
Wenn man "Wild Tales", der Biografie seines engen Freundes Graham Nash, glauben darf, dann war Crosby Mitte-Ende der 70-er ein Wrack. Gezeichnet von heftigem Heroin- und Kokain-Konsum. Finanziell am Abgrund. Gesucht von Polizei und Steuerbehörde und 1982 – wegen illegalen Drogen- und Waffenbesitzes – sogar neun Monate im Gefängnis. Der Tiefpunkt eines Mannes, der als Galionsfigur der "Counterculture" galt – und für freie Liebe, Woodstock und den Protest gegen den Vietnamkrieg stand. Doch dem Stehaufmännchen gelang ein erfolgreicher Entzug:
"Ich rauche kein Pot mehr. Einfach, weil ich viel besser klinge, wenn ich sauber bin. Denn dieser Job ist ja ziemlich kompliziert. Es ist eine Kunstform, die volle Konzentration erfordert. Und ganz ehrlich: Ich wünschte, ich wäre niemals high gewesen. Ich hätte die Arbeit von zehn Jahren erledigen können, die ich darauf verschwendet habe, ein Idiot zu sein."
Weshalb er jetzt, jenseits der 70, von einer regelrechten Arbeitswut befallen scheint. In den letzten Jahren war er wahlweise als Solist oder mit CSN unterwegs, hat mit "Croz" sein ersten Alleingang seit 20 Jahren veröffentlicht und plant für Ende 2016 gleich zwei CDs. Er träumt von Projekten mit Peter Gabriel, Pink, den Indigo Girls und Neil Young, mit dem er − wie mit Graham Nash und Stephen Stills − zuletzt im Clinch lag:
"Ich arbeite wahnsinnig gerne mit Neil. Denn er geht nicht auf Nummer sicher. Er will immer etwas Neues probieren und Grenzen ausloten. Das mag ich. Von daher würde ich gerne mehr mit ihm machen."
"Die menschliche Rasse träumt noch"
Seit er clean ist, so Crosby, habe er auch ganz allgemein mehr Durch- und Weitblick. Nicht zuletzt, was die Probleme des 21. Jahrhundert betreffe – und wie sie zusammenhängen. Da sei er nicht mehr so naiv, wie in seinen jungen Jahren. Stattdessen wettert er heute gezielt gegen multinationale Großkonzerne, Banken und die Stimmungsmache von Donald Trump:
"Angst wird oft benutzt, um andere zu manipulieren. Aber ich glaube, dass wir dem entwachsen und es besser hinkriegen können. Deswegen lese ich viel Science Fiction – um mir eine andere Zukunft auszumalen. Die menschliche Rasse träumt noch, sie erfindet immer wieder Neues und entwickelt sich nach vorne. Sie kann also noch wachsen und inspirierend und wunderbar sein. Ich bin jedenfalls nicht willens, sie einfach aufzugeben, sondern ich denke, wir sind sehr wohl in der Lage, gute Dinge zu bewerkstelligen."
Furcht vorm Alter
Diese Hoffnung ist es, die ihn antreibt und weitere Musik machen lässt. Alles aus sicherer Distanz − in den Bergen von Santa Barbara, wo er sein Refugium, seine Mitte und neue Kreativität gefunden hat. Als gebrechlicher, älterer Herr, der nur eins fürchtet – noch älter zu werden.
"Es ist ein bisschen Angst einflößend. Und ich mag es nicht. Ich bin lieber stark und funktioniere richtig. Doch je älter du wirst, desto schwieriger ist das."