David Foster Wallaces Tennis-Essays

Wie ein anspruchsvolles und fesselndes Fünf-Satz-Match

Portraitfoto des Autors David Foster Wallace
Schriftsteller David Foster Wallace: Man merkt seinen Texten an, wie er Tennis lebt und verehrt. © picture alliance/dpa/Foto: Maxppp
Von Jutta Heeß |
Am 12. September jährt sich der Tod von David Foster Wallace zum zehnten Mal. Nun erscheinen seine fünf Tennis-Essays erstmals auf deutsch. Der US-Autor stellt alle in den Schatten, die je über Tennis geschrieben haben, von Thomas Mann bis Rita Mae Brown.
"Ich postuliere hiermit, dass Tennis die schönste Sportart ist, die es gibt, aber auch die anspruchsvollste. Tennis erfordert Körperbeherrschung, Feinmotorik, hochgetourtes Tempo, Ausdauer und diese seltsame Mischung aus Bedachtsamkeit und Ungehemmtheit, die wir Mut nennen. Und Tennis erfordert Köpfchen."
Über Tennis zu schreiben, erfordert auch außerordentliche Fähigkeiten – zumal wenn man so über Tennis geschrieben hat wie David Foster Wallace. Der US-amerikanische Autor war selbst in seiner Jugend ein hervorragender Tennisspieler.

Große Kenntnis des Tennis

Man merkt seinen Texten an, wie er Tennis lebt und verehrt – seine Beobachtungen und Beschreibungen zeugen von einer großen Kenntnis des Sports. Die fünf Tennis-Essays, die gerade in deutscher Übersetzung erschienen sind, gleichen einem anspruchsvollen und fesselnden Fünf-Satz-Match.
"Federer kontert mit einer noch härteren, schwereren Crosscourt-Rückhand, grundlinientief und so schnell, dass Nadal die Vorhand auf dem hinteren Fuß schlagen und dann haste, was kannste in die Mitte zurück muss, denn der Ball landet wieder einen guten halben Meter vor Federers Rückhandseite. Roger Federer nimmt ihn an und schlägt jetzt eine völlig andere Crosscourt-Rückhand, viel kürzer und in einem spitzen Winkel, den niemand erwarten würde, so schwer und überrissen, dass er flach und gerade noch innerhalb der Seitenlinie aufkommt und nach dem Aufschlag hart wegspringt, und Nadal kann nicht reingehen und ihn kurz annehmen, kommt wegen Winkel und Topspin auch nicht ran, um ihn seitlich an der Grundlinie anzunehmen – Punkt für Federer. Es ist ein atemberaubender Winner, ein Federermoment. "
Roger Federer feiert seinen Sieg gegen Rafael Nadal im Finale von Wimbledon 2006. 
Roger Federer feiert seinen Sieg gegen Rafael Nadal im Wimbledon-Finale 2006. © GERRY PENNY / EPA / dpa picture alliance
Dieses Spiel zwischen Roger Federer und Rafael Nadal verfolgte David Foster Wallace beim Turnier in Wimbledon 2006. Die Schilderung des Ballwechsels ist Teil seines Essays "Federer aus Fleisch und nicht", in dem er die Spielkunst Federers beschwört und auf grandiose Weise in Worte fasst:

Verehrung für Roger Federer

"Federers Vorhand ist eine grandiose flüssige Peitsche und seine einhändige Rückhand kann er flach dreschen, mit Topspin versehen oder mit Slice schlagen – mit so viel Unterschnitt, dass der Ball in der Luft rotiert und beim Aufkommen nur knöchelhoch weiterrutscht."
Für Foster Wallace ist Federer ein anbetungswürdiger Athlet, eine Lichtgestalt, fast nicht von dieser Welt und kaum physikalischen Gesetzen unterworfen. Das wiederum stellt Foster Wallace auf anbetungswürdige Weise dar. In allen fünf Tennis-Essays zeigt der Autor die ganze Bandbreite seiner Schreib- und Spielkunst.
In "Sportableitungen in der Tornado Alley" schildert er seine Tennis-Jugend im windigen Illinois. Er verdeutlicht überzeugend seine Enttäuschung über die "grottenschlecht geschriebene" Biografie von Tracy Austin, dem "ersten echten Kinderstar im Damentennis". Er entblößt das Drumherum bei den US Open als gnadenlose Geschäftemacherei. Und er zeigt auf, wie unerbittlich die Anforderungen für weniger bekannte Tennis-Profis sind:
"Die reale Profitour im Herrentennis hat ungefähr so viel Ähnlichkeit mit dem im Fernsehen übertragenen luxuriösen Finale wie ein Schlachthof mit dem appetitlich angerichteten Lendenstück im Edelrestaurant. Für jedes Finale zwischen Sampras und Agassi, das wir uns anschauen, gibt es ein wochenlanges Turnier, pyramidenförmige Ausscheidungskämpfe nach dem K.-O.-System zwischen 32, 64 oder 128 Spielern, und die Finalisten sind die letzten Überlebenden."

Schachtelsätze wie lange Ballwechsel

David Foster Wallace stellt alle Autoren in den Schatten, die je über Tennis geschrieben haben, von Thomas Mann über Martin Walser, Lars Gustafsson oder Rita Mae Brown. Seine Texte SIND Tennis. Seine Schachtelsätze mit Abschweifungen gleichen langen, wild umkämpften Ballwechseln, seine präzisen Darstellungen entsprechen den kerzengeraden Linien eines Tennis-Courts, es folgt Pointe auf Pointe wie As auf As bei einem Wimbledonfinale der Männer.
David Foster Wallace war der Roger Federer des literarischen Journalismus – auch wenn sein bombastischer Stil mit Exkursen und Fußnoten vielleicht den einen oder anderen Leser ins Schwitzen bringen könnte. Der Übersetzer Ulrich Blumenbach spielt ebenfalls ganz großes Tennis, in dem er es schafft, diesen typischen Foster Wallace-Sound ins Deutsche zu übertragen.
Der einzige Wermutstropfen ist – verglichen mit der Tragik des viel zu frühen Todes von Foster Wallace jedoch ein sehr kleiner –, dass die Texte aus einer fernen Tennis-Vergangenheit stammen, aus den Jahren 1991 bis 2006. Was hätte Foster Wallace wohl zu sagen über das exzessive Stöhnen im Frauentennis, über die gehockte Rückhand von Angelique Kerber oder einfach über Erdbeeren mit Sahne in Wimbledon? Wie wunderbar wäre es, könnte David Foster Wallace auch heute noch über Tennis schreiben!

David Foster Wallace/Ulrich Blumenbach (Hrsg.): "Der Spaß an der Sache. Alle Essays"
Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrich Blumenbach und Marcus Ingendaay
Verlag Kiepenheuer & Witsch 2018,
1088 Seiten, 29,99 Euro

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