David Good: Meine Dschungelmutter. Wie ich bei den Yanomami-Indianern meine Wurzeln fand
Aus dem Amerikanischen von Sonja Schuhmacher und Katharina Förs
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2016
352 Seiten, 10,99 Euro
Familienforschung im Dschungel
Ungewöhnlicher kann eine Liebesgeschichte kaum sein: Eine Yanomami-Indianerin begegnet einem US-Anthropologen. Die beiden bekommen einen Sohn: David Good heißt er. Über sein Leben zwischen zwei Kulturen hat er das Buch "Meine Dschungelmutter" geschrieben.
Zwischen David Good und seiner Mutter liegen 2000 Jahre:
"Als sie zum ersten Mal in die USA kommt, muss es sich angefühlt haben wie eine Zeitreise. Alles ist neu für sie: Autos, Strom, Kleidung, Schuhe − das gibt es in ihrem Zuhause nicht."
David Goods Mutter ist Yanomami. Die Yanomami sind ein Volk, das abgeschieden im Amazonas-Regenwald lebt:
"They were a people that lived naked in the jungle.”
Sie haben kaum oder gar keinen Kontakt zur Außenwelt. Doch in den 70er-Jahren bekommen die Yanomami Besuch von einem Amerikaner, Davids Vater. Zwölf Jahre lang lebt er unter ihnen. Bis Davids Geburt ansteht und die Familie die Zeitmaschine besteigt. Sie zieht nach New Jersey, in die USA. Yarima, Davids Mutter, scheint sich gut anzupassen. Sie geht gerne einkaufen, liebt Pommes und trägt statt Topfschnitt jetzt Dauerwelle, gewöhnt sich irgendwann sogar ans Schuhetragen. Doch der Schein trügt:
"Die Yanomami leben gemeinschaftlich in einem Rundhaus namens Shabono. Dort passiert alles: essen, schlafen, trinken, spielen, sterben. Wände gibt es nicht. Wenn man aufwacht, sieht man den Wald, seine Familie und alle anderen. Und bei uns ist alles abgeschottet. Hier aufzuwachen, machte meine Mutter traurig. Als wäre sie in einer Kiste eingesperrt."
Am Ende eines Heimatbesuchs will Yarima nicht mehr zurück in die USA. Sie lässt David und seine beiden jüngeren Geschwister beim Vater zurück. David ist fünf Jahre alt, als er seine Mutter zum letzten Mal sieht:
"Als kleines Kind habe ich mich verstoßen gefühlt. Als wäre ich als Halb-Yanomami nicht gut genug, ihr Sohn zu sein. Die nächsten 20 Jahre hatte ich so viele Probleme mit meiner Identität als Yanomami. Ich hasste mich selbst und ich hasste meine Mutter. Sie war für mich gestorben."
Fast fliegt die Tarnung auf
Gleichzeitig vermisst David seine Mutter. Liegt nachts weinend im Bett. Sein Vater bekommt davon nichts mit. Auch vor seinen Freunden versucht er zu verstecken, wer er ist. Er will ein typischer amerikanischer Junge sein, trägt Zeitungen aus und spielt Baseball. Doch beinahe fliegt seine Tarnung auf.
"In Sozialkunde haben wir jeden Monat eine Zeitschrift besprochen. Einmal schlug ich sie auf und mich sprang ein Foto an: Das war ich mit meinem Onkel im Amazonas, dabei zu lernen, wie man mit Pfeil und Bogen schießt. Ich war schockiert. Ich wurde nervös und fing an zu schwitzen. Zum Glück hat aber niemand die Verbindung zu mir hergestellt."
Als Teenager versucht David Good, seine Zerrissenheit mit Alkohol zu bekämpfen. Er bricht die Schule ab, denkt an Selbstmord. Eine Freundin hilft ihm. Bringt ihm bei, sich selbst zu akzeptieren, seiner Mutter zu vergeben:
"And as soon as I forgave her, I remember, all I ever wanted, all I could think about, I was consumed, day in and day out: how can I go find her? How can I see Mom again?"
Keine Umarmung von der Mutter
Am 24. Juni 2011 beginnt seine Zeitreise. Er steigt in New York ins Flugzeug. Eine Woche später steht er im Dschungel Venezuelas in einem Shabono. Und dann taucht seine Mutter auf. Die erste Begegnung zwischen Mutter und Sohn seit 20 Jahren ist auf Video festgehalten:
"This is the moment where I saw Mom... I didn't know what to do.”
Sie halten eine Armlänge Abstand.
"She's obviously not hugging me, because that's not what they do.”
Umarmungen kennen die Yanomami nicht. Es wirkt ein bisschen hölzern:
"So, that's some really awkward, intense moments. But then, off camera, we started crying.”
Als die Kamera aus ist, fließen die Tränen. Trotz der Fremdheit und obwohl David die Sprache der Yanomami nicht versteht, fühlt er sich zuhause und bleibt drei Monate. Er bekommt einen Yanomami-Namen, Anyopo-we, und lernt ein paar Vokabeln.
"Yanomami keya, Anyopo-we keya. I'm Yanomami, I'm Anyopo-we.”
Das sagt David Good heute aus voller Überzeugung. Er hat seine Yanomami-Identität angenommen und setzt sich mit seiner eigenen kleinen Organisation namens The Good Project für sein Volk ein.