David Grossman: Kommt ein Pferd in die Bar
Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer
Hanser Verlag, München 2016
252 Seiten, 19,90 Euro
Blick in die Hölle eines anderen
David Grossmans letztes Buch handelte vom Tod seines im Libanon gefallenen Sohnes. Auch wenn "Kommt ein Pferd in die Bar" nun einen Comedy-Abend in Israel erzählt, ist es kein amüsanter, sondern ein schockierend-geglückter Roman. Denn in der Komik liegen Grausamkeit und Schmerz.
Nach seinem Schmerz- und Trauerbuch "Aus der Zeit fallen" um seinen im letzten Libanon-Krieg gefallenen Sohn hat der israelische Autor David Grossman mit seinem neuen Roman radikal das Genre gewechselt. "Kommt ein Pferd in die Bar" fällt in jeder Hinsicht aus Grossmans bisherigem Œuvre heraus – scheinbar.
Erzählt wird ein Comedy-Abend im israelischen Küstenstädtchen Netanja, bestritten von einem Allein-Unterhalter und Possenreißer, dem abgewrackten Stand-up Comedian Dovele Grinstein. Das Publikum erwartet einen Schenkelklopfer-Abend voll zotiger Witze zum Grölen und Prusten und Weitererzählen. Doch der Abend entgleitet Dovele und läuft schließlich völlig aus dem Ruder. Denn Grossmans Held setzt mit seinem Nonstop-Redeschwall die Grundregel der Stand-up Comedy außer Kraft. Seine Anekdoten über komische familiäre Desaster folgen nicht den erprobten witzigen Erzählmustern der Comedy-Dramaturgie. Was Dovele hier erzählt, sind nicht wie üblich erfundene Quatsch-Geschichten über komische Alltagskatastrophen. Er erzählt vielmehr seine höchstpersönliche tragische Familiengeschichte – die Geschichte eines unglücklichen verwaisten Kindes, Sohn zweier hilfloser, verstörter Überlebender der Shoah. Seine Komik ist nur eine verzweifelte Grimasse. Und heute Abend hat er sein Publikum als Geisel genommen. Was er mit seinem sprunghaften Geschwätz und seinen nervtötenden Witzen den Leuten zumutet, ist "ein Blick in die Hölle von jemand anderem". Kein Wunder, dass sie in Scharen aus dem Saal flüchten.
Alle Hauptthemen David Grossmans versammelt
"Kommt ein Pferd in die Bar" ist ein ergreifend trauriger und grausam komischer Roman, hinter dessen Lachfalten das Elend seines Helden immer schmerzhafter hervortritt. Dieses Buch ist David Grossmans bislang riskantestes und innovativstes erzählerisches Abenteuer, immer auf Messers Schneide zwischen Farce und Tragödie, Grauen und Mitleid, Höllengelächter und Höllenpein. Und es bündelt im kurzen Erzählzeitraum einer abendlichen Comedy-Show in der Provinz so knapp wie bezwingend alle Hauptthemen des Autors Grossman – das traumatisierte Familienleben von Shoah-Überlebenden und deren Kindern in Israel, in einer durchmilitarisierten Gesellschaft im dauernden Kriegszustand, der alle Gefühle von Liebe, Freundschaft und Vertrauen beschädigt, verzerrt und entstellt.
Im Publikum sitzt Doveles ehemaliger Jugendfreund, heute ein pensionierter Richter, der ihn einst in kritischer Lage verleugnet und im Stich gelassen hat. Dovele hat ihn eingeladen, mit der Bitte, genau hinzuschauen. Dem Richter kommt der Verdacht, dass Dovele sich jetzt an ihm rächen will. Doch unerwartet sitzt im Publikum außerdem Doveles zwergwüchsiges Nachbarmädchen von einst. Mit dem liebevollen Satz "Du warst ein guter Junge" bringt ihn diese Zeugin seiner Kindheit völlig aus dem Konzept. Sie zwingt ihn, sich an die schmerzlichsten Ereignisse seiner Jugend zu erinnern und bringt so das Tiefste, Wahrhaftigste und Menschlichste in ihm zum Vorschein – seine Schuldgefühle gegenüber seinen Eltern und die herzzerreißende Liebe zu seiner armen Mutter. Vom Comedy-Standpunkt her gesehen ist das natürlich ein schockierend verunglückter Abend, aus literarischer Sicht jedoch ein schockierend geglückter Roman.