David Joselit: Nach Kunst
August Verlag, Köln 2016
120 Seiten, 19,80 Euro
Wie Kunst sich ins Leben einmischt
In der Kunst geht es heute nicht mehr um die Bedeutung eines einzelnen Kunstwerks, sondern um den Kontext, in dem es rezipiert wird. Kunst wird so als öffentlicher Raum verstanden, erklärt der Theoretiker David Joselit. So wird sie zur sozialen Praxis.
Regelmäßig wird es ausgerufen, das Ende der Kunst. Weil nichts mehr geht, weil Mittel, Medien und Material der Kunst nun wirklich erforscht, ihre Geschichte auserzählt und die Kritik ohnehin am Ende sei. Und jedes Mal geht es weiter.
Nachdem der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel dieses Schlagwort 1835 in die Welt gesetzt hatte, bringt jedes Ende der Kunst vor allem eines hervor: immer neue Kunstwerke, immer neue Kunstströmungen, immer neue Manifeste.
Die jüngste Sau, die durchs Kunstdorf getrieben wird, ist derzeit die Post-Internet-Art. Wenn nun der amerikanische Kunsttheoretiker David Joselit von der "Nach Kunst" spricht, dann nimmt er genau diese Situation einer in unseren Tagen immer neu explodierenden Kunstproduktion und eines frei drehenden Kunstmarkts auf und markiert dennoch eine Umbruchssituation, in der Künstler sich vom klassischen Werkbegriff lösen, in der Kunst anders vom Publikum rezipiert wird, in der Museen sich neu erkennen lernen, in der Kunst sich in der kulturellen Öffentlichkeit längst zu einer Leitwährung entwickelt hat und in der der Kunstmarkt eine extreme Macht ausübt.
Im Mittelpunkt von Joselits Interesse steht eine neue Auffassung des Bildes. Schon in der Moderne hatte sich das Bild vom Gegenstand der Abbildung emanzipiert. Heute aber flottieren Bilder durch das Internet und die sozialen Netzwerke, werden unabhängig vom Bildträger, unabhängig von den Orten ihrer Herstellung, werden Daten.
Kunst wird verstanden als öffentlicher Raum
Hatte Walter Benjamin noch in seinem legendären Essay "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" diesen Prozess als Verlustgeschichte beschrieben – die Aura des Kunstwerks ginge mit der Reproduzierbarkeit verloren –, so erzählt Joselit dies als Macht- und Kraftzuwachs, als Erweiterung der Kommunikation durch Bilder.
Denn Bilder werden heute – so Joselit – völlig anders verwendet. Und der Grundgedanke seines klugen kleinen Buches ist: Heute geht es nicht um die Bedeutung des Bildes und erweitert auf das Kunstwerk im Allgemeinen, nicht um die Bedeutung eines Kunstgegenstands, einer Kunstinstallation, sondern die Bedeutung erschließt sich dadurch, in welchem Kontext es rezipiert wird, was mit ihm gemacht wird.
Konkret heißt das, Kunstwerke sind nicht zu denken ohne die wirtschaftlichen und sozialen Praktiken, in denen sie wahrgenommen werden. Kunst wird hier als öffentlicher Raum verstanden. Und tatsächlich geht es vielen Gegenwartskünstlern längst nicht mehr darum, auratische Objekte herzustellen, sondern soziale Praktiken zu stiften, eine Verbindung zwischen Menschen, Bildern, Räumen und Ereignissen herzustellen, und diese Verbindungen erlebbar oder erkennbar zu machen.
Mittlerweile wird in Museen und Galerien gekocht, auf Bildern Waren- und Datenströme nachgezeichnet, Symposien zur Kunst erklärt oder gar inszeniert. Wie im Falle der kubanischen Künstlerin Tania Bruguera, die innerhalb eines ihrer Werke eine politische Podiumsdiskussion stattfinden ließ, die, wie sich erst später herausstellte, von vorher beauftragten heftigen, emotionalen Statements von "Gast-Performern" unterbrochen wurde.
Publikum wird zum Teil des Kunstwerks
Zum einen wurde das Kunst-Insider Publikum insgesamt zum Teil des Kunstwerks, Kunst und Leben gehen ineinander über. Zum anderen machte die Künstlerin auf die Vertrauensbedingungen der Rede im öffentlichen Raum und auf die Manipulierbarkeit desselben durch ideologische oder ökonomische Machtverhältnisse aufmerksam.
"Man könnte sagen", so Joselit, "Bruguera erforscht mit ihrer Kunst die Natur sozialer Bindungen oder Verbindungen."
Durch Beispiele wie diese gelingt es Joselit, die genuin politische Seite der Gegenwartskunst zu entdecken und große Bereiche der Gegenwartskunst zu erschließen. Wenn – wie der französische Ästhetiktheoretiker Nicolas Bourriaud einmal sagte – jedes einzelne Kunstwerk ein Vorschlag ist, wie wir in einer gemeinsamen Welt leben können, dann verschiebt sich naturgemäß auch die Aufgabe von Museen, die nicht Eventschuppen oder kunsthistorische Archive sind, sondern selbst zum demokratischen, öffentlichen Raum werden.
Und auch die Kritik gewinnt eine neue Dimension zurück, sie verlässt den Richterstuhl und stürzt sich ins Gewimmel der Links und Verbindungslinien, die es gilt, offenzulegen, um Kunst als elementaren Teil des gesellschaftlichen Lebens erkennbar und fruchtbar zu machen.