Nachruf David Lynch
Als Regisseur und Drehbuchautor war David Lynch vier Mal für einen Oscar nominiert, doch im Wettbewerb ging er immer leer aus. © imago / Depositphotos / Dmytro Larin
Der Meister des surrealen Kinos
11:21 Minuten
Mit Filmen wie „Blue Velvet“, „Wild at Heart“ oder „Dune“ hat David Lynch eine neue Art der Kinoerzählung geschaffen. Nicht selten irritierten seine Filme. Mit „Twin Peaks“ revolutionierte er das Fernsehen. Nun ist er mit 78 Jahren gestorben.
Ein makellos weißer Gartenzaun, darüber knallrote Rosen. „Blue Velvet“ beginnt mit hyper-ironischen Bildern amerikanischer Kleinstadt-Idylle. Doch als der biedere Held ein abgeschnittenes Ohr findet, startet ein Horrortrip, der die Illusion heiler Welt durch Bilder brutalster Perversion zerstört. Dieser Kontrast von Kitsch und Grauen irritierte 1986 Kritik und Publikum, aber der Film ebnete David Lynchs Weg zum Weltruhm.
Brüchigkeit der geordneten Kleinstadt-Welt
Wie alle seine Filme spiegelt auch „Blue Velvet“ Kindheitserfahrungen Lynchs wider: Seine Kindheit hat er immer als glücklich bezeichnet, die Eltern – der Vater Agrarwissenschaftler, die Mutter Lehrerin - waren gläubig und konservativ, aber offen für die künstlerischen Neigungen des ältesten Sohnes. Schon früh spürte der 1946 geborene, in Idaho aufgewachsene Regisseur die Brüchigkeit der geordneten Kleinstadt-Welt.
Ursprünglich wollte Lynch Maler werden
Als Schüler, erzählte Lynch, kam ihm einmal nachts auf der Straße eine verstörte nackte Frau mit blutendem Mund entgegen. Diese traumatische Begegnung verarbeitete er später in einer Szene von „Blue Velvet“. Ursprünglich aber wollte Lynch nicht zum Kino, sondern Maler werden. Er schrieb sich an der Kunsthochschule ein, brach wieder ab, jobbte und malte Tag und Nacht. Erst an der Kunsthochschule Philadelphia besuchte er regelmäßig Kurse und drehte erste Animationsfilme.
Nachdem er geheiratet hatte und zum ersten Mal Vater geworden war, wurde er 1970 am Center for Advanced Film Studies in Los Angeles angenommen. Hier entstand die Idee für „Eraserhead“. Der brillant fotografierte Film spielt in einer Art postapokalyptischer Industrielandschaft und ist surreal verrätselt. Aber die Art, mit der Urängste von Verlorenheit erzeugt werden, erschüttert bis heute. Sieben Jahre arbeitete Lynch an dem Film, seine Ehe ging darüber in die Brüche.
„Eraserhead“ entwickelte sich zum Kultfilm
Er lebte nun quasi am Set und wurde so Teil der Welt seines Films, erzählte Lynch. Und so wirkt „Eraserhead“ auch, wie ein geschlossenes gedankliches Universum. Beim Kinostart 1977 fiel der Film durch, entwickelte sich aber über die Jahre zum Kultfilm und verschaffte Lynch schließlich die Regie für den starbesetzten Historien-Film „Der Elefantenmensch“.
Danach wurde er mit dem Blockbuster „Dune“ betraut, und obwohl der Film floppte, konnte Lynch 1986 „Blue Velvet“ ganz nach seinen Vorstellungen verwirklichen. Der junge Held, Jeffrey, kommt einem Verbrechen auf die Spur und entdeckt einen Abgrund aus Gewalt und Perversion in seiner biederen Heimatstadt und entdeckt dunkle Obsessionen auch bei sich selbst.
Surreale Auflösung gewohnter Filmlogik
Lynch entwarf in „Blue Velvet“ eine postmoderne Filmwelt der Uneindeutigkeit, die mit ihrer bizarren Ästhetik voller popkultureller Zitate völlig neuartig war. Und in „Wild at Heart“ machte er 1990 aus dem Spiel mit popkulturellen Mythen ein Kino der rasenden Überwältigung: Ein junges Outlaw-Pärchen erlebt einen Parforceritt durch ein Amerika der Gewalt. Auch hier spaltete Lynch Kritik und Publikum mit einer Mischung aus kruder Brutalität und märchenhafter Künstlichkeit, die trotz aller Ironie zutiefst berührt.
Mit der epochalen Fernsehserie „Twin Peaks“ trieb er die surreale Auflösung gewohnter Filmlogik weiter, in „Lost Highway“ von 1997 verwandelt sich der Held nach der Hälfte des Films in eine andere Filmfigur. Lynch interessierte an der Geschichte, sagte er, wie der Verstand nach traumatischen Erlebnissen unbewusst die eigene Identität abspaltet. Auch in „Mulholland Drive“ von 2001 flüchtet die Heldin in eine Schein-Identität, Lynchs Figuren verweigern sich unbewusst der Wirklichkeit, aber albtraumhaft dringt die Realität immer wieder durch.
Mit diesem irritierenden Eintauchen ins Unterbewusste verbanden sich bei Lynch, der jahrzehntelang Meditation betrieb, um - wie er sagte - die Grenzen des Verstandes zu überwinden – Kunst und Leben. Nach seinem letzten Kinofilm 2006 widmete er sich wieder intensiv der Malerei und wurde mit 66 Jahren zum vierten Mal Vater.
Lynch schuf ein eigenes Filmuniversum
Wie es Lynch in seinem Filmwerk gelang, amerikanische Mythen und kollektive Ängste in ein unverkennbares, eigenes Filmuniversum zu bannen und für die große Leinwand zu inszenieren, war einzigartig. Sein Werk fand viel Nachahmung, blieb aber unerreicht. David Lynch fehlt dem Kino schmerzhaft.