David Ranan: Muslimischer Antisemitismus. Eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland?
Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Berlin 2018
224 Seiten, 19,90 Euro
Der neue Hass auf Juden?
Hetze, Mobbing, Übergriffe - Antisemitismus von Muslimen sorgt hierzulande für Schlagzeilen. Woher kommt er und inwieweit stellt er eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland dar? David Ranan ist diesen Fragen nachgegangen.
Die Nachrichten über muslimischen Antisemitismus häufen sich: Von Mobbing gegenüber jüdischen Schülern, tätlichen Angriffen auf Kippa tragende Männer, vom Skandieren antisemitischer Hassparolen auf Demonstrationen liest man in immer kürzeren Abständen in den Medien. Vor wenigen Tagen erst machte der Fall einer Attacke in Berlin-Prenzlauer Berg von sich reden.
Jüdische Organisationen sind entsetzt, Vertreter muslimischer Gemeinden distanzieren sich und rufen zum friedlichen Zusammenleben auf, die deutsche Politik versucht sich in harten Ansagen. Und die Frage, ob die Aufnahme muslimischer Flüchtlinge in großer Zahl nicht doch ein Fehler war, hat sich vom rechten Rand in Richtung Mitte der Gesellschaft bewegt.
Die Frage wird verneint
Aktueller könnte also das Buch von David Ranan über muslimischen Antisemitismus nicht sein. Um es vorwegzunehmen: Die Frage, die im Untertitel gestellt wird, ob dieser eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland sei, wird von dem Autor verneint.
Sein kritischer und unaufgeregter Ansatz ist keinesfalls geeignet, der Instrumentalisierung des muslimischen Antisemitismus für eine generelle Kritik von Muslimen oder muslimischen Migranten Vorschub zu leisten; ihn etwa als bedrohlicher als den – in den Kriminalstatistiken nach wie vor weit häufiger anzutreffenden – alteingesessenen rechtsradikalen Antisemitismus zu kategorisieren.
Juden fühlen sich unsicher in Deutschland
Ranan geht vom Befund aus, dass sich auch in Deutschland mittlerweile viele Juden zunehmend unsicher fühlen, nicht nur aufgrund der erwähnten und breit diskutierten Übergriffe, sondern auch aufgrund von Umfragen und Studien über Antisemitismus, die klar zeigen, dass dieser bei muslimischen Europäern deutlich höher ist als bei nicht-muslimischen. Ranan bestreitet diese Tatsache nicht.
Ein Großteil seines Buches besteht aus Protokollen von Interviews, die er mit 70 Muslimen in Deutschland und England geführt hat, fast alle mit höherem Bildungsgrad. Sie führen drastisch den ganzen Strauß von Vorurteilen und Verschwörungstheorien vor Augen: Juden seien reich, sie lenkten im Hintergrund die Weltpolitik, israelische Soldaten töteten gezielt Kinder und betrieben Handel mit Organen von Palästinensern etc.
Die Protokolle zeigen nicht nur den Einfluss von Verschwörungstheorie, Hass und Fake News in den sozialen Medien (oder in arabischen Staaten durchaus auch in den offiziellen Medien). Sie belegen auch einen soliden Bodensatz von implizit in den Familien vermittelten und selbst von vielen gut ausgebildeten Menschen unreflektiert übernommenen negativen Haltungen gegenüber Juden.
Import des Nahost-Konfliktes nach Europa
Was der Autor allerdings zu zeigen sucht, ist dass wir es hier weder mit einem Antisemitismus im europäischen Sinn noch mit einem religiös motiviertem Antisemitismus zu tun haben, sondern vielmehr mit einem Import des Nahost-Konfliktes nach Europa. So argumentiert er etwa, dass mit "Juden" in Israel und den arabischen Ländern gemeinhin die Israelis gemeint sind.
Das heißt: Die einfache Übertragung von Kritik an israelischer Politik auf Feindschaft gegenüber Juden insgesamt – gemeinhin als zentrales Zeichen für Antisemitismus gewertet – ist bei der arabischen Rede von "Juden" nicht unbedingt mit gemeint. Überdies steht er den gängigen Definitionen des Antisemitismus und den zu dessen Feststellung benutzten Umfragewerkzeugen skeptisch gegenüber: Ob diese nicht einen wenig hilfreichen Alarmismus befördern?
Unpolemische, gemäßigte Herangehensweise
David Ranan, dessen Vater noch Rosenzweig hieß und aus Berlin kam, ist Israeli und lebt heute zwischen London und Berlin. Seine entspannte, unpolemische und gemäßigte Herangehensweise gegenüber einem so hoch emotionalisierten Thema ist einerseits wohltuend.
Andererseits scheint sie an vielen Stellen für die Debatte in Deutschland, wo man aus bekannten Gründen gegenüber Antisemitismus nicht entspannt sein kann, nicht unbedingt weiterführend. Denn angesichts realer Gewalt gegen Juden in diesem Land ist die Frage, ob das Motiv "Antisemitismus" genannt werden muss, oder doch eher auf den ungelösten Nahost-Konflikt zurückgeht, nicht die zentrale.