David Sax: "Die Rache des Analogen. Warum wir uns nach realen Dingen sehnen"
übersetzt von Pauline Kurbasik
Residenz Verlag, Wien 2017
316 Seiten, 24,- Euro
Zurück zum Haptischen
Knapp zwölf Millionen Vinylplatten gingen 2015 in den USA über den Ladentisch. 100 Millionen 35-mm-Filmrollen wurden 2015 weltweit verkauft. Angesichts einer digitalen Omnipräsenz sind Analogtechniken wieder im Kommen, sagt der Autor David Sax.
Im Silicon Valley ist ein neuer Megatrend im Kommen. Ausgerechnet dort, wo der Siegeszug des Digitalen gepredigt wurde, hält jetzt das Analoge Einzug. Manager des Softwareunternehmens "Adobe" meditieren vor einer Fototapete mit Waldmotiv. Hightech-Firmen machen ihre Büros zu Begegnungsstätten, wo anstelle von Displays Whiteboards hängen und Stifte ausliegen.
Und der Digital-Dienst "Evernote", spezialisiert auf die papierlose Verwaltung, stellt jetzt gemeinsam mit "Moleskine" Notizbücher her.
Den kanadischen Journalisten David Sax überrascht diese Wendung nicht. Erst jetzt – da die Digitalisierung die Gesellschaft prägt – könne man überhaupt erkennen, was an ihr gut ist und was schlecht. Deshalb kommt das Digitale auch jetzt auf den Prüfstand und wird dort wieder abgeschafft, wo es die Erwartungen nicht erfüllt.
Postdigitale Wirtschaft?
Die "Rache des Analogen" nennt Sax diesen Bewusstseinswandel; Rache deshalb, weil Technologien und Praktiken, die in der Digitaleuphorie für tot erklärt wurden, im Verborgenen weiterlebten und nun ihr Comeback feiern.
Und zwar so stark, dass Sax eine "postdigitale Wirtschaft" im Entstehen sieht. Im Musikbusiness, in der Fotografie, bei Freizeitspielen oder bei Notizbüchern – überall klettern die Umsatzzahlen wieder nach oben. Knapp eine Million Vinylplatten gingen 2007 in den USA über den Ladentisch. 2015 waren es schon mehr als zwölf Millionen.
Auch das analoge Filmgeschäft läuft wieder. 100 Millionen 35-mm-Filmrollen wurden 2015 weltweit verkauft.
Da das Digitale so präsent ist, lernen wir das Analoge wieder schätzen, begründet Sax die Hinwendung zu haptischen Erlebnissen. Oft würden analoge Ansätze auch besser funktionieren. In Nashville bei United Record, bei FILM Ferrania und Moleskine in Italien – überall trifft der Journalist auf Manager, die schildern, wie sie ein Stück (analoge) Gestaltungsfreiheit und menschliches Miteinander zurück auf den Markt brachten.
Man fühle sich wie am Lagerfeuer, wenn die Schallplatte läuft oder: handgeschriebene Notizen könne man sich einfach besser merken, heißt es.
Alte Technologien erobern sich einen Nischenplatz
Auch Sax verhehlt seine Liebe zum Analogen nicht, belässt es aber anders, als viele Verfechter des Analogen, nicht beim Schwärmen. Er schärft den Blick auf das "universelle Prinzip", wonach eine neue Technologie eine alte solange verdrängt, bis sich diese einen (Nischen-)Platz zurückerobert, auf dem sich immerhin auch Geld verdienen lässt.
Das wahre Potential sieht Sax allerdings im Silicon Valley, "wo Profit und Leistung die Motoren sind". Von dort erwartet er die weitere Optimierung digitaler Dienste, indem sie mit analogen Kulturtechniken verschmolzen werden.
Diesen Prozess analysiert Sax leider nicht mehr kritisch – obwohl es gerade da spannend wird. Denn die "Rache des Analogen" könnte am Ende eine Falle sein. Indem dann nur das perfektioniert wird, was der Digitalkritiker Ewgeni Morozow zu Recht anprangert: der digitale "Solutionism", der die Optimierung des Einzelnen anstrebt, im Dienste kapitalistischer Wertschöpfung.
Mit den Verheißungen des Analogen hat das aber nichts mehr zu tun.