David Wagner: "Der vergessliche Riese"
Rowohlt-Verlag 2019
272 Seiten, 22 Euro
In der Krankheit den Vater wiederfinden
Das eigene Leben als "Steinbruch" für die Literatur: In "Der vergessliche Riese" schreibt David Wagner über die Demenz seines Vaters. Und wie den Kindern durch die Krankheit ein neues Zusammensein mit dem Vater geschenkt wird, so der Autor.
"Der Riese ist jemand, der vergisst und der auch schon einiges vergessen hat." Als der Erzähler, das Alter Ego von David Wagner, ein Kind war, war der Vater ein Riese für ihn. Jetzt ist der Riese 71, zweifach verwitwet und leidet unter Demenz.
Die Krankheit und wie sie eine ganze Familie verändert ist das Thema in David Wagners autobiografisch geprägtem Roman "Der vergessliche Riese". Und es ist auch ein Buch über eine Heimkehr, betont der Autor. Denn nach dem Tod der Mutter und der Wiederverheiratung des Vaters gab es "lange Jahre, Jahrzehnte eigentlich, in denen beiden nicht viel miteinander zu tun hatten".
Nach dem Tod der zweiten Frau bekommt der Vater Demenz und wird betreuungsbedürftig. "Die Kinder sind wieder gefragt. Ihnen wird dadurch auch ein neues Zusammensein mit dem Vater geschenkt", sagt Wagner.
Eine neue Sanftheit im Vater-Sohn-Verhältnis
Dieses neue Zusammensein erlebt der Sohn als etwas Schönes:
"Weil dieses Vergessen und dieses Verändern, sagen wir mal, dieser Schrumpfungsprozess in gewisser Weise, der innerhalb dieses Vaters stattfindet, ihn auch immer weicher, immer lieber macht und er dann auf einmal wahnsinnig gerne mit ihm zusammen ist."
Und so kommt eine neue Sanftheit ins Vater-Sohn-Verhältnis:
"Das ist ein Geschenk und ein Staunen, und dann unternehmen die zusammen Reisen im Auto und fahren herum. Meistens fahren sie zu Beerdigungen, weil der Vater hat viele Geschwister. Aber all das bringt sie sehr nah zusammen. Obwohl natürlich vom Vater selber, und das weiß er auch, nicht mehr alles da ist. Aber gerade diese weißen Flecken, die können neu beschrieben werden, durch Zusammensein und durch Erzählungen."
Ganz autobiografisch will Wagner sein Buch übrigens nicht verstanden wissen. Das eigene Leben diene ihm zwar als "Steinbruch" für die Literatur, letztlich sei die Geschichte aber doch Fiktion.
(uko)