David will zu Goliath
Montenegro ist in vielerlei Hinsicht exemplarisch für den Balkan: Das Land kämpft mit Korruption und alten Machtstrukturen, es muss verschiedene Bevölkerungsgruppen unter einen Hut bringen. Und es will in die EU.
Ljiljana Cepic präsentiert ihren ganzen Stolz: Drei Webstühle, auf denen sie und andere Frauen aus Pljevlja im Norden Montenegros Wolle verarbeiten. Sie stellen Umhängetaschen her, mit gewebten Motiven aus der Geschichte Montenegros:
"So erhalten wir die Tradition. Verbinden Tradition und Moderne. Dabei verwenden wir nur ökologische Stoffe, unbehandelte Wolle und Baumwolle. Die Produktpalette reicht von Kleidungsstücken über Tischdecken bis zu den Umhängetaschen."
Die Umhängetaschen sind als Souvenir gedacht. Vor allem für deutsche Touristen. 1000 Taschen haben die Frauen in Pljevlja schon produziert. Und Ljiljana Cepic hofft auf mehr:
"Wir haben zunächst tausend Taschen für einen Kongress mit Reiseveranstaltern aus Deutschland hergestellt. Und jetzt geht es weiter. Hier, sehen Sie, im Hintergrund erkennt man die Fahne Montenegros, hier einen Teil aus der männlichen Tracht, hier einen Teil aus der weiblichen Tracht. Wir stellen die Taschen zum ersten Mal her. Wir hoffen, damit bald auf die Liste der offiziellen staatlichen Souvenirs zu kommen. Derzeit gibt es neun offizielle Souvenirs in Montenegro, wir wollen die Nummer zehn werden. Und die Deutschen können die Taschen schon vorher haben."
Das Haus, in dem die Webstühle stehen, ist gleichzeitig ein Frauenhaus, in dem Frauen gewalttätiger Männer Zuflucht finden, die einzige Einrichtung dieser Art im traditionell geprägten Norden Montenegros.
"Speziell für das Webstuhl-Projekt haben wir Geld aus Amerika bekommen, von US Aid, und vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, UNDP."
Eine besondere Verbindung zu Deutschland empfindet Ljiljana Cepic, weil sie gerade mit einer Gruppe aus Montenegro vom deutschen Landwirtschaftsministerium eingeladen war, nach Stuttgart und Umgebung. Weil Deutschland das stärkste EU-Land ist, wie sie sagt, und Montenegro auf die EU-Mitgliedschaft hofft. Und weil von den wenigen Touristen, die hierher in den Norden kommen, die meisten Deutsche sind, gerade haben zwei deutsche Motorradfahrer in Pljevlja übernachtet:
"Der Norden Montenegros wird traditionell von der Regierung vernachlässigt. Die Arbeitslosigkeit ist besonders hoch hier. Deshalb versuche ich, wenn wir größere Aufträge haben, Frauen einzubinden, die sonst kaum mehr Chancen auf Arbeit haben."
Zum Abschied überreicht Ljiljana Cepic eine große Tüte mit allem, was Pljevlja für Besucher zu bieten hat: Stadtplan, Umgebungsplan, Hotelverzeichnis, Postkarten. Und sagt - fast entschuldigend:
"Naja, der Tourismus spielt sich nicht so sehr hier im Ort ab, eher in Zabljak (Schabljak), dem Skizentrum, und am Tara-Fluss, vor allem an der Tara-Schlucht. Und natürlich an der Küste. Aber hier kaum."
Die Tourismusbranche setzt vor allem auf die Küste, doch ohne die Berge wäre Montenegro nicht Montenegro. "Schwarzer Berg" heißt Montenegro übersetzt, der italienische Eigenname stammt aus der Zeit der Venezianer, auf montenegrinisch heißt das Land Crna Gora. Wobei montenegrinisch fast identisch mit dem Serbokroatischen ist, aber eben nur fast, aus politischen Gründen besteht das Land auf der eigenen Sprache, für das montenegrinische Alphabet wurden eigens zwei neue Buchstaben hinzugefügt.
Auch die alte Königsstadt Cetinje liegt am Berg, zwischen der Küste und der Hauptstadt Podgorica. Der Präsident des Landes hat hier seine Residenz. Auch das Oberhaupt der montenegrinisch-orthodoxen Kirche residiert in dem beschaulichen Städtchen.
"Alles, was heutzutage Montenegro bedeutet, in kulturellem, geschichtlichem, politischem Sinn, ist hier geboren."
Auch der Schriftsteller Sreten Vujovic ist in Cetinje geboren, nach Jahren im Exil in Österreich, der Schweiz und Italien ist er hierher zurückgekehrt. In einem Straßencafé, nicht weit vom Kloster, blickt er zurück:
"Na ja, wenn wir über Montenegros Geschichte sprechen möchten, dann müssen wir 1000 Jahre zurück gehen, ins 9. Jahrhundert, als zum ersten Mal Montenegro als ein Fürstentum anerkannt wurde. Nachher mit den Türken, im 14./15. Jhdt., hat sich Montenegro zurückgezogen in diese Berge, weil ein großer Teil erobert wurde. 500 Jahre hat diese schwere montenegrinische Geschichte so gedauert."
Nach dem Zerfall Jugoslawiens bildete Montenegro 1992 im Verbund mit Serbien Restjugoslawien. Erst 2006 entschied sich das Land per Referendum endgültig für die Unabhängigkeit. Das Thema war schon immer wichtig, sagt Sreten Vujovic. Aber erst 2006 hat das Land mit der Unabhängigkeit wieder den "natürlichen Zustand" erreicht, wie er meint:
"Das bedeutet, dass ein geschichtlicher Fehler wieder in Ordnung gebracht ist."
Die Zukunft des Landes, sagt er, liegt in der Europäischen Union, auch wenn es mit dem Beitritt zur EU noch dauern wird:
"Es ist wichtig, aber wir sind noch nicht bereit, und die Europäische Union weiß das genau, wir müssen uns vorbereiten. Die EU hat einige Regeln in Ökonomie, Kultur, in den politischen Beziehungen."
Vor dem größten Industriebetrieb Montenegros, dem Aluminiumschmelzwerk Kap bei Podgorica, steht die Gewerkschafterin Sandra Obradovic und ruft zum Warnstreik auf. Sie schimpft auf die russischen Investoren, die sich vor Jahren in das Werk eingekauft haben und fordert die Regierung auf, den Vertrag zu kündigen und weitere Jobverluste zu verhindern. Vukman Stozinic gehört zu den Arbeitern, die den Mut haben, dem Aufruf zu folgen:
"Ich habe nicht nur die Befürchtung, ich bin zu 90 Prozent überzeugt, dass ich überflüssig werde und meinen Arbeitsplatz verliere. Mein Wunsch wäre, dass das Kombinat so weiter macht wie bisher, wo soll ich mit meinen 55 Jahren sonst Arbeit finden?"
Im Aluminiumwerk zu streiken bedeutet, mit den Machthabern im Land auf Konfrontation zu gehen. Seit mehr als 20 Jahren regiert in Montenegro dieselbe Partei, zieht derselbe Mann die Fäden, abwechselnd als Regierungschef, Präsident und Parteichef: Milo Djukanovic. Kritiker sagen, er führe das Land wie einen Familienbetrieb, autoritär und mit finanziellem Profit für sich und die Verwandtschaft. Das heißt, gerade das Aluminiumwerk Kap steht als größter Industriebetrieb unter Regierungseinfluss. Im Interview erklärt Gewerkschaftschefin Sandra Obradovic, warum sie sich mit der Regierung anlegt:
"Der unmittelbare Grund für den Warnstreik bei Kap sind die Schulden, die das Aluminiumwerk angesammelt hat. Weil die russischen Investoren die Stromrechnungen nicht bezahlen, begrenzt die italienische Versorgerfirma die Energiezufuhr. Wir sind gezwungen, die Produktion zu drosseln, immer mehr Arbeitsplätze geraten in Gefahr. Es geht um Stromschulden von mehr als 50 Millionen Euro."
Mit Schikanen, wie Arbeitsinspektionen in den Gewerkschaftsbüros, macht die Regierung ihr das Leben zusätzlich schwer. Sich für Gesundheitsschutz im Aluminiumwerk einzusetzen, ist ohnehin schwer genug:
"Bei uns wird generell wenig in Umwelt- und Arbeitsschutz investiert. Die Aluminiumproduktion ist eine schmutzige Industrie. Investiert wird bisher nur in Schutzkleidung. Was es nicht gibt, sind etwa Filter, die die Abgase auffangen. Viele unserer Beschäftigten sind an Asthma erkrankt, manche sind schon Arbeitsinvaliden. Für unseren Lohn verkaufen wir unsere Gesundheit."
Wer einen Arbeitsplatz hat, ist trotzdem froh, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Was die Regierungspartei vor den jüngsten Parlamentswahlen wie gewohnt genutzt hat. Da haben Parteifunktionäre schon mal mit Entlassung gedroht, wenn man nicht Djukanovics DPS wählt. Oder es wurde schlicht Bargeld bezahlt, 40 bis 50 Euro für eine Stimme. Wer so etwas ablehnt in Montenegro, bekommt Probleme, wer annimmt, ist Teil des korrupten Systems und schweigt. Auch neue Straßen wurden vor den Wahlen versprochen. Gleichzeitig öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter, sagt Sandra Obradovic.
"Ich habe die Versprechungen satt. Es war auch früher, zu jugoslawischen Zeiten nicht einfach, aber jetzt ist es besonders schwer. Ich verstehe nicht, wie die Regierung immer noch vor Wahlen Stimmen kaufen und die gleichen Versprechungen machen kann. Aber so funktioniert es schon immer hier, und so wird es bleiben."
Die Menschen durchschauen das System sehr wohl, aber sie kennen es nicht anders. Deshalb hofft sie auf den Einfluss der EU.
"Wir sind ein kleiner Staat, jeder kennt jeden, so entstehen die Wege bzw. Umwege, sich nicht nach Recht und Gesetz zu richten, sondern das Gesetz zu umgehen, zu knacken. Leider ist es so."
Die deutlichste Kritik an Djukanovic ist in zwei auflagenstarken Zeitungen des Landes nachzulesen: "Dan", übersetzt "Der Tag" und "Vijesti", "Nachrichten":
Genau hier, auf der Straße vor dem Redaktionsgebäude der Zeitung "Dan" ist vor Jahren ein Aufsehen erregender Mord passiert. Am 27. Mai 2004 wurde "Dan"-Chefredakteur Dusko Jovanovic aus einem vorbeifahrenden Auto heraus erschossen.
Auch mehr als acht Jahre später ist dieser Mord nicht aufgeklärt, Und deshalb, sagt Nikola Markovic, heute stellvertretender Chefredakteur, druckt "Dan" Tag für Tag weiter auf Seite eins das Foto des ermordeten Ex-Chefs, daneben die Frage: "Wer hat Dusko Jovanovic ermordet?" Die Frage ist eine tägliche Anklage gegen die Regierung. Denn die Mörder von damals werden im Umfeld von organisierter Kriminalität und Geheimdienst vermutet und so zumindest indirekt mit dem starken Mann Montenegros, Milo Djukanovic, in Verbindung gebracht. Ihm hatte der ermordete Chefredakteur immer wieder Nähe zur organisierten Kriminalität, zu Zigaretten- und Drogenmafia vorgeworfen. Ihm wirft die Zeitung "Dan" auch heute Korruption und Vetternwirtschaft vor. Das jüngste Beispiel, sagt Nikola Markovic, ist die Telekom-Affäre:
"Ich werde selbst verdächtigt, in der Telekom-Affäre Staatsgeheimnisse enthüllt zu haben. Darauf stehen in Montenegro bis zu acht Jahre Haft. Ich erhielt Besuch von einem Sonderstaatsanwalt. Beim Verkauf der staatlichen Telefongesellschaft Montenegros an ein Tochterunternehmen der deutschen Telekom sind offenbar Schmiergelder in Millionenhöhe geflossen, auch an die Schwester von Djukanovic, die als Anwältin ausländische Firmen vertritt. Ich habe das als erster enthüllt, wurde vom Sonderstaatsanwalt gedrängt, meine Informanten zu nennen, habe aber meine Quellen nicht preisgegeben."
Die Schwester Djukanovics hat die Zeitung wegen Verleumdung verklagt, Nikola Markovic hat auch Drohungen erhalten. Doch um sein Leben, wie sein früherer Chef, muss er nicht fürchten, sagt er. Die Zeiten haben sich geändert, dank der Europäischen Union:
"2004, als mein Freund und Chefredakteur ermordet wurde, war Montenegro noch weitgehend isoliert. Die Europäische Union hat sich kaum für den Demokratisierungsprozess hier interessiert. Damals konnte man für die Enthüllung von Affären noch erschossen werden. Die Machthaber konnten tun, was sie wollten. Ich veröffentliche heute Details über Affären gleicher Intensität. Aber mich werden sie sicher nicht erschießen. Mich können sie höchstens zu Geldstrafen verurteilen. Das ist die Folge der Öffnung Montenegros zur Europäischen Union und des Einflusses, den die EU auf Montenegro hat."
Beide regierungskritische Zeitungen, "Dan" und "Vijesti" haben zusammen einen Marktanteil von deutlich über 50 Prozent. Doch die jüngsten Parlamentswahlen hat erneut Djukanovics DPS gewonnen. Warum? Auch, weil die Opposition gespalten bleibt und weil sich zu viele Oppositions-Abgeordnete von Vergünstigungen wie ihren Dienstwagen korrumpieren lassen, es sich im bestehenden System bequem machen, sagt Markovic:
"Im Grunde regieren hier seit 1945 die gleichen Leute, Djukanovics DPS ist nach 1990 aus den alten Kommunisten hervorgegangen. Und seitdem hat es keinen Machtwechsel gegeben."
Auch wenn es bei den jüngsten Wahlen wieder nicht zum Machtwechsel gekommen ist, früher oder später wird es passieren, meint Markovic zwischen zwei Telefonanrufen. Mit den EU-Beitrittsgesprächen habe sich Djukanovic sein eigenes Grab geschaufelt:
"Djukanovic ist an einem kritischen Punkt seiner Karriere angelangt. Als er sich Ender der 90er-Jahre von Serbiens Ex-Präsident Milosevic lossagte, hat er sich in Richtung EU orientiert. Doch je mehr er sich der EU nähert, desto näher rückt auch sein politisches Ende. Weil er kein Politiker ist, der europäische Standards erfüllt."
Von welcher Titelseite seiner Zeitung träumt er? Nikola Markovic weiß es genau. Irgendwann, sagt er, wird es so kommen:
"Die ganze erste Seite leer. Bis auf ein Foto, das Djukanovic von hinten zeigt. Darunter steht: 'Er ist weg‘."
"So erhalten wir die Tradition. Verbinden Tradition und Moderne. Dabei verwenden wir nur ökologische Stoffe, unbehandelte Wolle und Baumwolle. Die Produktpalette reicht von Kleidungsstücken über Tischdecken bis zu den Umhängetaschen."
Die Umhängetaschen sind als Souvenir gedacht. Vor allem für deutsche Touristen. 1000 Taschen haben die Frauen in Pljevlja schon produziert. Und Ljiljana Cepic hofft auf mehr:
"Wir haben zunächst tausend Taschen für einen Kongress mit Reiseveranstaltern aus Deutschland hergestellt. Und jetzt geht es weiter. Hier, sehen Sie, im Hintergrund erkennt man die Fahne Montenegros, hier einen Teil aus der männlichen Tracht, hier einen Teil aus der weiblichen Tracht. Wir stellen die Taschen zum ersten Mal her. Wir hoffen, damit bald auf die Liste der offiziellen staatlichen Souvenirs zu kommen. Derzeit gibt es neun offizielle Souvenirs in Montenegro, wir wollen die Nummer zehn werden. Und die Deutschen können die Taschen schon vorher haben."
Das Haus, in dem die Webstühle stehen, ist gleichzeitig ein Frauenhaus, in dem Frauen gewalttätiger Männer Zuflucht finden, die einzige Einrichtung dieser Art im traditionell geprägten Norden Montenegros.
"Speziell für das Webstuhl-Projekt haben wir Geld aus Amerika bekommen, von US Aid, und vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, UNDP."
Eine besondere Verbindung zu Deutschland empfindet Ljiljana Cepic, weil sie gerade mit einer Gruppe aus Montenegro vom deutschen Landwirtschaftsministerium eingeladen war, nach Stuttgart und Umgebung. Weil Deutschland das stärkste EU-Land ist, wie sie sagt, und Montenegro auf die EU-Mitgliedschaft hofft. Und weil von den wenigen Touristen, die hierher in den Norden kommen, die meisten Deutsche sind, gerade haben zwei deutsche Motorradfahrer in Pljevlja übernachtet:
"Der Norden Montenegros wird traditionell von der Regierung vernachlässigt. Die Arbeitslosigkeit ist besonders hoch hier. Deshalb versuche ich, wenn wir größere Aufträge haben, Frauen einzubinden, die sonst kaum mehr Chancen auf Arbeit haben."
Zum Abschied überreicht Ljiljana Cepic eine große Tüte mit allem, was Pljevlja für Besucher zu bieten hat: Stadtplan, Umgebungsplan, Hotelverzeichnis, Postkarten. Und sagt - fast entschuldigend:
"Naja, der Tourismus spielt sich nicht so sehr hier im Ort ab, eher in Zabljak (Schabljak), dem Skizentrum, und am Tara-Fluss, vor allem an der Tara-Schlucht. Und natürlich an der Küste. Aber hier kaum."
Die Tourismusbranche setzt vor allem auf die Küste, doch ohne die Berge wäre Montenegro nicht Montenegro. "Schwarzer Berg" heißt Montenegro übersetzt, der italienische Eigenname stammt aus der Zeit der Venezianer, auf montenegrinisch heißt das Land Crna Gora. Wobei montenegrinisch fast identisch mit dem Serbokroatischen ist, aber eben nur fast, aus politischen Gründen besteht das Land auf der eigenen Sprache, für das montenegrinische Alphabet wurden eigens zwei neue Buchstaben hinzugefügt.
Auch die alte Königsstadt Cetinje liegt am Berg, zwischen der Küste und der Hauptstadt Podgorica. Der Präsident des Landes hat hier seine Residenz. Auch das Oberhaupt der montenegrinisch-orthodoxen Kirche residiert in dem beschaulichen Städtchen.
"Alles, was heutzutage Montenegro bedeutet, in kulturellem, geschichtlichem, politischem Sinn, ist hier geboren."
Auch der Schriftsteller Sreten Vujovic ist in Cetinje geboren, nach Jahren im Exil in Österreich, der Schweiz und Italien ist er hierher zurückgekehrt. In einem Straßencafé, nicht weit vom Kloster, blickt er zurück:
"Na ja, wenn wir über Montenegros Geschichte sprechen möchten, dann müssen wir 1000 Jahre zurück gehen, ins 9. Jahrhundert, als zum ersten Mal Montenegro als ein Fürstentum anerkannt wurde. Nachher mit den Türken, im 14./15. Jhdt., hat sich Montenegro zurückgezogen in diese Berge, weil ein großer Teil erobert wurde. 500 Jahre hat diese schwere montenegrinische Geschichte so gedauert."
Nach dem Zerfall Jugoslawiens bildete Montenegro 1992 im Verbund mit Serbien Restjugoslawien. Erst 2006 entschied sich das Land per Referendum endgültig für die Unabhängigkeit. Das Thema war schon immer wichtig, sagt Sreten Vujovic. Aber erst 2006 hat das Land mit der Unabhängigkeit wieder den "natürlichen Zustand" erreicht, wie er meint:
"Das bedeutet, dass ein geschichtlicher Fehler wieder in Ordnung gebracht ist."
Die Zukunft des Landes, sagt er, liegt in der Europäischen Union, auch wenn es mit dem Beitritt zur EU noch dauern wird:
"Es ist wichtig, aber wir sind noch nicht bereit, und die Europäische Union weiß das genau, wir müssen uns vorbereiten. Die EU hat einige Regeln in Ökonomie, Kultur, in den politischen Beziehungen."
Vor dem größten Industriebetrieb Montenegros, dem Aluminiumschmelzwerk Kap bei Podgorica, steht die Gewerkschafterin Sandra Obradovic und ruft zum Warnstreik auf. Sie schimpft auf die russischen Investoren, die sich vor Jahren in das Werk eingekauft haben und fordert die Regierung auf, den Vertrag zu kündigen und weitere Jobverluste zu verhindern. Vukman Stozinic gehört zu den Arbeitern, die den Mut haben, dem Aufruf zu folgen:
"Ich habe nicht nur die Befürchtung, ich bin zu 90 Prozent überzeugt, dass ich überflüssig werde und meinen Arbeitsplatz verliere. Mein Wunsch wäre, dass das Kombinat so weiter macht wie bisher, wo soll ich mit meinen 55 Jahren sonst Arbeit finden?"
Im Aluminiumwerk zu streiken bedeutet, mit den Machthabern im Land auf Konfrontation zu gehen. Seit mehr als 20 Jahren regiert in Montenegro dieselbe Partei, zieht derselbe Mann die Fäden, abwechselnd als Regierungschef, Präsident und Parteichef: Milo Djukanovic. Kritiker sagen, er führe das Land wie einen Familienbetrieb, autoritär und mit finanziellem Profit für sich und die Verwandtschaft. Das heißt, gerade das Aluminiumwerk Kap steht als größter Industriebetrieb unter Regierungseinfluss. Im Interview erklärt Gewerkschaftschefin Sandra Obradovic, warum sie sich mit der Regierung anlegt:
"Der unmittelbare Grund für den Warnstreik bei Kap sind die Schulden, die das Aluminiumwerk angesammelt hat. Weil die russischen Investoren die Stromrechnungen nicht bezahlen, begrenzt die italienische Versorgerfirma die Energiezufuhr. Wir sind gezwungen, die Produktion zu drosseln, immer mehr Arbeitsplätze geraten in Gefahr. Es geht um Stromschulden von mehr als 50 Millionen Euro."
Mit Schikanen, wie Arbeitsinspektionen in den Gewerkschaftsbüros, macht die Regierung ihr das Leben zusätzlich schwer. Sich für Gesundheitsschutz im Aluminiumwerk einzusetzen, ist ohnehin schwer genug:
"Bei uns wird generell wenig in Umwelt- und Arbeitsschutz investiert. Die Aluminiumproduktion ist eine schmutzige Industrie. Investiert wird bisher nur in Schutzkleidung. Was es nicht gibt, sind etwa Filter, die die Abgase auffangen. Viele unserer Beschäftigten sind an Asthma erkrankt, manche sind schon Arbeitsinvaliden. Für unseren Lohn verkaufen wir unsere Gesundheit."
Wer einen Arbeitsplatz hat, ist trotzdem froh, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Was die Regierungspartei vor den jüngsten Parlamentswahlen wie gewohnt genutzt hat. Da haben Parteifunktionäre schon mal mit Entlassung gedroht, wenn man nicht Djukanovics DPS wählt. Oder es wurde schlicht Bargeld bezahlt, 40 bis 50 Euro für eine Stimme. Wer so etwas ablehnt in Montenegro, bekommt Probleme, wer annimmt, ist Teil des korrupten Systems und schweigt. Auch neue Straßen wurden vor den Wahlen versprochen. Gleichzeitig öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter, sagt Sandra Obradovic.
"Ich habe die Versprechungen satt. Es war auch früher, zu jugoslawischen Zeiten nicht einfach, aber jetzt ist es besonders schwer. Ich verstehe nicht, wie die Regierung immer noch vor Wahlen Stimmen kaufen und die gleichen Versprechungen machen kann. Aber so funktioniert es schon immer hier, und so wird es bleiben."
Die Menschen durchschauen das System sehr wohl, aber sie kennen es nicht anders. Deshalb hofft sie auf den Einfluss der EU.
"Wir sind ein kleiner Staat, jeder kennt jeden, so entstehen die Wege bzw. Umwege, sich nicht nach Recht und Gesetz zu richten, sondern das Gesetz zu umgehen, zu knacken. Leider ist es so."
Die deutlichste Kritik an Djukanovic ist in zwei auflagenstarken Zeitungen des Landes nachzulesen: "Dan", übersetzt "Der Tag" und "Vijesti", "Nachrichten":
Genau hier, auf der Straße vor dem Redaktionsgebäude der Zeitung "Dan" ist vor Jahren ein Aufsehen erregender Mord passiert. Am 27. Mai 2004 wurde "Dan"-Chefredakteur Dusko Jovanovic aus einem vorbeifahrenden Auto heraus erschossen.
Auch mehr als acht Jahre später ist dieser Mord nicht aufgeklärt, Und deshalb, sagt Nikola Markovic, heute stellvertretender Chefredakteur, druckt "Dan" Tag für Tag weiter auf Seite eins das Foto des ermordeten Ex-Chefs, daneben die Frage: "Wer hat Dusko Jovanovic ermordet?" Die Frage ist eine tägliche Anklage gegen die Regierung. Denn die Mörder von damals werden im Umfeld von organisierter Kriminalität und Geheimdienst vermutet und so zumindest indirekt mit dem starken Mann Montenegros, Milo Djukanovic, in Verbindung gebracht. Ihm hatte der ermordete Chefredakteur immer wieder Nähe zur organisierten Kriminalität, zu Zigaretten- und Drogenmafia vorgeworfen. Ihm wirft die Zeitung "Dan" auch heute Korruption und Vetternwirtschaft vor. Das jüngste Beispiel, sagt Nikola Markovic, ist die Telekom-Affäre:
"Ich werde selbst verdächtigt, in der Telekom-Affäre Staatsgeheimnisse enthüllt zu haben. Darauf stehen in Montenegro bis zu acht Jahre Haft. Ich erhielt Besuch von einem Sonderstaatsanwalt. Beim Verkauf der staatlichen Telefongesellschaft Montenegros an ein Tochterunternehmen der deutschen Telekom sind offenbar Schmiergelder in Millionenhöhe geflossen, auch an die Schwester von Djukanovic, die als Anwältin ausländische Firmen vertritt. Ich habe das als erster enthüllt, wurde vom Sonderstaatsanwalt gedrängt, meine Informanten zu nennen, habe aber meine Quellen nicht preisgegeben."
Die Schwester Djukanovics hat die Zeitung wegen Verleumdung verklagt, Nikola Markovic hat auch Drohungen erhalten. Doch um sein Leben, wie sein früherer Chef, muss er nicht fürchten, sagt er. Die Zeiten haben sich geändert, dank der Europäischen Union:
"2004, als mein Freund und Chefredakteur ermordet wurde, war Montenegro noch weitgehend isoliert. Die Europäische Union hat sich kaum für den Demokratisierungsprozess hier interessiert. Damals konnte man für die Enthüllung von Affären noch erschossen werden. Die Machthaber konnten tun, was sie wollten. Ich veröffentliche heute Details über Affären gleicher Intensität. Aber mich werden sie sicher nicht erschießen. Mich können sie höchstens zu Geldstrafen verurteilen. Das ist die Folge der Öffnung Montenegros zur Europäischen Union und des Einflusses, den die EU auf Montenegro hat."
Beide regierungskritische Zeitungen, "Dan" und "Vijesti" haben zusammen einen Marktanteil von deutlich über 50 Prozent. Doch die jüngsten Parlamentswahlen hat erneut Djukanovics DPS gewonnen. Warum? Auch, weil die Opposition gespalten bleibt und weil sich zu viele Oppositions-Abgeordnete von Vergünstigungen wie ihren Dienstwagen korrumpieren lassen, es sich im bestehenden System bequem machen, sagt Markovic:
"Im Grunde regieren hier seit 1945 die gleichen Leute, Djukanovics DPS ist nach 1990 aus den alten Kommunisten hervorgegangen. Und seitdem hat es keinen Machtwechsel gegeben."
Auch wenn es bei den jüngsten Wahlen wieder nicht zum Machtwechsel gekommen ist, früher oder später wird es passieren, meint Markovic zwischen zwei Telefonanrufen. Mit den EU-Beitrittsgesprächen habe sich Djukanovic sein eigenes Grab geschaufelt:
"Djukanovic ist an einem kritischen Punkt seiner Karriere angelangt. Als er sich Ender der 90er-Jahre von Serbiens Ex-Präsident Milosevic lossagte, hat er sich in Richtung EU orientiert. Doch je mehr er sich der EU nähert, desto näher rückt auch sein politisches Ende. Weil er kein Politiker ist, der europäische Standards erfüllt."
Von welcher Titelseite seiner Zeitung träumt er? Nikola Markovic weiß es genau. Irgendwann, sagt er, wird es so kommen:
"Die ganze erste Seite leer. Bis auf ein Foto, das Djukanovic von hinten zeigt. Darunter steht: 'Er ist weg‘."