Davide Longo: Die jungen Bestien
Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner
Rowohlt, Hamburg 2020
412 Seiten, 22 Euro
Bleierne Zeiten
02:38 Minuten
Schatten der 70er: Davide Longo erzählt in seinem Kriminalroman "Die jungen Bestien" von den Verwüstungen, die rechter und linker Terror in Italien hinterlassen haben. Ein erhellendes Buch über dunkle Jahre.
Wenn vom "tiefen Staat" die Rede ist, dann ist damit meistens eine Verschwörungstheorie rechter Dämonisierer gemeint. Analytische Kraft hingegen besitzt hingegen die Vorstellung vom "tiefen Staat" für die sogenannten "bleiernen Jahre" in Italien.
Damals arbeiteten im bis heute nicht vollständig erschlossenen Unter- und Hintergrund alte Faschisten, rechte Geheimdienstler und von Teilen der CIA gesteuerte Kalte Krieger daran, mit terroristischen Anschlägen ein Bedrohungsgefühl zu erzeugen, das das vermeintlich vom Kommunismus bedrohte Italien stramm auf Westkurs halten sollte.
Diese politischen Leichen im Keller der italienischen Geschichte sind es, die in Davide Longos jüngstem Kriminalroman "Die jungen Bestien" wieder ans Licht gezerrt werden.
Einer linken Gruppe auf der Spur
Beim Neubau der Bahnstrecke Mailand-Turin werden zehn Skelette gefunden, die schnell von den übergeordneten Polizeibehörden als Opfer des Zweiten Weltkriegs eingeordnet werden.
Doch Commissario Arcadipane glaubt das nicht und stößt mit Unterstützung einer unangepassten und computeraffinen Kollegin sowie seines alten Mentors Bramard auf die Spur einer linken Gruppe, die in den 70er-Jahren einen Brandanschlag auf das Büro der Neofaschisten unternommen und dabei unabsichtlich einen Menschen getötet hat.
Gier nach einer Propaganda der Tat
Diese Spur führt zurück in die unübersichtliche Gemengelage einer Zeit, in der nicht nur frustrierte junge Linke, sondern eben auch im Hintergrund operierende Staatsschützer nach einer Propaganda der Tat gierten.
Die "bleiernen Jahre" sind eine schwärende Wunde im Bewusstsein der italienischen Gesellschaft. Daher werden sie immer wieder von Autoren wie Giancarlo de Cataldo, Carlo Lucarelli oder Paolo Roversi thematisiert.
Davide Longo interessiert die Vergegenwärtigung des Leides jener Jahre. Dazu bedient er sich einer – manchmal bemühten – intensiven, literarischen Sprache und schildert die privaten Lebensumstände seiner Protagonisten, was im Falle der persönlichen Probleme seines Commissario etwas zu ausschweifend gerät.
Doch Longo fesselt nicht nur durch die erneute literarische Erhellung der widersprüchlichen Fronten jener dunklen Zeit, sondern auch durch die entschiedene Sanftheit, mit der er die Wunden in den Biografien der Überlebenden vernarben lässt.
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