"Ausgraben und Aufstellen"
Ein 19 Meter hohes Lenin-Denkmal war 1991 in mehr als 100 Einzelteile zersägt und am Stadtrand von Berlin vergraben worden. Jetzt soll der Granitkopf der Statue in einer Ausstellung gezeigt werden und soll damit auch zur Diskussion über DDR-Geschichte anregen.
Julius Stucke: Berlin hat manchmal ein, sagen wir mal, schwieriges Verhältnis zur eigenen Geschichte. Den Palast der Republik als Teil der Geschichte, den hat man verbannt, hat ihn abgetragen. Ein älteres Stück Geschichte, das holt man an der selben Stelle wieder hervor und baut es auf. Das Stadtschloss. Geschichte ist also offenbar nicht gleich Geschichte. Und eine besonders krude Geschichte ist die mit dem Kopf Lenins. Mannshoch, dreieinhalb Tonnen schwer und Teil einer 19 Meter großen Statue. Die stand in Ostberlin, wurde 1991 abgetragen und in 129 Einzelteilen verbuddelt.
Und so ruhten Lenins Graniteinzelteile dann jahrelang, bis die Idee kam, den Kopf auszugraben und zum Teil einer Dauerausstellung zu machen. Und damit begann, um es kurz zu machen, eine typische Berlin-Geschichte: Es hieß erst, man wolle ihn doch nicht ausgraben, wisse gar nicht genau, wo er liegt, und nun will man es doch. Hin und her also und Grund genug für uns, die Frage zu stellen, welche Geschichte gehört in die Öffentlichkeit oder nicht. Wir tun das mit dem Kunsthistoriker Martin Schönfeld, der sich mit diesem Kopf im Speziellen und mit Kunst im öffentlichen Raum im Allgemeinen befasst. Hallo, Herr Schönfeld!
Martin Schönfeld: Einen schönen guten Tag!
Stucke: Geschichte ausgraben oder Geschichte begraben. Gibt es da für Sie eine Regel, was ist wann sinnvoll?
Schönfeld: Nein. Grundsätzlich also, das muss man im Einzelfall betrachten, grundsätzlich bin ich eher dafür, Geschichte auszugraben und zu präsentieren und zu thematisieren.
Stucke: Und in diesem konkreten Fall, also Lenins Kopf als Teil einer Dauerausstellung in Spandau – das halten Sie dann auch für eine gute Idee?
Kopf der Lenin-Statue gehört zur Denkmalskultur im früheren Osten
Schönfeld: Selbstverständlich. Weil dies eine wissenschaftlich fundierte, dokumentarische Ausstellung werden wird, die über die Geschichte der Denkmalskultur im Land Berlin berichten wird, in historischer Dimension zurückblickend auf die letzten 200, 250 Jahre. Und in diesem Zusammenhang gehört selbstverständlich auch ein solches Dokument zur Verdeutlichung der Denkmalskultur im früheren Ostberlin mit hinzu.
Stucke: Stichwort Ostberlin, Geschichte der DDR – kann man da sagen, dass wir da im Allgemeinen, also Denkmäler, Bauten, Straßennamen, viel zu viel verbannt und begraben haben, anstatt uns damit aktiv im öffentlichen Raum auseinanderzusetzen?
Schönfeld: Es sind realiter nur zwei, drei, vier Denkmäler, Denkmalskulpturen aus dem öffentlichen Raum ganz bewusst entfernt worden. Und von daher ist nicht zu viel verbannt worden, es sind noch genügend Punkte, Anreize da, sodass man darüber diskutieren und auch die Vergangenheit reflektieren kann. Nun ist aber der Lenin und das Lenin-Denkmal ist nur ein ganz besonders prominentes Stück und auch ein ganz wesentliches, was also auch über Lenin bei Weitem hinausreicht, über die Erinnerung an Lenin als Politiker, sondern vielmehr das Verhältnis der DDR zu seiner Schutzmacht Sowjetunion thematisiert und eher ein Zeugnis auch des Denkmalsetzers, nämlich Walter Ulbrichts ist und ganz zuletzt natürlich, ganz wesentlich auch im Zusammenhang von Architektur und Stadtplanung betrachtet werden muss. Und deshalb ist es auch hier in diesem Fall sehr wichtig, dass man darüber weiter diskutiert, über ein solches Monument, wie mit dem Monument umgegangen worden ist, und seine Geschichte und heutige Bedeutung.
Abbau der Statue war politisch motivierter Akt
Stucke: Stichwort Architektur und Stadtplanung: Spielt denn bei dem Umgang mit solchen Dingen auch Ästhetik eine Rolle? Also passt realsozialistische Ästhetik nicht mehr so gut in die heutige Zeit? Spielt das eine Rolle?
Schönfeld: Selbstverständlich. Allerdings, der Abbau des Lenin-Denkmals war ein ganz primär politisch motivierter Akt. Es war ein verspäteter Denkmalsturz. Die Bürger der DDR orientierten ihre Frustration auf die sie eigentlich einengenden Monumente und Institutionen, auf die Mauer. Die wurde gestürmt und gestürzt. Oder auf die Staatssicherheitsbehörde. Die wurde gestürmt, und die Akten wurden zugänglich gemacht. Demgegenüber spielten die Denkmäler, die politischen Denkmalsetzungen eine sekundäre Rolle.
Stucke: Aber Sie haben die Mauer genannt. Da ist man dann ja nachher dann doch manchmal ein bisschen traurig, dass sie dann eben doch an so vielen Stellen verschwunden ist und man sich eben nicht mehr so wirklich anhand eines konkreten Objekts erinnern kann, oder? Auch wenn es Erinnern ist an eine schlechte Zeit.
Abriss des Palastes der Republik war "Affektreaktion"
Schönfeld: Genau das ist ja auch der Fakt mit Lenin. Also Lenin als historische Person ist absolut umstritten, und es gibt natürlich selbstverständlich und sehr berechtigt viel Kritik auch an Lenin und seiner Politik. Und deswegen ist es so schade, dass ein solches Dokument heute nicht mehr existiert. Umso dringlicher ist darauf zu verweisen, dass es dieses Dokument gegeben hat und damit auch wieder zu thematisieren und darüber zu diskutieren.
Stucke: Würden Sie sagen, da gibt es dann trotzdem solche und solche Geschichte? Also, was ist zum Beispiel mit dem Dritten Reich?
Schönfeld: Die Zeit des Nationalsozialismus wird ja thematisiert. Es finden Ausstellungen statt, es gibt Dokumentationszentren, "Topografie des Terrors" und so weiter, das kennen Sie alles. Selbstverständlich wird darüber auch gesprochen und wird das thematisiert. Und deswegen kommen ja ganz viele Besucher nach Berlin, um eben die historischen Themen hier in der Stadt dargestellt und vermittelt zu bekommen.
Stucke: Die Frage, was da in den öffentlichen Raum passt oder nicht – ist die auch gewissen Moden unterworfen? Also, hätte man in einer anderen Zeit vielleicht anders entschieden über den Abriss des Palastes der Republik und den Neuaufbau des Stadtschlosses?
Schönfeld: Selbstverständlich. Das ist ja eine Affektreaktion, der Abriss des Palastes der Republik. Geboren aus der retrospektiven Ablehnung des Staates DDR und mit dem Bewusstsein, wir wollen jetzt ein neues Berlin gründen, und das ist selbstverständlich alles eine Frage der Zeit. Und damals, Anfang der 1990er-Jahre, wurde ja auch vonseiten der Bezirksverordnetenversammlung des damaligen Bezirkes Prenzlauer Berg entschieden, dass das Thälmann-Denkmal, das ja heute noch existiert, nicht erhalten werden sollte.
Es gab auch damals eine Fachkommission zum Umgang mit den politischen Denkmälern der DDR, die empfohlen hatte, den Abbau des Thälmann-Denkmals zu praktizieren. Aus verschiedenen Gründen ist das Thälmann-Denkmal erhalten geblieben an seinem originalen Standort, und heute kann man damit ganz anders umgehen. Man hat eine zeitliche Distanz zu dem historischen Affekt, zu der politischen Veränderung von 1991/1992, und das eröffnet ganz andere Handlungsmöglichkeiten.
Nicht in Zeiten des Umbruchs entscheiden
Stucke: Das heißt, man sollte als Lehre der ganzen Geschichte vielleicht ziehen, dass man in Fällen von Umbrüchen erst mal ein bisschen Zeit ins Land gehen lässt und nicht sofort aus Affekt entscheidet, das soll weg?
Schönfeld: Genau. Also, das ist sowieso immer sinnvoll, mit Weitsicht und Vernunft zu argumentieren und zu handeln.
Stucke: Martin Schönfeld vom Büro für Kunst im öffentlichen Raum über Lenins Kopf im Speziellen und Geschichtsspuren in der Öffentlichkeit im Allgemeinen. Ich danke Ihnen fürs Gespräch, Herr Schönfeld!
Schönfeld: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.