DDR-Erbe

Marx, Engels und Lenin in der Bundeswehr-Akademie

Mosaik im Foyer der Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation in Strausberg
Akademie der Bundeswehr Strausberg © Bundeswehr/Marco Parge
Von Klaus Pokatzky |
In der Bundeswehr-Akademie in Strausberg gibt es ein riesiges Mosaik aus DDR-Zeiten − ein Erbe der Nationalen Volksarmee, die hier ein Tagungszentrum hatte. Die Köpfe dreier wohlbekannter Herren sollen ein "Moment der Irritation" schaffen.
Gestern haben sie wieder hinter mir her geguckt, die drei; als ich nach der Arbeit an ihnen vorbeilief: der Karl, der Friedrich und der Wladimir. Die drei an der Wand dominieren ein Mosaik, neun Meter breit, drei Meter hoch: so groß wie ein sehr geräumiges Zimmer. Ihre Köpfe ruhen auf einem roten Band, das die Erdhalbkugel umschlingt. Links ist noch etwas blaues Weltall zu sehen. Motto: "Es geht um die Erde ein rotes Band."
Immer, wenn ich nun die Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation betrete und da den Soldaten beibringen soll, wie sie sich vor meinem Mikrofon möglichst verständlich und möglichst freundlich präsentieren – dann sehe ich erst einmal im Foyer den Marx, den Engels und den Lenin. Bis vor drei Wochen konnten sie mich nicht sehen. Ich sie auch nicht. Da war ein Vorhang zwischen uns. Aus Lamellen. Der wurde manchmal weggezogen, wenn Besuchergruppen durch die Akademie geführt wurden. Dann konnten die drei mit dem weltumspannenden roten Band mich ganz kurz sehen. Und ich sie auch. Noch früher, in der Nachwendezeit, waren wir sogar durch eine Leichtbauwand vor ihren Blicken geschützt – die ideologische Infektionsgefahr war wohl noch zu groß.
1994 zog die Bundeswehr-Akademie vom oberbergischen Waldbröl ins märkische Strausberg, vierzig Kilometer östlich von Berlin. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, war bis 1990 das Verteidigungsministerium der DDR untergebracht. Und hier, wo mich jetzt der Karl und der Friedrich und der Wladimir angucken, war seit Mitte der 80er-Jahre das Tagungszentrum der Nationalen Volksarmee. Hier kamen auch die Militärführer des Warschauer Paktes zusammen, unter den Augen von Marx und Engels und Lenin. Ein historischer Ort. Wenn ich mir damals die drei hätte ansehen wollen, hätte ich wahrscheinlich sehr schnell die Wände eines Stasi-Verhörzimmers betrachten können. Aber dann kam bekanntlich die Zeit, in der das rote Band um die Erde riss.
Die drei an der Wand werden sicherlich nicht mehr meine Freunde. Von euch lasse ich mich nicht ideologisch infizieren – da könnt Ihr mich noch so sehr angucken. Gerade deshalb werde ich dem damaligen Kommandeur der Akademie immer hoch anrechnen, dass er 1994 nicht die Bilderstürmer mit Hacke und Hammer auf das Mosaik losgelassen, sondern entschieden hat: Das muss bewahrt, das muss konserviert werden. Und heute finde ich es geist-erfrischend, dass nun die drei von der Wand-Stelle als "Moment der Irritation" zu Diskussionen anregen sollen, wie eine Tafel erklärt. Wir haben uns nämlich gegenseitig viel zu erzählen. Das Bewusstsein für die Geschichte nährt sich nicht aus langweiligen Sonntagsreden, sondern aus irritierenden Denk- und Diskussionsanstößen. Und wer die Geschichte der letzten 150 Jahre verstehen will, der muss sich Karl und Friedrich und Wladimir stellen. Weggucken hilft da nicht.
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