DDR-Fotograf Christian Borchert

Zwischen Stasi und Systemkritik

15:05 Minuten
Selbstporträt von Christian Borchert in Budapest 1998.
Christian Borchert fotografierte neben großen Projekten auch ganz Alltägliches. © Staatliche Kunstsammlungen Dresden / Herbert Boswank
Bertram Kaschek im Gespräch mit Max Oppel |
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Christian Borchert fotografierte das Leben in der DDR. Sein Nachlass blieb fast 20 Jahre lang unbeachtet – nun ist eine wissenschaftliche Biografie erschienen. Borchert war als Stasi-IM tätig, kritisierte aber auch das System.
Der Fotograf Christian Borchert hat den Alltag in der DDR auf besondere Art festgehalten – schwarz-weiß, viele Porträts – und vor allem seine Heimatstadt Dresden und ihre Einwohner mit der Kamera über viele Jahre begleitet.
Seit den 60er-Jahren hatte er sein Foto-Archiv akribisch gepflegt. Jetzt, 20 Jahre nach seinem Tod, erscheint unter dem Titel "Tektonik der Erinnerung" eine wissenschaftliche Biografie über ihn - mit vielen Fotos, deren Geschichte mit erzählt wird. Geschrieben hat sie der Kunsthistoriker Bertram Kaschek.
Borcherts Nachlass sei ein "Schatz", der bislang nicht gehoben sei, sagt Kaschek. Borchert starb im Jahr 2000, im Alter von 58 Jahren, bei einem Badeunfall nördlich von Berlin. Es habe nie eine große Retrospektive gegeben – bis zur Ausstellung des Dresdner Kupferstichkabinetts, die vor wenigen Tagen zu Ende gegangen ist.
Nun ist auch die Biografie erschienen. Und auch im Sprengelmuseum in Hannover soll es im Sommer eine von Bertram Kaschek kuratierte Ausstellung über Borchert geben.

Über Propaganda zur professionellen Fotografie

Borchert habe am Fotografischen immer das Dokumentarische gereizt, so Kaschek – "Das Vermögen der Fotografie, bestimmte Konstellationen im Bild festzuhalten, die Zeugnis ablegen über einen historischen Augenblick."
Eines seiner berühmtesten Bilder ist das einer Frau, die in einem Konsum eine Milchtüte aus einem Bottich zieht und prüft, ob sie dicht ist.
Eine Frau prüft Milchtüten in einer Kaufhalle in der DDR.
Christian Borcherts Bild einer Frau, die in der Konsum-Kaufhalle "Neustädter Markt" Milchtüten prüft, gehört zu seinen bekanntesten Arbeiten.© Staatliche Kunstsammlungen Dresden / Andreas Diesend
An diesem Bild könne man Borcherts Entwicklung in Bezug auf sein Bildideal beschreiben, meint Kaschek. Im Unterschied zu früheren Bildern, wo er vor allem flüchtige Augenblicke in seinen Fotos festhalten wollte, stehe dieses Bild für die Suche nach Momenten, die eine Dauer in sich trügen.
Borcherts Weg in die professionelle Fotografie führte über die Propaganda-Fotografie, erklärt der Kunsthistoriker. Während seiner Armeezeit machte Borchert Fotos für einen großen Band über die NVA. Es sei ihm aber nach und nach bewusst geworden, dass Propaganda nicht das war, was er machen wollte.

Ausstellung mit Gegnern der Biermann-Ausbürgerung

Später verpflichtete sich Borchert als Inoffizieller Mitarbeiter bei der Staatssicherheit. "Das ist sicher der Makel in seiner Biografie", sagt Kaschek: "Er wird zwei Jahre lang geführt." Er sollte West-Berliner Bürgern Informationen entlocken und habe das dann "relativ widerwillig" gemacht.
Zur Konfrontation mit der Staatssicherheit kommt es durch eine Ausstellung, die im Herbst 1976 unter dem Titel "Schriftsteller vor der Kamera" eröffnet wurde. Zwei Tage vorher war Wolf Biermann aus der DDR ausgebürgert worden.
Borcherts Ausstellung habe nun etwa 20 Personen gezeigt, die eine Petition gegen diese Ausbürgerung unterschrieben hatten. "So erschien diese Ausstellung als eine kritische Intervention zugunsten Biermanns" – von einem Stasi-Mitarbeiter.
Die Staatssicherheit habe ihm dann auf den Zahn gefühlt – und im Zuge dessen, "zum Zeitpunkt des höchsten politischen Drucks", habe Borchert seine Stasi-Mitarbeit aufgekündigt. Er habe sogar gegenüber Stasi-Offizieren behauptet, die Bilder der Schriftsteller weiter ausstellen zu wollen, weil er sie für wichtige Figuren der DDR-Gesellschaft halte, sagt der Kunsthistoriker.
Foto einer fünfköpfigen Familie an ihrem Küchentisch.
Historischen Wert besitzen Christian Borcherts Familienfotos, hier von Familie W., aufgenommen 1987 in Dresden.© Staatliche Kunstsammlungen Dresden / Andreas Diesend
Ab 1983 fertige Borchert dann Familienporträts an. Auch wenn er nicht wissen konnte, dass es die DDR einige Jahre später nicht mehr geben würde, war er sich der historischen Dimension bewusst, betont Kaschek: Er habe eine Art Querschnitt der DDR-Bevölkerung abbilden und späteren Generationen ermöglichen wollen, etwas über seine Zeit zu erfahren.
(abr)
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